ARD-Doku enthüllt neue Details
China soll Herzmittel-Doping vertuscht haben

In knapp einer Woche starten die Olympischen Spiele in Paris. Neue Erkenntnisse mischen nun den Fall der gedopten chinesischen Schwimmer nochmal neu auf.
Publiziert: 19.07.2024 um 17:14 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2024 um 17:49 Uhr
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Shun Wang, der chinesische Olympiasieger, ist Teil eines der grössten Dopingskandale der Geschichte.
Foto: AFP
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Seit Freitag ist in der ARD-Mediathek eine neue Episode der Serie «Geheimsache Doping» zu sehen. «Schmutzige Spiele» heisst sie und birgt hochbrisantes Material zum aktuellen Fall China. Die Dokumentation rollt auch Fälle vergangener Spiele auf. Thematisiert Länder, in denen der Sport komplett Doping verseucht ist. Geheimagenten, die Dopingproben manipulieren. Ärzte, die Dopingmethoden anbieten. Das globale Doping-Kontrollsystem, das voller Lügen steckt. Anti-Doping-Funktionäre, welche ihre Glaubwürdigkeit verspielen. Das Fazit der Autoren: «Kurz vor Beginn der Spiele ist der Fall China zum Fiasko der Glaubwürdigkeit des globalen Anti-Dopingkampfes geworden.»

Worum geht es im Fall China? Im Januar 2021 wurden bei einem Wettkampf im Norden Chinas 23 Top-Schwimmer aus dem chinesischen Nationalkader positiv getestet. Nachgewiesen wurde das Herzmittel Trimétazidine. Öffentlich wurde davon nichts bekannt, die Schwimmer wurden stillschweigend freigesprochen. Sie erzielten Weltrekorde, holten Weltmeistertitel und einige von ihnen wurden in Tokio Olympiasieger.

Das grosse Schweigen

Die Erklärung: Das Dopingmittel müsse in der Küche des Mannschaftshotels in die Kochtöpfe und von dort in die Mahlzeiten der Sportler gelangt sein. Die Untersuchung von Chinas Ministerium für öffentliche Sicherheit mit Geheimdienstbefugnissen lautete: Es läge kein Dopingverstoss vor. Freispruch für alle! Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und der Weltschwimmverband wurden informiert, schwiegen genauso, bis im April 2024 die ARD-Dopingredaktion um Hajo Seppelt die positiven Dopingproben publik machten. 

Über Kontaktpersonen aus der chinesischen Schwimmszene enthüllt der Film nun neue belastende Hinweise. Es wurden Posts aus sozialen Netzwerken und Chatverläufe ausgewertet. Daraus geht hervor, dass es positiv getestete Schwimmer gibt, die bis zum öffentlichen Aufschrei gar nichts wussten, dass ihr Test positiv ausgefallen war. Wurden die Testergebnisse vor den Sportlern geheimgehalten? Das wäre ein eklatanter Verstoss gegen die WADA-Regeln.

Whistleblower packt aus

Ein Whistleblower erzählt im Film, dass es den Sportlern verboten wurde, darüber zu reden, als alles ans Licht kam. Es gäbe Schulungen, was sie in solchen Fällen bei Anfragen sagen müssten, etwa so: «Ich unterstütze die Dopingbekämpfung. Ich glaube, dass alle Chinesen sauber sind.»

Die chinesische Anti-Dopingagentur hatte mit Unterstützung der WADA behauptet, dass staatlich gesteuertes Doping in diesem Fall kaum denkbar sei, weil die Schwimmer aus verschiedenen Regionen Chinas stammten, unterschiedliche Trainer hätten, aus verschiedenen Vereinen kämen. Aber die Chatverläufe legen das Gegenteil nahe: Wegen der Corona-Pandemie hielten sich die meisten Nationalschwimmer zu dieser Zeit in Peking auf.

Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel

Auch ein zentrales Argument für den Freispruch kommt durch die neuen Hinweise arg ins Wanken. Dass nämlich alle Schwimmer im selben Hotel gegessen und genächtigt hätten. In dem Hotel, wo die Kontamination in der Küche passiert sei. Die Chatverläufe, welche dem ARD-Team vorliegen und die im Film gezeigt werden, besagen aber was anderes. Dass nämlich nicht alle Schwimmer in diesem Hotel untergebracht waren. Wie glaubwürdig ist so die These der gemeinsamen Kontaminierung noch?

Die WADA liess sich nach dem öffentlichen Aufschrei im April von einem von ihr eingesetzten juristischen Gutachter bestätigen, alles richtig gemacht zu haben. Ob man nach diesen neusten Enthüllungen aber einfach so zur Tagesordnung übergehen und den Fall zu den Akten legen kann? Wohl kaum, wenn man Interesse an fairen Wettkämpfen hat.

Schweizer Desplanches betroffen

Von diesem Fall ist auch ein Schweizer direkt betroffen. Jérémy Desplanches gewann in Tokio über 200 Meter Lagen Bronze. Olympiasieger Shun Wang, einer der 23 Schwimmer, um die es im Fall China geht, nahm ihm 1,16 Sekunden ab. Shun Wang und zehn weitere chinesische Sportler, die vor Tokio positiv getestet wurden, werden voraussichtlich auch in Paris am Start stehen. Das Thema ist nicht vom Tisch, im Gegenteil.

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