So lief die legendäre Finalissima 2006
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FCB-Zubi und FCZ-Stahel:So dramatisch lief die Finalissima 2006

Zürich kann in Basel Meister werden
Zubi und Stahel blicken auf Finalissima 2006 zurück

Der eine gab am 13. Mai 2006 den Assist, der andere kassierte den Last-Minute-Treffer. Florian Stahel (37) und Pascal Zuberbühler (51) schauen auf jene denkwürdige Finalissima zurück. Was aus den Meister-Zigarren wurde und was sich Ref Busacca bis heute anhören muss.
Publiziert: 01.05.2022 um 00:51 Uhr
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Aktualisiert: 01.05.2022 um 14:50 Uhr
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Pascal Zuberbühler und Florian Stahel diskutieren die heissen Szenen aus der Finalissima 2006.
Foto: TOTO MARTI
Andreas Böni (Interview), Toto Marti (Fotos)

Es ist angerichtet. Heute Abend kann der FC Zürich in Basel Meister werden. Ein Punkt reicht für den 13. Meistertitel des Stadtklubs. Es ist ein Spiel, das Erinnerungen weckt.

Rückblende. 13. Mai 2006: Dem FC Basel, zu Hause seit 59 Spielen in Folge ungeschlagen, reicht am letzten Spieltag ein Punkt zum Meistertitel im Spiel gegen Zürich. Der FCZ kann mit einem Sieg noch Meister werden. Explosive Stimmung liegt in der Luft – und es wird einer der geschichtsträchtigsten und skandalösesten Abende in der Geschichte des Schweizer Fussballs.

Beim FC Basel steht Pascal Zuberbühler im Tor. Beim FC Zürich spielt Florian Stahel als Rechtsverteidiger. Knapp 16 Jahre später sitzen sie im Restaurant Doktorhaus in Wallisellen, wo beide wohnen. «Wir treffen uns wegen der Kinder immer mal wieder auf dem Schulhausplatz oder im Schwimmbad», sagt Stahel. Dann reden die Rivalen, die heute fast Nachbarn sind, über jenes denkwürdige Spiel von 2006.

Zubi, wie war die Woche vor der Partie?
Pascal Zuberbühler:
Ich weiss nichts mehr – oder wenig.
Florian Stahel: Eigentlich hatten wirs ja nicht mehr in den eigenen Füssen. Unter der Woche spielte Basel in Bern bei YB, der FCB wäre mit einem Punkt Meister gewesen. Ich erinnere mich noch an ein Tor von Hakan Yakin.
Zubi: Dieser blöde Freistoss! Dieser schlechte Kick von uns war der Grund für die ganze Misere zum Schluss. Da haben wir die Saison versaut.
Stahel: Wir FCZ-Spieler sassen zu Hause bei Marc Schneider und schauten es uns im TV an. Danach wussten wir: Nun können wir den Kübel nach 25 Jahren endlich wieder nach Zürich holen.

War die Anfahrt im Bus anders als sonst, Florian?
Stahel: Wir kamen erst am Spieltag. Aber das war normal in dieser Saison, wir änderten nichts. Aber wir hatten Mumm in den Knochen, weil wir den FCB im Cup-Halbfinal bezwungen hatten. Und waren daher guten Mutes.

Zürich geht nach 30 Minuten durch Alhassane Keita in Führung, in der 72. Minute gleicht Mladen Petric aus. Ekstase im St. Jakob-Park, einige stürmen bereits aufs Spielfeld.

Zubi, da dachten Sie, dass jetzt alles gut kommt, oder?
Zubi:
Im Fussball kommt nichts automatisch. Wir waren da, aber es passierten Dinge, die einfach gegen uns liefen. Beim Tor durch Keita schlug ich den Grind am Pfosten an, zum Beispiel. Aber es war ein Riesenmatch mit einer Wahnsinnsstimmung. Und bei Mladen staunte ich, dass er den Freistoss in die Goalie-Ecke schlug und traf, sonst hob er ihn jeweils über die Mauer.
Stahel: Ich glaube, Johnny Leoni machte noch einen Schritt in die andere Richtung.
Zubi: Jetzt nur nicht die Goalies kritisieren ... Gibst du ihnen ein Zückerli, schon legen sie gegen uns los (lacht).

Bis in die Nachspielzeit passiert nichts, dann der letzte verzweifelte Anlauf des FC Zürich. Bruno Berner, der Linksverteidiger vom FC Basel, schlägt den Ball ins Aus – in hohem Bogen.

Zubi, Sie dachten doch, Schiedsrichter Massimo Busacca werde abpfeifen ...
Zubi:
Ich spürte, dass die Zeit gleich vorbei sein muss. Ich weiss noch, wie ich dem Ball nachschaute. Er war noch in der Luft, als Alain Nef schon wieder eingeworfen hat. Ich habe mit ihm und auch Schiedsrichter Massimo Busacca die Szene schon hundertmal diskutiert.
Stahel: Ja, okay, der Ball war lange in der Luft.
Zubi: Der fliegt heute noch, der Ball – der ist immer noch unterwegs.
Stahel: Wir sahen nicht genau, wo er rausging.
Zubi: Massimo hats auch nicht gesehen.
Stahel: Wir glaubten bis zum Schluss an uns. Ich hatte in der 88. Minute Krämpfe, legte mich in deinem Strafraum hin, musste dehnen, damit ich überhaupt weitermachen konnte. Ihr hattet, glaube ich, zwei Konter, die ihr nicht gut ausgespielt habt. Es war pure Hektik auf dem Feld. Und dann ging ich einfach vorne rein.
Zubi: Und dann kommt der Ball in den Strafraum. Irgendwie. Wegen deiner Wunderflanke.

Der Ball gelangt nach dem Einwurf zu Keita, Florian Stahel flankt, Iulian Filipescu vollendet im Strafraum das Werk. 92:45 Minuten zeigt die Matchuhr an. Es ist Stahels erster Assist der Saison in Runde 36.

Stahel: Das ganze Stadion verfiel in Schockstarre. Irgendwo weit weg hörte ich unsere fantastischen Fans jubeln. Es war surreal.
Zubi: Das Buch musste so fertig geschrieben werden. Aber klar ist: Hätten wir in Zürich gespielt, wären wir Meister geworden. Ihr wärt gar nicht mehr zum Einwurf gekommen.

Warum?
Zubi: Bei euch wärs nicht so schnell gegangen. Da wäre der Ball noch eine halbe Minute lang auf der Tartanbahn rumgehopst. Der würde heute noch rollen.

Warum gab der Basler Ballbub Nef den Ball so schnell?
Zubi:
Wir sind eben fair gewesen. Aber eben, du kannst alles auseinandernehmen. Warum haben wir nicht anders befreit? War der Einwurf korrekt und nicht 20 Meter zu weit vorne? Ich arbeite ja mit Massimo Busacca bei der Fifa. Ich sagte ihm schon x-mal, andere Schiris hätten da 15 Sekunden früher abgepfiffen …

Anruf bei Massimo Busacca. Zubi soll ein bisschen näher zu Stahel rutschen, sagt: «Nein, nein, der war schon zu nah in meinem Strafraum.» Und der Ex-Goalie kündigt an: «Busacca wird gleich sagen, dass Zubi den halten muss.»

Busacca geht ran. Die Frage: «Massimo, wir wollen über das 2:1 von 2006 reden. Ein Fehler?» Der Tessiner lacht und fragt: «Vom Schiedsrichter oder vom Torhüter?»

Zubi und Busacca witzeln, nehmen sich gegenseitig hoch. Busacca meint: «Ich habe hundertmal gesagt, dass der Ball sehr hoch war. Es war sehr schwer zu sehen, wo genau er aus dem Feld flog. Aber sicher können wir diskutieren, ob es korrekt war oder nicht.»

Der Ball sei ja nicht direkt ins Tor gegangen. «Er ging noch zu einem Spieler, dann zu noch einem und zu noch einem und dann ins Netz», so Busacca.

Beim Einwurf sei es öfters nicht immer zu hundert Prozent präzise. «Lustig ist, dass wir nicht sofort über die Szene diskutierten, sondern nach Stunden oder nach Tagen», sagt der Ex-Weltklasse-Ref, heute Schiri-Boss der Fifa. Der VAR würde auch heute nicht eingreifen: «Sicher nicht bei einem Einwurf. Das ist der Faktor Mensch, das ist Fussball. Das gehört dazu.»

Zubi, war er haltbar?
Zubi:
Man kann jeden Ball halten. Wenn ich bei einem gewünscht hätte in meiner Karriere, ihn zu halten, wäre es dieser gewesen. Aber es ging alles schnell.
Stahel: Es ist ein bisschen wie ein Film, der nachher ablief.
Zubi: Es war brutal. Du stehst da und denkst, dass du in einem Traum bist. Dass du gleich erwachst. Und wir reden heute, 16 Jahre später, über dieses Stück Fussballgeschichte.
Stahel: 35 Runden spielst du, ein Jahr lang, arbeitest auf das gleiche Ziel hin. Und dann entscheidet sich alles in Sekunden.
Zubi: Mir zog es den Boden unter den Füssen weg.

Die damalige FCB-Präsidentin Gigi Oeri und die FCB-Bank tragen bereits Meister-Leibchen. «Gigi, du kannst es wieder ausziehen!», habe er hinübergerufen, erzählt Kultmasseur Hermann Burgermeister später.

Zubi: Ich sah keins von diesen Shirts. Ich stand nur da und links und rechts rauschten die Fans an mir vorbei auf dem Feld. Es klöpfte in der Mitte. Und ich verstehe: Ich wache nicht auf, es ist kein Traum.

Nach dem Tor gehts rasend schnell. Einige Chaoten aus der Muttenzerkurve geraten ausser Kontrolle, stürmen das Spielfeld. Die Polizei versucht sie zurückzudrängen, mit Gummischrot und Tränengas. Fackeln hin und her. 115 Verletzte, 25 Festnahmen, eine halbe Million Franken Schaden. Zwei Geisterspiele, für drei weitere Partien wurde die Muttenzerkurve geschlossen – so die Strafe.

Wo waren Sie, Florian?
Stahel:
Ich realisierte, dass ich es nicht bis zum Eingang zur Senftube schaffe, wo die Garderoben sind. Die Basel-Fans kamen mir schon entgegen. Ich flüchtete intuitiv auf die Haupttribüne und wartete dort. Einige Spieler schafften es in die Katakomben, aber wir waren vor der Pokalübergabe alle irgendwo verteilt. Irgendwann schafften wir es aber alle, danach mussten wir etwa zwei Stunden warten, bis wir aus dem Stadion konnten.

Hatten Sie Angst?
Nein. Es war ein Schockmoment, irgendwie, aber da war auch ganz viel Euphorie mit dem Meistertitel nach 25 Jahren.

Wohin gingen Sie, Zubi?
Ich weiss nichts mehr. Keine Ahnung, ich weiss nicht mal mehr, wie ich nach Hause kam. Es war schwer, alles zu verarbeiten. Die ersten zwei, drei Wochen waren mühsam – und jetzt reden wir, 16 Jahre später, wieder darüber. Denn als Spieler willst du am liebsten am nächsten Tag gleich wieder spielen und die Schmach wiedergutmachen. Du musst angefressen sein. Wenn du das nicht in dir hast, bist du im falschen Beruf. Das muss ja bei euch auch so sein: Wenn ihr einen schlechten Artikel schreibt oder eine schlechte Sendung auf Blick TV macht, dann wollt ihr auch schnell wieder gute Geschichten machen, damit man positiv über eure Arbeit redet.

FCB-Chaoten greifen FCZ-Meisterteam an
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Die Schande von Basel 2006:FCB-Chaoten greifen FCZ-Meisterteam an

Angeblich lagen Ihre Meister-Zigarren schon bereit.
Ja, ich hatte eine ganze Schachtel für meine Mitspieler dabei. Man muss ja vorbereitet sein.

Haben Sie sie später geraucht?
Ich habe sie, glaub ich, in den Fluss geschmissen.

Die Krawalle gehen über Stunden weiter. Es ist die «Schande von Basel» oder die «93. Minute» – zwei Begriffe, die über Jahre stehen bleiben. Der FCZ feierte zwei bis drei Tage lang, sagt Stahel. «Erst dann realisierten wir alles langsam.»

Was machte dieser Sieg aus dem FCZ?
Stahel:
Wir wuchsen noch enger zusammen. Trainer Lucien Favre war das Puzzleteil, hatte die Charaktere mit Fredy Bickel sehr gut zusammengestellt. Und wir wurden 2007 wieder Meister, waren noch dominanter.

Und Sie waren betrunken nach der Meisterfeier 2007 bei Moderator Roman Kilchsperger in der Morgensendung von Radio Energy.
Stahel:
Das bleibt den Leuten in den Köpfen (lacht).
Zubi: An das könnt ihr euch erinnern – typisch Blick (lacht).

Zubi, was machte diese Jahrzehntpleite aus dem FCB?
Die Stadt war geschockt, klar. In Basel ist der Zusammenhalt zwischen Baselland, Basel-Stadt und den Spielern extrem. Als Thurgauer war es beeindruckend, dies zu spüren. Darum hats mir in den letzten Jahren fast den Deckel gelupft. Weil ich merkte, dass der Verein sich unter der alten Führung so abwendet von den Fans. Das war abartig zu sehen. Als Fussballer erfolgreich zu sein in Basel, Champions League zu spielen, Meister-Titel zu holen, das war grossartig. Die Leute waren am Montag gut drauf, wenn wir am Wochenende siegten. Und wenn wir verloren, waren einige Geschäfte geschlossen. Diese Leidenschaft ist fantastisch, sie bleibt ein Leben lang. Für dieses Lob, für diese Kritik lebst du, trainierst du, hast du Krämpfe.
Stahel: Darum verstehen wir uns so gut. Er verstand meine Euphorie nach dem Sieg, ich seine tiefe Leere. So muss es sein unter Sportlern.

Zubi, Sie hätten gerade Sportchef des FC Basel werden können. Warum wollten Sie nicht?
Es war kein Entscheid gegen den FC Basel, sondern einer für die Fifa, wo ich einen tollen Job als Senior Football Expert habe. Ich arbeite viel – für alle, die dies lesen. Die glauben, bei der Fifa sei es locker, man mache wenig und verdiene viel Geld. Wir machen wirklich viel für den Fussball. Und die Vorurteile verstehe ich nicht wirklich, auch wenn jeder seinen Mist dazugeben darf.

Wäre das denn gegangen mit David Degen und Ihnen beim FCB?
Absolut. Ich lernte die Degen-Zwillinge beim FCB kennen, war einer der älteren Spieler, als sie jung dazukamen. Es klöpfte schon das eine oder andere Mal im Training. Aber es hätte gepasst.

Florian, Sie sind ja auch nah beim FCZ geblieben ...
Ja, ich arbeite seit vier Jahren für Ringier Sports (eine Firma der Ringier AG, die auch den Blick Sport herausgibt; Anm. d. Red.) und bin für die Vermarktung des FCZ zuständig. Per Ende Saison jedoch geben wir dieses Mandat ab und ich werde intern bei Ringier Sports eine neue Aufgabe übernehmen, auf welche ich mich sehr freue.

Der FCZ kann am Sonntag Meister werden. Kann der FCB das verhindern?
Zubi:
Ich hoffe vor allem, dass beide Mannschaften Werbung für den Schweizer Fussball machen. Ich will ein Spiel wie Manchester City gegen Real Madrid in der Champions League sehen …

«Zürich ist der verdiente Meister»
3:28
FCB-Legende Zubi:«Zürich ist der verdiente Meister»

Ein frommer Wunsch.
Ich meine, von der Art her. Basel wird sicher über sich hinauswachsen, um gewinnen zu können. Der FCZ ist der verdiente Meister. Der FCB wurde trotz Umstrukturierung Zweiter, da kann man einen grünen Haken machen – jetzt gehts an die schwierige Zukunftsplanung, auch finanziell. Vor allem aber appelliere ich an jeden Fan, der ins Stadion kommt, Stimmung zu machen und nicht zu randalieren. Dass sich alle untereinander mit Respekt begegnen – die Fanlager, die Spieler und alle Verantwortlichen.
Stahel: Zubi hat alles gesagt. Ein friedliches Spektakel, das wäre toll.

Verrückt ist, dass mit Blerim Dzemaili ein ehemaliger Teamkollege von Ihnen immer noch dabei ist.
Stahel:
Es ist eine wunderschöne Geschichte. 2006 feierten wir zusammen den ersten Meistertitel, dann machte er eine tolle Karriere und steht nun wieder ganz oben mit seinem Herzensklub. Er hat eine überragende Saison als Patron und Chef gemacht.

Zubi, Schlussfrage. Sie schwärmen von André Breitenreiter. Soll der FCB ihn abwerben?
Zubi:
Ich glaube, da bringt alles Abwerben nichts. Ich gehe davon aus, dass er in Zürich bleibt. Oder dass er nach Deutschland geht. Aber zum FCB? Kann ich mir nicht vorstellen.

FCB-Zubi und FCZ-Stahel über das dramatische Meisterschaftsfinale von 2006
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FC Basel – FC Zürich:Das war das Meister-Drama 2006
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