Historisch. Nicht mehr und nicht weniger. So gross ist die Chance von Tanja Hüberli und Nina Brunner, die sich ihnen im Halbfinal des Beachvolleyball-Turniers in Paris bietet. Ein Spiel um Gold? Das hat noch nie ein Schweizer Duo – weder bei den Männern noch bei den Frauen – in der olympischen Geschichte erreicht. Und diese reicht immerhin bis 1996, als die Sportart ins Programm aufgenommen wurde, zurück.
Doch dann, um 18.15 Uhr, ist am Fuss des Eiffelturms klar: Hüberli/Brunner haben die Chance in den Sand gesetzt. Sie verlieren gegen die Kanadierinnen Melissa Humana-Paredes (31) und Brandie Wilkerson (32) mit 1:2 Sätzen (21:14, 20:22 und 12:15).
Das liest sich so brutal, wie es ist – die Schweizerinnen machen insgesamt nicht nur mehr Punkte (53:51), sondern vergeben sogar einen Matchball. Nach fünf Siegen ohne Satzverlust müssen sie diesen Schock erst verdauen. «Solche Niederlagen sind die bittersten überhaupt. Wir waren so nahe dran, aber es hat nicht sollen sein», sagt Brunner. Hüberli ergänzt: «Für mich ist die Gewissheit am allerschlimmsten, dass wir es hätten besser machen können.»
«Das war hart für den Kopf»
Woran Hüberli in diesem Moment denkt, ist nicht schwierig zu erraten. Beim Stand von 20:19 im zweiten Satz hat sie mit ihrer Partnerin Matchball bei eigenem Aufschlag. Nun ist Letzteres im Volleyball, im Gegensatz zum Tennis beispielsweise, kein Vorteil. Aber: Nach einem Smash wehrt Brunner perfekt ab.
Nun ist es an Hüberli, sie mit einem perfekten Zuspiel in Angriffsposition zu bringen. Doch genau dies misslingt ihr, der Ball fliegt übers Netz, Wilkerson übernimmt und lupft ihn über Brunner hinweg. Kurz darauf ist der Satz verloren. «Das war hart für den Kopf», gibt Brunner offen zu.
Tatsächlich dreht das Momentum. Der geniale erste Satz, bei dem das Schweizer Duo am Service mit Assen und im Spiel mit platzierten Bällen überzeugt, ist plötzlich weit weg. Beim Seitenwechsel versuchen Hüberli/Brunner, neuen Mut zu fassen, während ein Animateur das Publikum anpeitscht. «Wir sassen da und dachten: Scheisse. Aber andererseits wussten wir, dass wir gegen sie Breaks holen können.» Das Problem: Genau dies gelingt im Entscheidungssatz aber ihren Gegnerinnen. Humana-Paredes: «Wir waren wie neu geboren und wussten, dass wir die Partie nun gewinnen konnten.»
Schweizer Duo macht Trainer stolz
Die Schweizerinnen brauchen einige Minuten, ehe sie zu ihrem Spiel finden. 1:4 liegen sie zurück, eine Hypothek. Sie nehmen ein Timeout im Wissen, dass sie die Qualitäten besitzen, um das Spiel zu drehen. Und siehe da: Nach einer Phase mit vielen Eigenfehlern finden Hüberli und Brunner an diesem heissen, sonnigen Tag vor 13'000 Zuschauern den Tritt wieder.
Trainer Christoph Dieckmann: «Es hätte mich nicht überrascht, wenn Tanja und Nina gar nicht mehr zurückgekommen wären. Aber genau das zeigt, was sie für ein Charakter haben – als Leistungssportlerinnen, aber auch als Team.» Man merkt, wie stolz der Deutsche trotz der Pleite auf seine Schützlinge ist.
Zum Sieg reicht es den Schweizerinnen trotzdem nicht mehr, schon bald liegen sich die Kanadierinnen im heissen Pariser Sand in den Armen. Dazu dröhnt Techno-Musik aus den Lautsprechern. «Wir haben noch nicht unser bestes Volleyball gezeigt. Es schlummert in uns und hoffentlich können wir es am Freitag auspacken», so Humana-Paredes.
Man stellt sich die Frage: Hat letztlich nicht das bessere, sondern das cleverere Team gewonnen? Dieckmann überlegt kurz und meint dann: «Wenn man einen Matchball in der Hand hat, war man nicht das schlechtere Team.»
Nur ein Bronze-Spiel? Nein, ein Bronze-Spiel!
Das alles kann Hüberli/Brunner egal sein. Es muss ihnen sogar egal sein! «Wir haben alles gegeben und müssen uns nichts vorwerfen. Es hat einfach nicht sollen sein», so Hüberli. Ihr Fahrplan nach der Pleite sei klar, so Brunner. Man werde das Spiel besprechen, gut essen und in die Physio gehen. «Und hoffentlich nicht schlecht schlafen. Denn am Freitag kämpfen wir um Bronze. Das ist eine coole Ausgangslage», so Brunner. Das Spiel steigt um 21 Uhr gegen die Australierinnen Mariafe Artacho del Solar/Taliqua Clancy.
Geschichte schreiben können die beiden immer noch. Denn: Erst zweimal holte die Schweiz Bronze, Patrick Heuscher und Stefan Kobel 2004 in Athen sowie 2021 Joana Heidrich und Anouk Vergé-Dépré in Tokio.
Die Klasse, Gleiches zu schaffen, bringen Hüberli/Brunner mit. Das haben sie im Halbfinal trotz der Pleite eindrücklich gezeigt.