Vor einem Jahr rieb sich die Leichtathletik-Welt die Augen. Dominic Lobalu (24), geflüchtet aus dem Südsudan, seit vier Jahren in der Schweiz, lief der Konkurrenz um die Ohren. Es war im Juli 2022, als er beim Diamond-League-Meeting in Stockholm seine Gegner um Weltmeister Jacob Kiplimo (Uganda) stehen liess und in 7:29,48 Minuten das Rennen über 3000 m gewann. Anfang September in Brüssel wurde er in Brüssel über 5000 m Vierter, in den Rennen, die er danach bestritt, bewies er jedes Mal, dass er Weltklasse-Niveau hat.
Klingt nach einer tollen Geschichte, vielleicht wird sie das auch noch. Aber im Moment ist sie auch sehr traurig, und in entscheidenden Teilen wird sie das immer bleiben. Dem Magazin der «Tamedia»-Zeitungen erzählte Lobalu unlängst seine Lebensgeschichte. 2007 wurden seine Eltern im Südsudan getötet, er floh nach Kenia, wurde mit 15 als Läufer für das Flüchtlingsteam des Internationalen Olympischen Komitees entdeckt. Dort durfte er laufen, auch in Europa starten, doch es war nicht alles Gold, was glänzte. Die Athleten wurden schlecht behandelt, eine Reihe von ihnen türmte. 2019 war er mit dem Team für einen Start in Genf – und auch er setzte sich ab.
Als Flüchtling darf er im Moment nicht starten
Ein Zufall also brachte ihn in die Schweiz. Via Chiasso und Ennetbühl SG landete er in Abtwil SG, wo er seit zwei Jahren lebt und vom Coach Markus Hagmann trainiert wird. Nun gibt es ein Problem: Für den Südsudan kann und will er nicht starten, für die Schweiz darf er nicht, er hat ja den Pass nicht. Er wird ihn frühestens 2031 überhaupt erst beantragen können.
Heisst: Lobalu wird diesen Sommer in der Diamond League um Ruhm, Ehre und Preisgelder laufen dürfen. Aber wenn es um Edelmetall geht, bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften, kann er nicht starten. Fürs IOC-Flüchtlingsteam kann er nicht antreten, weil er von der Schweiz nicht als Flüchtling anerkannt ist, mittlerweile gilt er als «Arbeitsimmigrant», der vorläufig bleiben darf.
Der Schweizer Verband versucht zu helfen
Doch es gibt Hoffnung. Der Schweizer Leichtathletik-Verband Swiss Athletics setzt sich für Lobalu ein. Man hat eine Starterlaubnis für ihn beantragt – das geht unter ganz speziellen Bedingungen. Und so könnte es sein, dass die Schweiz bald einen neuen Weltklasseläufer in ihren Reihen hat.
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«Dominic Lobalu hat es sich aufgrund seiner Geschichte und seiner Leistungen verdient, an grossen Meisterschaften starten zu dürfen – alles andere würde den Werten des Sports widersprechen», sagt Christoph Seiler, Präsident von Swiss Athletics. «Wir schöpfen unsere Möglichkeiten gegenüber World Athletics aus, um ihm dabei zu helfen. Dabei ist es sekundär, ob Dominic Lobalu letztlich für die Schweiz starten darf oder doch noch eine andere Lösung gefunden wird. Wir setzen uns für Dominic ein, nicht für uns.» Was Seiler damit antönt: Viele Fragen sind noch nicht geklärt. Würde eine WM-Medaille im August in Budapest dem Schweizer Medaillen-Konto angerechnet? Entscheidend ist das aus Schweizer Verbandssicht nicht.
Nun muss das Nationality Review Panel des Leichtathletik-Weltverbandes entscheiden. Wann es so weit sein wird? Das kann morgen sein, in zwei Wochen, in zwei Monaten. Lobalu hat seinen Fall geschildert, Swiss Athletics hat die nötigen Dokumente eingereicht. Beim Schweizer Verband ist man optimistisch, tappt aber im Dunkeln. Vielleicht kommt auch noch einmal eine Nachfrage, vielleicht reicht es nicht bis zum WM-Meldeschluss Anfang August. Wird der Antrag durchgewunken, es wäre wohl historisch – ein vergleichbarer Fall ist nicht öffentlich bekannt. «Ich bin ein sehr geduldiger Mensch», sagt Lobalu dem «Tages-Anzeiger». Das dürfte beim Warten helfen. Bis dahin tut er das, was er am liebsten tut: laufen. Am Wochenende startet er in Genf. Am selben Lauf, bei dem er sich vor vier Jahren absetzte.