Foto: Benjamin Soland

Olympia-Ringer Reichmuth erlebte dramatische Monate
«Ich dachte, ich muss sterben»

In letzter Zeit wurde Olympia-Ringer Stefan Reichmuth mehrfach ins Spital eingeliefert. Seine Lebensqualität ist seither stark eingeschränkt. Im Gespräch mit Blick spricht er erstmals über seine Krankheit.
Publiziert: 19.09.2024 um 11:15 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2024 um 14:29 Uhr
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Auf dem Weg zurück in ein normales Leben: Ex-Spitzenringer Stefan Reichmuth absolviert eine leichte Trainingseinheit in der Ringerhalle in Willisau LU.
Foto: BENJAMIN SOLAND

Auf einen Blick

  • Stefan Reichmuth erholt sich von einer Hirnhautentzündung
  • Im Spital wurde der Ringer aggressiv
  • Die Krankheit schränkt ihn im Alltag stark ein
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nicola AbtReporter Sport

Es begann mit einem Kribbeln in den Beinen. Eine Stunde später fürchtete Olympia-Ringer Stefan Reichmuth (29) im Spital um sein Leben. «Ich dachte, ich muss sterben.» Etwas mehr als zwei Monate sind seit dem Zwischenfall vergangen. Reichmuth sitzt auf dem Hometrainer in der Ringerhalle in Willisau LU. «Du siehst wieder besser aus», sagt ein Ringer-Kollege zum WM-Bronzegewinner von 2019. Sein Eindruck täuscht nicht.

«Es geht langsam aufwärts», bestätigt Reichmuth, der nach der verpassten Olympia-Qualifikation für Paris im letzten Frühling seinen Rücktritt vom internationalen Ringersport verkündete. Als er die neugewonnene Freizeit im Schwimmbad genoss, begannen seine Beine zu kribbeln. Zuerst dachte Reichmuth, er sei unterzuckert. «Als ich mir eine Cola holen wollte, konnte ich plötzlich nicht mehr laufen.» Seine Beine wurden taub. «Minuten später war meine Zunge gelähmt. Ich konnte keinen normalen Satz mehr sagen. Das war sehr beängstigend.»

Seine Kollegen wählten den Notruf. Die Ambulanz fuhr Reichmuth mit Verdacht auf einen Schlaganfall ins Kantonsspital. «Vom Moment, als ich dort ankam, bis ich im Aufwachraum wieder zu mir kam, erinnere ich mich an nichts mehr». Als er dort im Bett lag, irritierten ihn die Blicke des vorbeigehenden Pflegepersonals. «Alle haben mich komisch angeschaut.» Als er jemanden fragte, ob mit ihm etwas nicht stimme, sagte sie: «Wir mussten Sie gestern alle festhalten, weil Sie durchgedreht sind.»

Wenige Stunden später überraschte Reichmuth die Ärzte im positiven Sinn. Die Schwere seiner diagnostizierten Hirnhautentzündung und der daraus resultierende epileptische Anfall würde «normale» Menschen für drei Wochen ins Bett legen. Der Olympia-Achte von Tokio 2021 sass am Tag darauf bereits in der Cafeteria des Spitals. Die schnelle Genesung hat er seiner Vergangenheit als Spitzensportler zu verdanken.

«Dass ich so fit bin, hat mich womöglich vor Langzeitschäden geschützt.» Es sind einige Fälle bekannt, wo Menschen nach einer Hirnhautentzündung nie mehr richtig laufen oder sprechen konnten. Reichmuth durfte nach vier Tagen das Spital verlassen. Dass er schon bald wieder dort liegen würde, konnte er nicht ahnen. 

Krankheit bestimmt Wochenplan

Zwei Tage später kämpft Reichmuth mit starken Kopfschmerzen. «Ich musste mich mehrmals übergeben.» Als er im Spital ankam, sagte die Frau am Empfang: «Herr Reichmuth, sie sehen deutlich besser aus als das letzte Mal.» Als sich Reichmuth im Spiegel sah, zeigte er sich überrascht. «Ich dachte, dass ich nicht mehr viel schlechter aussehen konnte.»

Nach einer Nacht im Spital durfte der Luzerner nach Hause. Wieder nur für ein paar Tage. Reichmuth erlitt einen zweiten epileptischen Anfall. Sechs Wochen sind seither vergangen. Dank entsprechender Medikamente blieb Reichmuth von weiteren Anfällen verschont. Inzwischen sind sich die Ärzte sicher, dass die epileptischen Anfälle durch die Hirnhautentzündung ausgelöst wurden.

Mit ihr sollten auch die Anfälle verschwinden. «Das zu wissen, tut mir gut.» Weil in den Hirnströmungen keine Narben der epileptischen Anfälle zu sehen sind, dürfte sich Reichmuth wieder vollständig erholen. Wie lange das dauert, wird sich zeigen. «Die Krankheit bestimmt meinen Wochenplan.» 

Langeweile und Augenprobleme

Schaut er zu lange Fernsehen, spürt er das in den Folgetagen. Jedes Gespräch sei eine Anstrengung. Manchmal ist sein Gehirn überfordert. «Als ich mit Kollegen im Restaurant sass, war ich für 30 Minuten abwesend. Der Lärm und die Eindrücke waren zu viel für mich. Ich hoffte, dass mich niemand etwas fragen würde.»

Auch körperlich spürt er die Folgen seiner Krankheit. «Als ich wieder eine Stunde locker auf dem Velo trainieren durfte, fühlte sich das an, wie eine Intervall-Einheit am Ende einer strengen Trainingswoche.» Oft langweilt er sich. «Wie willst du dich ablenken, wenn du den Kopf nicht belasten kannst?»

Derzeit kämpft Reichmuth mit Augenproblemen. Manchmal sieht er nicht scharf. Ob das mit der Krankheit zusammenhängt, lässt er abklären. «Mein Umfeld hilft mir über jeden weiteren Rückschlag hinweg.» Allen voran seine Familie, Sponsoren und das Militär, wo er bis Ende Jahr als Zeitsoldat angestellt ist. Ab dem 1. Januar übernimmt Reichmuth zusammen mit einem Kollegen ein Velogeschäft in Willisau. «Die neue Herausforderung motiviert mich, so schnell wie möglich wieder gesund zu werden.»

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