Noah Lyles ist ein toller Athlet. Ein Superstar der Leichtathletik-Szene. Ein Prachtskerl. Muskulös, schnell, schön, immer zu einem Spässchen aufgelegt. Und der US-Sprinter ist erfolgreich, der schnellste Mann über 200 Meter, Weltmeister, alles super.
Alles super? Mitnichten. In Lyles Kopf sieht das alles ganz anders aus, düster, manchmal tiefschwarz. Da sind die Geister, die ihm das Leben schwer machen. Der 23-Jährige leidet an Depressionen. «Das geht so, seit ich acht Jahre alt bin, und äussert sich in unterschiedlichen Formen und zu unterschiedlichen Phasen in meinem Leben.»
In den letzten Monaten sei es ganz schlimm geworden. «Es war das Schwerste, mit dem ich jemals zurechtkommen musste», sagte er vor dem Start der Diamond League am Freitag in Monaco. Es sei ihm einfach zu viel geworden. Corona, die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio und die Black-Lives-Matter-Bewegung. Es ging bis an die Grenzen der Erträglichkeit, und darüber hinaus.
Mord an Floyd war zuviel
«Am schlimmsten war es im April», sagt Lyles: «Es war der perfekte Sturm aus all diesen Dingen. Dann denkst du dir: OK, worauf soll ich meine Aufmerksamkeit jetzt richten?» Vor allem die durch den gewaltsamen Tod des Schwarzen George Floyds ausgelöste Bürgerrechtsbewegung machte ihm schwer zu schaffen: «Das war der letzte Nagel im Sarg.»
Er sei an den Punkt gekommen, wo ich gesagt habe: «Ich kann das hier nicht mehr!» Seine Mutter Keisha Cane musste ihn davon überzeugen, dass jetzt nur noch Medikamente helfen würde. Seit Anfang August nimmt Lyles Anti-Depressiva: «Es war eine der besten Entscheidungen, die ich seit einer Weile getroffen habe», schrieb er auf Twitter. Seitdem könne er denken «ohne den dunklen Unterton, dass alles egal ist.» Neben den Medikamenten wird der 23-Jährige sportlich und persönlich von zwei Therapeuten betreut.
Neustart in Monaco
Heute tritt Lyles in Monaco über seine Paradestrecke 200 Meter an. Ein erster Schritt zurück in die Normalität. Und auf der Bahn werden nicht mehr die bösen Geister seine Gegner sein, sondern Athleten aus Fleisch und Blut, so auch sein Bruder Josephus.