Hektik. Verpflichtungen. Stress. Und obendrauf überwarf sich Nina Christen (28) auch noch mit ihrem langjährigen Trainer Enrico Friedemann. Während die Schützin von «schwerwiegenden Differenzen» spricht, die nicht mehr zu kitten waren, spielt Friedemann die Thematik herunter: «Es ist ganz normal, dass eine Athletin nach einem derartigen Erfolg neue Impulse sucht. Von Differenzen kann keine Rede sein.» Der verrückte letztjährige Olympia-Sommer veränderte das Leben der Nidwaldnerin auf drastische Art und Weise.
Dabei hat alles derart vielversprechend begonnen. Auf die bronzene Auszeichnung im 10-m-Luftgewehr-Wettbewerb folgte der Gold-Coup im Dreistellungsmatch. Ein Karriere-Höhepunkt, der jedoch innerhalb weniger Wochen zum Lebens-Tiefpunkt werden sollte. Christen wurde der ganze Rummel irgendwann zu viel, sie zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.
Ex-Schütze macht Christen wieder stark
In aller Ruhe tankte sie neue Energie, durchdachte ihre nächsten Schritte und klärte die Trainer-Frage. An eine weitere Zusammenarbeit mit Friedemann war nicht zu denken. Doch der Verband hielt an ihm fest. Weshalb? Daniel Burger, der Leiter des Bereichs Spitzensport, bezieht Stellung: «Einen solch grossartigen Trainer wollten wir nicht ziehen lassen.» So musste sich das Aushängeschild des Schweizer Schiesssports mit der Hilfe des Verbandes nach anderen Optionen umschauen.
Der Zufall wollte es, dass just in diesem Moment der dänische Ex-Schütze Torben Grimmel (46) das Zepter in der zweiten Trainingsgruppe übernahm. Ein Glücksfall für die Zeitmilitaristin. Auf Anhieb verstanden sich die beiden blendend. «Er hat selbst eine Olympia-Medaille gewonnen und wusste deshalb, was ich alles durchgemacht habe.» Auch dank Grimmel findet die Formel-1-Liebhaberin den Weg zurück auf die Sonnenseite des Lebens.
Eine spezielle Situation für die Teamkolleginnen
Jedoch sorgte die ungewohnte Trainings-Situation zu Beginn für Verwirrung, wie die Profi-Schützin Chiara Leone (24) verrät: «Es war sehr speziell, weil wir dachten, sie kommt wieder zurück in die erste Trainingsgruppe.» Dem war aber nicht so.
Mittlerweile hat sich die Geschichte normalisiert. Dass sich Christen und Friedemann an den Wettkämpfen jeweils über den Weg laufen, ist für die Olympia-Heldin unproblematisch.
Ob sich der Trainer-Wechsel auch aus sportlicher Hinsicht gelohnt hat, wird sich zum ersten Mal an der Weltmeisterschaft Mitte Oktober in Kairo zeigen. Kann sie dann bereits wieder in den Medaillen-Kampf eingreifen? Sie selbst sagt: «Klar, ein Podestplatz ist in meinem Hinterkopf, aber das Minimalziel ist der Finaleinzug.»