Es ist ein Bild für die Ewigkeit, ein Bild für die Geschichtsbücher des Schweizer Sports. 27. Juli 2021 im fernen Tokio. Im olympischen Cross-Country-Rennen der Mountainbikerinnen feiert die Schweiz den totalen Triumph: Gold für Jolanda Neff, Silber für Sina Frei, Bronze für Linda Indergand.
Drei Schweizer Frauen auf einem Olympia-Podest. Das ist nicht nur ein Bild für die Ewigkeit, sondern auch ein Sinnbild für die Dominanz der Schweizer Frauen 2021, denn das zu Ende gehende Sportjahr wurde vor allem von den Frauen geprägt.
Beispiel 1: An den Olympischen Sommerspielen in Tokio gewannen drei Schweizer Frauen Gold, aber kein Schweizer Mann konnte sich in Japan zum Olympiasieger krönen.
Beispiel 2: Von der Ski-WM in Cortina d’Ampezzo kehrten die Schweizer Frauen mit drei Goldmedaillen zurück, die Männer mit null.
Beispiel 3: An den olympischen Leichtathletik-Bewerben schaffte es viermal eine Schweizer Frau in einen Final. Auch hier gingen die Männer leer aus.
Beispiel 4: In der letzten Wintersaison 2020/21 holten sich Schweizer Frauen in den Haupt-Disziplinen (Alpin, Nordisch, Freestyle-Skiing, Snowboard) 19 Weltcupsiege, bei den Männern waren es «nur» deren 10.
Beispiel 5: Auch die Bilanz im Radsport ist eindeutig. An den Weltmeisterschaften 2021 (Strasse und Mountainbike) sahnten die Schweizer Frauen fünf Medaillen ab, die Männer zwei.
Diese fünf Beispiele zeigen eindrücklich: Es ist nicht bloss ein vages Gefühl, es ist eine Tatsache, dass die Schweizer Frauen dem Sportjahr 2021 den Stempel aufgedrückt haben.
Doch warum ist das so? Ist das bloss ein Zufall? Oder ist die Gleichberechtigung im Schweizer Sport endlich angekommen? Und sind deshalb die Erfolge 2021 das Resultat der Frauenförderung in der Schweiz?
Der Rückblick: Verwelkte Unterleibsorgane und zu dicke Körper
Um zu verstehen, weshalb die Frauen im Schweizer Sport immer erfolgreicher werden, müssen wir zuerst kurz zurückblicken. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war der Sport eigentlich weltweit eine reine Männersache. Deshalb hatten Frauen lange Zeit gar keine weiblichen Identifikationsfiguren, denen sie nacheifern konnten. Ein Teufelskreis. Keine Vorbilder gleich keine Nachahmerinnen gleich keine neuen Vorbilder und so weiter.
Dabei spielt(e) auch die Rolle der Mütter eine entscheidende, da sie eine wichtige innerfamiliäre Vorbildrolle für ihre Töchter sein können. Das Problem: Wenn vor allem – wie früher – die Väter sportlich sind, sind es tendenziell auch nur deren Söhne und eben nicht deren Töchter.
Zahlreiche Studien belegen, wie das Rollenbild früher (und teilweise auch heute noch) durch die Gesellschaft geprägt wird. Junge Männer wurden für ihre sportliche Leistungsfähigkeit mit Anerkennung bedacht, junge Frauen hingegen für ihr feminines Auftreten.
Mit anderen Worten: Hatte eine Frau sportlichen Erfolg, wurde dies viel weniger gewürdigt. Hatte sie eine sportliche, muskulöse Figur, wurde dies von vielen argwöhnisch beobachtet, weil es nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Als Folge davon sank bei vielen die Motivation und damit auch deren Leistungen.
Im Frühling 2021 veröffentlichte der SWR eine Studie zum Thema Gleichberechtigung im Spitzensport. 719 deutsche Athletinnen nahmen daran teil. Die Ergebnisse, sie sind erschreckend.
- Obwohl die meisten der Sportlerinnen auf Profiniveau tätig sind, haben nur 43 Prozent von ihnen den Sport als ihre Haupteinnahmequelle angegeben. Unglaubliche 41 % haben ein jährliches Bruttoeinkommen von unter 10’000 Euro.
- 77 % der Befragten werden überwiegend von Männern trainiert. Nur 1,3 % der Sportlerinnen werden ausschliesslich von Trainerinnen betreut.
- Die Hälfte aller Sportlerinnen gab an, dass die Periode ihre Leistung beeinträchtigt. Darüber zu reden mit ihren Trainern, ist aber für 55 % unangenehm.
- Ebenfalls die Hälfte aller Sportlerinnen sagt, dass die Familienplanung ihre Karriere beeinflusst. Zwölf Teilnehmerinnen erklärten, dass sie sich schon einmal für eine Abtreibung entschieden haben, um ihre sportliche Karriere zu diesem Zeitpunkt nicht zu beeinträchtigen.
- 36 % der Frauen gaben an, dass sie in ihrem Sport schon mindestens einmal Sexismus erlebt haben. Die Hälfte der betroffenen Frauen hat ihrem sportlichen Umfeld nichts davon erzählt.
Im Frühling 2021 veröffentlichte der SWR eine Studie zum Thema Gleichberechtigung im Spitzensport. 719 deutsche Athletinnen nahmen daran teil. Die Ergebnisse, sie sind erschreckend.
- Obwohl die meisten der Sportlerinnen auf Profiniveau tätig sind, haben nur 43 Prozent von ihnen den Sport als ihre Haupteinnahmequelle angegeben. Unglaubliche 41 % haben ein jährliches Bruttoeinkommen von unter 10’000 Euro.
- 77 % der Befragten werden überwiegend von Männern trainiert. Nur 1,3 % der Sportlerinnen werden ausschliesslich von Trainerinnen betreut.
- Die Hälfte aller Sportlerinnen gab an, dass die Periode ihre Leistung beeinträchtigt. Darüber zu reden mit ihren Trainern, ist aber für 55 % unangenehm.
- Ebenfalls die Hälfte aller Sportlerinnen sagt, dass die Familienplanung ihre Karriere beeinflusst. Zwölf Teilnehmerinnen erklärten, dass sie sich schon einmal für eine Abtreibung entschieden haben, um ihre sportliche Karriere zu diesem Zeitpunkt nicht zu beeinträchtigen.
- 36 % der Frauen gaben an, dass sie in ihrem Sport schon mindestens einmal Sexismus erlebt haben. Die Hälfte der betroffenen Frauen hat ihrem sportlichen Umfeld nichts davon erzählt.
Dass Sportlerinnen bis ins 21. Jahrhundert damit zu kämpfen haben, zeigt das Beispiel Jeannine Gmelin. Die Ruderin haderte lange mit ihrem kräftigen Körper, wie sie 2018 im «Magazin» verriet. «In der Gesellschaft galt: Eine Frau muss feingliedrig und dünn sein. Das war ich nie. Stellte man mich neben einen Mann, war ich gleich breit wie er. Trug ich kurze Hosen, glotzten die Leute auf meine Beine. Ihnen schwirrte wohl der gleiche Begriff im Kopf herum wie mir, dick. Zu dick, urteilte ich über meinen Körper.»
Nebst den fehlenden weiblichen Vorbildern und dem Hadern mit dem Schönheitsideal gab es ausserdem auch weit verbreitete medizinische Bedenken gegenüber Spitzensportlerinnen. Nicht wenige Ärzte warnten davor, dass weibliche Unterleibsorgane bei sportlicher Betätigung zu verwelken drohten. Leider auch legendär der Satz des 2021 verstorbenen FIS-Präsidenten Gian-Franco Kasper, der sich gegen das Frauen-Skispringen aussprach. Mit der Begründung, bei der Landung könnte es den Frauen die Gebärmutter zerreissen.
Der Rückblick zeigt: Frauen wurden im Sport benachteiligt, diskriminiert und verspottet.
Die Gegenwart: Das sind die Gründe für das Frauenhoch 2021
Wer jetzt aufs Sportjahr 2021 und die zahlreichen Erfolge der Frauen schaut, der könnte meinen: Alles ist gut, die Gleichberechtigung ist endlich da. Doch stimmt dieser Eindruck? Oder ist das eben alles doch nur ein Zufall? SonntagsBlick hat Expertinnen und Experten dazu befragt und Studien und Zahlen analysiert.
Das Hoch der Frauen – es ist das Resultat zahlreicher unterschiedlicher Gründe.
1. Die staatliche Förderung
Bis vor rund zehn Jahren gab es in der Schweiz kaum staatliche Förderung. Das Sportsystem wurde vor allem vom Privatsektor finanziert, und dieser steckte das Geld vorwiegend in stark kommerzialisierte, männlich-dominierte Sportarten.
Mit der Inkraftsetzung der Totalrevision des Sportförderungsgesetzes von 2012 wurde gesetzlich festgehalten, dass der Bund die Förderung des leistungsorientierten Nachwuchs- und des Spitzensports unterstützt. Die finanziellen Beiträge können so gezielt gesteuert werden und wandern nicht mehr nur in die grossen Sportarten. Maja Neuenschwander, ehemalige Marathon-Spitzenläuferin und heute Projektleiterin von «Frau und Spitzensport» (initiiert von Swiss Olympic), sagt dazu: «Von diesem neuen Gesetz konnten die Frauen eher mehr profitieren als die Männer.»
Dr. Andreas Ch. Weber, Sportökonom an der Eidgenössischen Hochschule für Sport Magglingen, ergänzt: «Im Ausland gab es zum Teil schon seit Jahrzehnten staatliche Programme, die die Frauen gezielt gefördert haben. Weil das in der Schweiz erst seit 2012 der Fall ist, beginnen wir erst jetzt, das volle Potenzial auszuschöpfen.»
Was die staatliche Förderung bewirken kann, zeigt das Beispiel der Spitzensport-RS. Beim ersten Jahrgang 2004 betrug der Frauenanteil noch null Prozent, im Frühling 2021 steht er bei 27 Prozent. Tendenz steigend. Gerade für Athletinnen aus Randsportarten ist die RS wichtig, da sie dort professionell trainieren können und dank des Erwerbsersatzes und des Solds auch finanziell gut dastehen. Bis 2023 soll die RS von 70 auf 140 Sportler pro Jahr ausgebaut werden. Davon werden noch mehr Frauen profitieren können.
2. Rücksicht auf den weiblichen Zyklus
Bis vor wenigen Jahren trainierte der Grossteil der Frauen so wie die Männer. Noch heute ist über die Biologie des weiblichen Körpers oder der hormonellen Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die Leistung wenig bekannt. Entsprechend wird das kaum in der Trainingsgestaltung thematisiert und berücksichtigt, denn meistens stammten die Trainingspläne von Männern.
Das ändert sich Stück für Stück. Neuenschwander: «Wir versuchen aufzuzeigen, wie auf den Zyklus abgestimmt trainiert werden kann. Das Wichtigste dabei: die Kommunikation zwischen Athletin und Coach. Eine Athletin sollte mit ihren Trainern über frauenspezifische Themen sprechen können. Wenn das der Fall ist, kann der Zyklus bei den Trainingsplänen berücksichtigt werden.»
Der Aufwand sei dabei gering, der Ertrag aber könne gross sein. «Wer auf seinen Zyklus Rücksicht nimmt, kann ein paar entscheidende Prozente rausholen», erklärt Neuenschwander, «mittlerweile haben das auch viele männliche Trainer verstanden und sprechen mit ihren Athletinnen offen über dieses Thema. Das zu beobachten, ist schön.»
3. Die schwächere Konkurrenz
Ja, im Vergleich zu Sportlerinnen aus dem angelsächsischen oder dem skandinavischen Bereich hinkt die Schweiz in der Frauenförderung immer noch hinterher. «Doch im Vergleich zu Athletinnen aus dem südamerikanischen Raum, aus Afrika oder dem Nahen Osten ist die Schweiz top», ordnet Weber ein.
Die Folge davon: In viele Sportarten ist die Leistungsdichte bei den Frauen relativ gering, und frau kann deshalb mit vergleichsweise geringer Förderung an die Weltspitze gelangen.
4. Karriere trotz Baby
Früher war der Fall klar: Kriegt eine Sportlerin ein Kind, ist ihre Karriere vorbei und eine mögliche erfolgreiche Sportlerin Vergangenheit. Heute ist das nicht mehr zwingend so, wie die Beispiele von Nicola Spirig und Selina Gasparin zeigen.
Trotzdem gibt es noch Aufholbedarf. Biathletin Gasparin: «Als ich einem Trainer von meiner Familienplanung erzählte, sagte er: ‹Mach doch jetzt einfach noch zwei Jahre weiter, dann beendest du deine Karriere und bekommst Kinder.› Es ist eine Aussage, die ein Mann nie zu hören bekommt.»
In einer Umfrage von Swiss Olympic im Frühling 2021 gaben vier von fünf Frauen an, dass sie nicht wissen würden, ob sie im Fall einer Schwangerschaft von ihren Sponsoren weiterhin unterstützt würden, und wie es deshalb mit ihrer Karriere weitergehen würde.
Hinzu kommt bei Einzelsportlerinnen: Nach der Geburt erhalten sie wie jede andere Selbständigerwerbende auch 14 Wochen Mutterschaftsgeld. Doch während ihrer Schwangerschaft, in der sie bereits zumindest die letzten Monate nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen kann, muss sie beträchtliche finanzielle Einbussen in Kauf nehmen, weil sie ja keine Preisgelder mehr einnehmen kann.
5. Die Frauen treiben immer mehr Sport
In der Studie «Sport Schweiz» vom Bundesamt für Sport wurde der Sportkonsum der Schweizer Bevölkerung untersucht. Im Jahr 2000 trieben 32 Prozent aller Frauen mehrmals pro Woche Sport, 2020 waren es schon 51 Prozent.
Auch im Leistungssport ist die Tendenz eindeutig. Die Studie «Leistungssport Schweiz 2019» zeigt, dass seit 2011 der Anteil an Vollzeitsportlerinnen unter den Befragten um rund 10 Prozentpunkte auf 34 Prozent stieg. Das Ergebnis davon ist einfach: Wer Vollzeit auf den Sport setzt, der erhöht damit auch seine Wettbewerbsfähigkeit.
6. Immer mehr Initiativen
Die Frauenförderung ist zurzeit in. Zahlreiche Initiativen haben sich diesem Ziel verschrieben: «sportif» (Schweizer Netzwerk für Sportlerinnen und Frauen, die beruflich oder privat im Sport engagiert sind), «Laureus Girls in Sport» (fördert den Mädchenanteil im Jugendsport) oder «Helvetia rennt» («Schweizerinnen sollen nicht nur im Wettkampf brillieren, sondern auf allen Stufen im Schweizer Sport mitreden und mitbestimmen»).
7. Es gibt endlich Role Models
Früher sprach man von Vorbildern, heute von Role Models. Gemeint ist das Gleiche. Für Daniela Gisler, Co-Initiantin von «Helvetia rennt» und Inhaberin einer Agentur für Sportmanagement und Kommunikation, sind diese Vorbilder sehr wichtig: «Mehr Role Models bedeutet, dass es mehr Frauen gibt, die diesen nacheifern wollen.»
Doch woher kommen diese Role Models? «Das haben wir auch den Medien zu verdanken», erklärt Gisler, «weil das SRF private Konkurrenz bekommen hat, sind Hauptsportarten zu den Privaten abgewandert. Dadurch gab es bei SRF Platz für Nischensportarten. So entstehen in diesen Sportarten neue Role Models.»
Wie wichtig Role Models sind, zeigt das Beispiel von Swiss Athletics. Obwohl der Schweizerische Leichtathletikverband Frauen nicht bewusst gefördert hat, boomt die Frauenleichtathletik. Philipp Bandi, Chef Leistungssport, erklärt warum: «Wir profitieren heute von der Zürich-Generation», sagt er und meint damit die Leichtathletik-EM 2014 in Zürich. «Damals rannten Léa Sprunger und Mujinga Kambundji ins Rampenlicht. Danach wollten viele Frauen den beiden nacheifern, weil sie gemerkt haben, dass man es als Leichtathletin an die Spitze schaffen kann. Geholfen hat uns dabei sicherlich, dass es bei den Frauen weniger Konkurrenzsportarten gibt als bei den Männern. Deshalb sind viele in der Leichtathletik gelandet.»
8. Frauenförderung durch die Verbände
Auch immer mehr Sportverbände haben erkannt, dass sich Frauenförderung lohnt. Ein positives Beispiel ist Swiss Cycling mit ihrem Projekt #fastandfemaleSUI. Damit werden sowohl im Amateur- als auch im Profibereich Frauen gezielt gefördert.
Ein konkretes Resultat davon ist die Tour de Suisse Women, die 2022 zum zweiten Mal ausgetragen werden wird. Auch auf der Funktionärsebene wird versucht, Frauen zu gewinnen. So werden zum Beispiel bei der Suche nach neuen Kommissären gezielt Frauen angesprochen.
9. Die Gesellschaft hat sich verändert
Auch in den Elternhäusern habe ein Umdenken stattgefunden, erklärt Daniela Gisler. «Früher haben die Eltern einem Sohn eher zugetraut, dass er sich in einem solch harten Umfeld wie dem Spitzensport durchsetzt. Heute wird das auch den Frauen zugetraut. Hinter fast allen Frauen, die heute erfolgreich sind, steckt ein Elternhaus dahinter, das sie unterstützt.»
Diese gesellschaftliche Veränderung habe mittlerweile auch die Wirtschaft erreicht, so Gisler. «Die privaten Unternehmen haben gemerkt, dass der Frauensport interessant ist und dass man nicht mehr um den Frauensport herumkommt. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Die Sponsoringpartner meiner Athletinnen sind heute bereit, mehr zu zahlen als noch vor fünf Jahren.»
Die Probleme: Das muss alles noch gelöst werden
Trotz aller Verbesserungen, der Spitzensport in der Schweiz ist noch immer eine Männerdomäne. Ein paar Zahlen belegen das eindrücklich: 0 Prozent Frauenanteil in der Geschäftsleitung von Swiss Olympic. 16 Prozent Frauenanteil der Schweizer Sportfunktionäre bei Olympia 2018. 8 Prozent Frauenanteil bei den PräsidentInnen der Schweizer Sportverbände.
Wozu dieses Ungleichgewicht führen kann, hat man beim Kunstturnen gesehen. Der Untersuchungsbericht zu den Vorfällen rund um die Rhythmische Gymnastik und das Kunstturnen vom November 2021 belegt eindeutig, dass die Frauen auch finanziell benachteiligt wurden.
Ein regionales Leistungszentrum erhielt pro Kunstturn-Kaderathleten einen Betrag von 8000 Franken pro Jahr, für eine Kaderathletin gab es nur 4800 Franken. Zudem durften die Männer im Schachenmannhaus im Nationalen Verbandszentrum Magglingen gratis wohnen und essen. Den volljährigen Frauen hingegen wurde im Haus Brésil für das Wohnen und Essen etwas verrechnet.
Wie sich eine solche Diskriminierung verhindern lässt? Auch mit mehr Funktionärinnen und Trainerinnen. Diese wären wohl kaum auf die Idee gekommen, die Kunstturner gegenüber ihren weiblichen Pendants finanziell zu bevorzugen.
Deshalb will Sportministerin Viola Amherd auch, dass bis Ende 2024 die Sportverbände 40 Prozent Frauen in ihren Führungsgremien haben müssen. Halten sie das nicht ein, sollen ihnen die finanziellen Beiträge gestutzt werden. Amherd nimmt dabei auch die Frauen selbst in die Pflicht. In der Frauensession 2021 erklärte sie: «Wie sagte es doch bereits Simone de Beauvoir: ‹Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts.›»
Auch für Athletinnen-Betreuerin Gisler muss auf der Funktionärsebene noch einiges gehen: «Noch immer entscheiden an vielen Orten Männer über die Fragen, die die Frauen weiterbringen sollen. Wenn mehr Frauen am Entscheidungshebel sitzen, dann wird umfassender und umfänglicher nachgedacht. Und das kommt nicht nur den Frauen, sondern auch den Männern zugute.»
Ebenfalls ein Problem: Noch immer gibt es hierzulande kaum Studien aus der Sportwissenschaft, die frauenspezifische Themen in den Fokus legen. Dies sei gemäss Maja Neuenschwander ein Problem: «Es wird noch Jahre dauern, bis wir in diesem Punkt der Forschung Fortschritte erreichen können. Auch in der Wissenschaft muss die Frau berücksichtigt werden. Bisher wurden Erkenntnisse aus der Forschung mit Männern einfach auf die Frauen übertragen.»
Die Zukunft
Die Expertinnen und Experten sind sich einig: Dass 2021 vor allem die Frauen abgeräumt haben, ist sowohl Zufall als auch das Ergebnis der Frauenförderung. Ein Blick in die Nachwuchs-Titelkämpfe der letzten Jahre zeigt: Es könnte in Zukunft so ähnlich weitergehen.
Beispiel 1: An den letzten beiden Olympischen Jugend-Winterspielen gewann die Schweiz 35 Medaillen. Satte 67 Prozent davon gingen an junge Frauen.
Beispiel 2: An den letzten fünf Junioren-Weltmeisterschaften Ski Alpin holte sich die Schweiz 26 Medaillen, 12 davon gingen an Frauen. Das entspricht 46 Prozent.
Beispiel 3: Auch beim Leichtathletik-Nachwuchs sind die Frauen tonangebend. Bei den letzten drei U23-Europameisterschaften gewannen sie 62 Prozent aller Schweizer Medaillen, bei den U20-EM waren es gar 64 Prozent.
Die Zukunft, sie könnte weiblich sein. Und ein reines Olympia-Frauen-Podest wie in Tokio, es könnte sich wiederholen.