Fragwürdige EM-Selektion
Liebesbeziehung sorgt für Zoff im Karate

Im Karate-Verband fliegen die Fetzen. Eine Legende des Sports attackiert den Präsidenten. Es geht unter anderem um ein Telefonat kurz vor der EM-Selektion.
Publiziert: 18.09.2023 um 10:13 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2023 um 17:21 Uhr
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Steht in der Kritik: Selektionspräsident Marc Keller.
Foto: Marc Keller
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Nicola AbtReporter Sport

Es ist eine Mitteilung mit Explosionsgefahr, die der Karate-Verband am 30. Januar 2022 verkündet. Ex-Athlet Luca Rohner wird per 1. Mai 2022 zum Chef Leistungssport ernannt. Das stösst einigen Karate-Vertretern sauer auf. Sie befürchten eine Vetterliwirtschaft. Hintergrund: Rohner ist der Freund von Melinda Mark (28), einer noch aktiven Athletin in der Disziplin Kata. Sie ist zudem die Athletenvertreterin.

Ein paar Monate später kommt es zum Eklat: Mark wird für die Kata-EM selektioniert, obwohl sie weniger Punkte hat als ihre jüngere Konkurrentin Lanyfer Minano (19). Ein Karate-Insider tobt. «Das ist ein Skandal!» Öffentlich dazu äussern will er sich nicht. Die Angst vor möglichen Konsequenzen ist zu gross.

Karate-Legende Roland Zolliker (71), der 2022 als Präsident zurückgetreten ist, aber noch immer für den Verband arbeitet, spricht Klartext: «Dieser Entscheid war gegen das Selektionsreglement. Dieses schreibt vor: Wer mehr Punkte hat, wird selektioniert.» Ein solches Fehlverhalten habe er in seiner Zeit als Präsident des Karate-Verbandes (1988-2022) nie erlebt.

Fragwürdige Passivität des Freundes

In der Disziplin Kata kann die Schweiz nur eine Athletin an die EM und WM schicken. Die Entscheidung trifft der Selektionsausschuss. Dieser besteht aus sechs Personen. Eine davon ist Luca Rohner. Er hat sich bei der Abstimmung enthalten, war neutral. Für Zolliker ein No-Go. «Als Chef Leistungssport muss er dafür sorgen, dass die Spielregeln eingehalten werden. In diesem Fall hat er das nicht getan. Aus welchen Gründen auch immer.»

Selektionsausschuss-Präsident Marc Keller erklärt den Entscheid zugunsten von Mark. «Zurzeit kann Lanyfer noch in den U21-Kategorien starten und dort ihr Können auf hohem Niveau bestätigen.» Weiter führt er aus: «Bei einer Elite EM-Selektion hätte Lanyfer innerhalb weniger Wochen gleich zwei grosse Turniere bestreiten müssen, was wir als ungünstig beurteilten.» Zudem wolle man den Konkurrenzkampf zwischen den beiden möglichst lange aufrechterhalten.

Und was sagt Luca Rohner? Nichts! «Ich war so frei und habe entschieden, die Fragen an L. Rohner nicht weiterzuleiten», teilt Keller mit. Sagt aber, dass er bei Rohner jeweils genau hinschaue. «Wenn unsachliche Argumentationen eingebracht werden oder ich spüre, dass die Argumente nicht objektiv sind, dann spreche ich das unverblümt an. Ich muss aber sehr selten eingreifen.»

Selektionsausschuss-Präsident nimmt (zu) viel Einfluss

Zu heftigen Diskussionen führte auch ein Telefongespräch am Vorabend der Selektion. Präsident Keller und die Kata-Nationaltrainerin Michelle Saner unterhielten sich mit Lanyfer Minano und ihrem Vater. Darin wurde der Athletin erläutert, dass der Selektionsvorschlag zugunsten von Mark ausfällt. Minano muss mit der U21-EM und U21-WM vorliebnehmen.

Als Zolliker vom Telefongespräch erfährt, schüttelt er den Kopf. «Keller hat als Präsident vor einer Abstimmung neutral zu sein. Der Selektionsvorschlag kommt ausschliesslich von der Nationaltrainerin.» Mittlerweile beschäftigt sich auch Swiss Sport Integrity (SSI) mit dem Fall. Für Zolliker ist klar: «Wenn die SSI das Fehlverhalten bestätigt, muss Keller zurücktreten!»

Keller zeigt sich selbstkritisch: «Wir wollten Lanyfer den Vorschlag erläutern und ihr die Wertschätzung für ihre sportliche Entwicklung entgegenbringen. Leider ist uns dies in keiner Weise gelungen. Ich habe meinen Fehler eingesehen.»

Heftige Kritik an der Nationaltrainerin

Aus dem Selektionsausschuss ist zu vernehmen, dass sie sich grösstenteils der Empfehlungen der Nationaltrainer anschliessen. «Dann ist Melinda sowieso unantastbar», meint Iren Baumann (21) und verdreht die Augen. Die Bernerin war bis Anfang Jahr im Kata-Nationalteam. Dann gab sie den Austritt. «Ich hatte die Piesackerei satt, fühlte mich nicht erwünscht.»

Gemäss Baumann sind die Kata-Nationaltrainerin Saner und Mark sehr gute Kolleginnen. Das bestätigen auch andere Karate-Insider. Saner selbst kann sich dazu nicht äussern. Wie bei Rohner verweigert Keller die Kontaktaufnahme. Er halte für sie den Kopf hin, so seine Argumentation.

Eklat an der SM

Das Verhältnis von Saner und Minano ist schlecht – sehr schlecht. Zum Ausdruck kam das an der letztjährigen Schweizermeisterschaft. Im Halbfinal setzte sich Minano gegen Mark durch. Kurz darauf wurde sie Schweizermeisterin.

Eine Gratulation von der anwesenden Nati-Trainerin gab es nicht. «Das ist ganz schwach», sagt Zolliker. Ein Karate-Insider geht noch weiter: «Man sollte ihr die Trainerlizenz entziehen. Bereits mehrfach hat sie bewiesen, dass sie nicht neutral ist.» Lanyfer Minano will vorerst nicht öffentlich Stellung nehmen.

Die beste Athletin muss zu Hause bleiben

Vor wenigen Wochen folgte das nächste Kapitel im Selektions-Zoff. Diesmal betraf es das Team-Kata. Der Verband selektionierte Melinda Mark, Anina Suter und Elena Blaser für die WM im Oktober. Lanyfer Minano, die Weltnummer 31 und damit beste Schweizerin, fehlt im Aufgebot. Ihr werden mit Suter und Blase zwei Athletinnen vorgezogen, die sich in der Weltrangliste über 200 Plätze hinter ihr befinden. Zudem war Minano im Direktvergleich an den nationalen Turnieren immer besser klassiert als die beiden.

Die Nicht-Berücksichtigung von Minano erklärt Keller so: «Aktuell ist eine Selektion von Lanyfer kein Thema, da sie nicht an den Nationaltrainings teilnimmt.» Brisant: Mit Blaser wurde eine Athletin selektioniert, die kein Nati-Mitglied ist und ebenfalls nicht an den Nationaltrainings teilnimmt.

Plötzlich zählt das Punkte-Argument

Minano wartet weiterhin auf die Selektion für ihren ersten Elite-Grossanlass. An der diesjährigen WM darf Mark starten. Dank eines Vorsprunges von 75 Punkten. Die Zähler holte sie an einem Turnier, bei dem Minano nicht teilnehmen durfte. Gewisse Wettkämpfe sind für die Top 32 der Welt gesperrt.

Ein Fakt, den Keller ignoriert: «Wir haben uns strikt und ohne Interpretationsspielraum an das Reglement gehalten.» Zolliker muss schmunzeln. «Diesmal zählt das Punkte-Argument. Sehr spannend.»

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