Es durfte geträumt werden vor dem Final über 200 m. Wenn alles zusammenpassen würde, Mujinga Kambundji (30) noch einmal eine Schippe drauflegen könnte, dann könnte die Bernerin in Eugene (USA) ihre die zweite 200er-Medaille nach Bronze in Doha 2019 holen. Oder zumindest noch einmal ihren Schweizer Rekord verbessern, gar als erste Eidgenossin unter 22 Sekunden laufen.
Man merkts am Konjunktiv: Es kommt in der Nacht auf Freitag anders. Zwar sind die Medaillen in Reichweite, Dina Asher-Smith holt in 22,02 Sekunden Bronze, ist damit nur drei Hundertstel schneller als Kambundji bei ihrem Schweizer Rekord am Mittwoch. Doch die Hallenweltmeisterin kommt nicht auf Touren.
Auf der schwierigen Bahn 1 lässt sich ihr Lauf zwar gut an – die Jamaikanerin Elaine Thompson-Herah kann neben ihr zunächst nicht davonziehen – doch hinten raus wird es schwierig. 22,55 Sekunden flackern am Ende für Kambundji auf der Anzeigetafel auf, eine Zeit, die nicht im Bereich dessen ist, was von ihr erwartet werden darf. «Es geht so», sagt sie darum nach dem Lauf bei «SRF» über ihre Gefühlslage. «Ich weiss, es ist nicht schlecht. Aber ich wäre gerne näher an den anderen dran gewesen.»
Zu viel Energie auf den ersten Metern verbraucht
Was auffällt: Offenbar sind die Bedingungen für alle schwieriger. «Die anderen sind alle auch langsamer gelaufen als vorgestern», sagt Kambundji mit Blick auf ihren starken Halbfinal. Fast alle zumindest: Die Jamaikanerin Shericka Jackson rennt wie von einem anderen Stern, mit 21,45 Sekunden bleibt sie gerade mal 11 Hundertstel über dem Ewig-Weltrekord von Florence Griffith-Joyner. Auch Landsfrau Shelly-Ann Fraser-Pryce (21,81) kann da nicht im Ansatz mithalten. Ein Wahnsinn.
Aber was bleibt nun als Bilanz von Kambundjis 200er? «Der Rang ist für mich nicht das Problem», sagt Trainer Adrian Rothenbühler über Platz 8. «Die Zeit ist noch etwas schwieriger einzuordnen.» Seine Analyse: «Sie hat wohl zu viele Körner vergeben in der Kurve.» Da also, wo sie auf der Innenbahn den Gegnerinnen noch gut Paroli bietet. «Der Aufwand, den sie betrieb, war zu gross. Hinten raus hatte sie dann die Stöckelschuhe an», greift Rothenbühler zu einem Vergleich. Heisst: Kambundji läuft zwar in hoher Frequenz, kommt aber nicht mehr schnell genug vorwärts. «Da haben die anderen den Schritt aufgetan.»
Kambundji: «Natürlich läuft man gerne schneller im Final»
An der bärenstarken WM-Bilanz mit zwei Final-Qualifikationen ändert das nichts. Dass eine Schweizerin in der Weltsportart Leichtathletik über 100 m Fünfte und 200 m Achte wird, bleibt herausragend. Dass nach dem 200er an der Zeit herumgemäkelt wird, spricht auch für das Weltklasse-Niveau, auf dem sich Kambundji mittlerweile bewegt. «Natürlich läuft man gerne ein bisschen schneller im Final», sagt sie. «So wie ich es über 100 m gemacht habe.»
Auf der kurzen Distanz wartet nun noch einmal ein Einsatz auf Kambundji. Mit der 4x100-m-Staffel ist eine Medaille im Bereich des Möglichen. Doch zuerst bekommt die Bernerin nach sechs Einsätzen in sechs Tagen eine Pause. Im Staffel-Halbfinal wird sie geschont, damit sie im Final wieder frisch ist – und dann die Stöckelschuhe im Schrank lassen kann.