Dieser 14. Rang wird bald vergessen sein – die beispiellose Karriere von Dario Cologna (35) hingegen bleibt für ewig. Mit dem vierfachen Olympiasieger lief am Samstag einer der grössten Schweizer Sportler aller Zeiten im olympischen 50-km-Lauf, wegen des Wetters auf 30 km verkürzt, sein letztes Rennen auf der ganz grossen Bühne.
Ob und bei welchen Weltcup-Stationen diesen Winter Cologna noch starten wird, steht noch nicht fest. Das letztmögliche nach 16 Weltcup-Jahren wäre das Saisonfinale im russischen Tjumen am 20. März.
Colognas Vater Remo wird ins entlegene Westsibirien reisen. «Ob Dario dann dort tatsächlich läuft, sehen wir dann», sagt er. SonntagsBlick trifft den Papa auf einer «Tour de Cologna» mit Stopps bei den Menschen, die den Münstertaler während seiner herausragenden Karriere ganz nahe begleitet haben.
In Davos bei Ehefrau Laura
Die erste Station ist Davos. Hier lebt der Langlauf-Champion mit Frau Laura (31) und Sohn Leano (6 Monate). Laura ist seit über zehn Jahren an der Seite ihres Dario. Nun sagt sie: «Es ist sehr schön, dass ich seine ganze Karriere miterleben durfte.»
Sie war 19 Jahre alt, als sie den Münstertaler im Ausgang kennenlernte. Dass er bald darauf der Schweiz viele goldene Langlauf-Momente schenkt, ahnte niemand. Laura Cologna erinnert sich an ein Gespräch vor der Tour de Ski, die Dario dann erstmals gewinnen sollte. «Ich sagte, mehr aus Spass, zu ihm: «Und, gewinnst du?» Er meinte nur: Mal schauen …»
Cologna wird zum grossen Abräumer. Vier Tour-Triumphe, ein WM-Titel, viermal Gesamtweltcup, viermal Olympia-Gold. «Er ist der Gleiche geblieben. In den letzten Jahren ist er durch die Erfolge sicher etwas lockerer geworden. Im Fernsehen wirkt er eher ruhig. Aber privat ist er schon einer, der auch Witze reisst und mal einen draufmacht», sagt seine Frau, über die Cologna selber sagt: «Sie hat eine grosse Rolle in meiner Karriere gespielt. Ich hatte daheim immer die nötige Unterstützung.»
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Das Leben an der Seite des Weltklasse-Athleten bedeutete für Laura Cologna viele Emotionen. Oft jubelte sie an den Rennen am Streckenrand. «Man lebt den Sport ja auch mit», sagt sie heute, «ich wollte immer, dass er das Beste herausholen kann. Deshalb habe ich geschaut, dass er zu Hause keinen Stress hat.»
Die Tochter von HCD-Goalie-Legende Richi Bucher inszenierte sich aber auch in den Glanzjahren nie als «Spielerfrau der Loipen». Sie arbeitete weiterhin als Immobilienbewirtschafterin, ging auf Reisen, lebte ein paar Jahre in Zürich. «Mir war das wichtig. Er hat sein Ding ja auch durchgezogen.»
Und wie. Aber hinter den Medaillen steckte enorm viel Arbeit. «Es gab Momente, als es ihm leidtat, ins Trainingslager zu fahren. Oder wo auch ich mir wünschte, er könne mal an eine Silvesterparty mitkommen», erzählt Laura Cologna. «Aber als Spitzensportler muss man ein Egoist sein. Doch wenn er freihatte, bin ich an erster Stelle gekommen. Das fand ich sehr schön.»
An diesem sonnigen Tag am Davosersee wird klar: Colognas Liebste freut sich riesig auf den neuen Lebensabschnitt ohne Rennsport. Der abtretende Langlauf-Star sei ein «mega herziger Vater», der kleine Leano werde Dario das Leben nach dem Rücktritt leicht machen. «Wir freuen uns sehr auf diese kleinen Dinge, die für andere Paare selbstverständlich sind», sagt Colognas Frau – die nicht traurig ist, Darios letzte Spiele nicht vor Ort erlebt zu haben. Sie sei schon in China gewesen, «einmal reicht», sagt Laura.
Im Val Müstair bei Vater Remo
Das klingt in Tschierv GR ganz anders, wo SonntagsBlick auf Remo Cologna trifft. «Ich wäre sehr gerne nach Peking, ich war bisher an allen Spielen mit Dario dabei», bedauert der Vater die Corona-Pandemie. Dass die Karriere nun endet, macht ihm nichts aus: «Was er uns in diesen 16 Jahren für Emotionen geschenkt hat, ist unglaublich.»
Remo Cologna zeigt beim Langlaufzentrum Fuldera im Val Müstair eine der Loipen, wo sein Sohn die Weltkarriere startete. «Als sich Dario entschieden hat, aufs Langlaufen zu setzen, waren Olympia und WM kein Thema. Das waren noch nicht mal Träume», sagt er.
Der Vater baute einst mit Kollegen im Val Müstair eine Loipen-Beleuchtung, damit Dario nach der Schule noch trainieren konnte. Später hilft er bei der Gründung des Fanklubs mit. Der hat zu Beginn vor allem ein Ziel: den aufstrebenden Läufer finanziell zu unterstützen. Wegen des fehlenden Budgets verkauften die Eltern Christine und Remo sogar einst ihr Haus.
Von wem stammt eigentlich das Talent? Remo Cologna winkt sofort ab. «Von mir sicher nicht, auch wenn ich immer viel Sport gemacht habe.» Aber der Vater war im Langlaufklub, als dieser 1998 einen J+S-Tag organisierte. «Da hat sich Dario gut geschlagen, obwohl er vorher nie richtig Langlauf gemacht hatte», schildert der Papa. Zuvor habe er wie seine Geschwister Andrea und Gianluca vieles gemacht: Velo, Leichtathletik, Fussball – und Ski alpin. «Beim GP Migros hat er sogar Carlo Janka und Sandro Viletta geschlagen.» Verrückt: Olympiasieger sind alle drei geworden.
Dass sich womöglich eine aussergewöhnliche Karriere anbahnt, merkte die Familie an der Junioren-WM in Slowenien, wo Cologna Dritter wurde. Es wurde ernst: Nach dem Sport-Gymnasium in Ftan GR folgte Colognas Wechsel ans Leistungszentrum in Davos. «Wir hatten keine Bedenken, als er voll auf den Sport setzte. Er hatte Freude daran, was wollten wir als Eltern mehr?» Und Dario selber sagt: «Wäre der Schritt nach Davos ein Fehlschlag gewesen, hätte ein Plan B her müssen. Wahrscheinlich wäre ich studieren gegangen.»
In Zürich bei Bruder Gianluca
Mit diesem Stichwort reist SonntagsBlick nach Zürich, wo an der Pädagogischen Hochschule Gianluca Cologna (31) im achten Semester seines Sek-Lehrer-Studiums steckt. Der vier Jahre jüngere Bruder lebt in der Region Zürich und befindet sich seit 2018 im Leben nach der Karriere, das Dario bald entdecken wird. «Seit meinem Rücktritt ist unser Verhältnis noch besser geworden», sagt Gianluca, dessen Palmarès mit einem Podestplatz wie das der allermeisten Weltcupläufer neben Colognas Karriere verblasst.
Aber er sagt: «Ich habe nie darunter gelitten und konnte es stets gut einordnen, weil Dario einfach ein Ausnahmekönner war. Ich war immer sein grösster Fan.»
Nicht mal als Kinder habe es gekracht, da der Altersunterschied für Familien-Duelle zu gross war. Als Dario mit etwa zwölf Jahren ernsthaft mit Langlauf begann, stieg irgendwann auch der kleine Bruder auf die Latten. «Er wurde mein Vorbild.»
Als es auch der zweite Cologna nach Davos schaffte, zog Gianluca beim Bruder ein. Fünf Jahre – bis Laura einzog – lebten die Brüder unter einem Dach. Jeder behielt die eigenen Kollegenkreise. «Wir konnten zwar über alles reden, aber ab und zu sind wir uns auch aus dem Weg gegangen», erzählt Gianluca.
In Sotschi 2014 starteten die Brüder gemeinsam zum Team-Sprint. «Wir sind wirklich sehr sportbegeistert aufgewachsen, haben auch viel Sport geschaut, natürlich auch Olympia. Dass wir dann zusammen bei Olympia starten durften und auch noch gute Fünfte wurden, ist selbst heute für mich noch surreal», sagt der frühere Sprint-Spezialist.
Die Cologna-Brüder als Duo Fünfte bei Olympia – es sind neben den Medaillen solche Erinnerungen, die bei Colognas Liebsten für immer bleiben. Darios 14. Rang im 30er vom Samstag, der wegen Wind und Wetter bloss über 30 Kilometer ging, ist hingegen schon fast vergessen.