Am 1. Oktober kehren die Fans in die Stadien zurück. Mit ausgeklügelten Schutzkonzepten. Es ist eine Rückkehr auf Bewährung. Ein Vertrauensvorschuss der Behörden an die Klubs und die Fans, die sich ihrer Eigenverantwortung bewusst sein müssen. Nicht mit dabei bei der Rückkehr sind die Fussballfans in den Kurven, die unter diesen Bedingungen nicht in die Stadien wollen. Als Präsident von Fanarbeit Schweiz ist der Basler Josef Zindel (67) der «oberste» Fan im Land.
Josef Zindel, wie definieren Sie den Begriff «Fan»?
Josef Zindel: Das sind im Grunde genommen alle Menschen, die ins Stadion gehen oder daheim vor dem Fernseher mit einer gewissen Leidenschaft ihre Mannschaft unterstützen. Es ist ein Oberbegriff für ein sehr heterogenes Gebilde. Da gehören Sponsoren dazu, Familien und Fanclubs. Und selbstverständlich die sogenannten «Kurven». Kurven sind keine Organisationen im klassischen Sinn wie Vereine oder Interessensgemeinschaften, aber sie sind hervorragend organisiert, selbst wenn es in den Fankurven wie überall sonst sehr unterschiedliche Vorstellungen von Fankultur, Fan-Sein und auch Fanarbeit gibt.
Um all diese Gruppierungen kümmert sich Fanarbeit Schweiz?
Fanarbeit Schweiz ist eine Art von Dachverband für die lokalen Fanarbeits-Stellen, zum Beispiel für die Fanarbeit Bern, die Fanarbeit Basel, St. Gallen und und und. Für die sind wir die nationale Anlaufstelle für übergeordnete Fragen von nationaler oder internationaler Bedeutung. Dazu sind wir die Organisation, die im ständigen Austausch und in Verhandlungen mit allen «Playern» sind, also mit Behörden, Polizei Verbänden, Politik, ÖV und Clubs sind, immer in enger Zusammenarbeit mit den lokalen Fanarbeiten. Denen reden wir nicht drein, die sind autonom, die kennen die lokalen Fanszenen, aber bei Bedarf beraten wir sie. Doch in der Praxis ist es schon so: Die Fanarbeit, egal ob lokal oder im Fall von Fanarbeit Schweiz, arbeitet in erster Linie mit und für die Kurven.
Also mit den Problemfällen.
So tickt der Boulevard! (lacht). Innerhalb der Fanarbeit und selbst bei den Behörden, Clubs und der Justiz käme niemand ernsthaft auf die Idee, die Fans in den Kurven pauschal als «Problemfälle» zu bezeichnen. Selbstverständlich gibt es wie überall sonst in der Gesellschaft auch da Problemfälle, wie Sie es nennen.
Reden Sie jetzt nicht Probleme mit den Fussballfans schön?
Nur weil ich «Fans» und «Problemfälle» differenziere? Klar ist, dass die Fanarbeit auch gewisse anwaltschaftliche Rollen für die Fans übernimmt, aber in erster Linie ist Fanarbeit Sozialarbeit. Sie hat das Ziel, mit Dialog und Prävention Gewaltbereitschaft oder Gewalt zu vermindern, ein unglaublich schwieriges Unterfangen, das auch die Polizei und die Politik allein nicht lösen können. Zudem fördert die Fanarbeit die Selbstregulierung und Selbstverantwortung in den Fankurven.
Aber bei einem Teil der «Fans» in den Kurven hilft Sozialarbeit nicht mehr weiter, oder?
Fanarbeit und Sozialarbeit sind nicht in Stein gemeisselte Formate, sondern sie sind im dauernden Prozess unterwegs, wie übrigens auch jene, die für die Sicherheit zuständig sind. Auch für die gilt in der Regel längst nicht mehr die eiserne Faust und «Law and order». Als Beispiel dafür, wie Fanarbeit und die Akzeptanz der Fanarbeit langsam, aber stetig gewachsen sind, erinnere ich an 2006, als FCB-Fans aus der Muttenzerkurve nach der in letzter Sekunde an den FCZ verlorene Meisterschaft den Platz stürmten und für ganz wüste Bilder gesorgt hatten. Das war auch für den FCB ein schlimmes Erwachen.
Inwiefern?
Da hat man realisiert, dass niemand im Verein wusste, wie die Kurve tickt, wer dort welche Vorstellung von welcher Form der Fankultur hat. Nach diesem Ereignis ging auch im FCB ein Licht auf, dass Repression allein nicht hilft, sondern dass es zwingend den Dialog braucht. Irgendwie war das so etwas wie die Fortsetzung erster Fanprojekte, die in Zürich schon 1998 lanciert wurden.
Aber bei hemmungsloser Gewaltbereitschaft unter Drogeneinfluss ist auch der Fanarbeit wirkungslos?
Es gibt immer einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die gewaltbereit oder gewalttätig sind. Das ist nicht nur in den Sportstadien so. Aber ich wehre mich vehement gegen die Pauschalisierung, dass in den Kurven das Böse liegt. Mal abgesehen davon, dass auch in den übrigen Sektoren eines Stadions nicht ausschliesslich Messdiener sitzen, weder in den Familiensektoren noch im VIP-Bereich oder auf der Medientribüne.
Ruhe ist vor allem da eingekehrt, wo man eine klare Haltung hat und eine Nulltoleranz fordert. Wie das beispielsweise Karin Keller-Sutter als Regierungsrätin in St. Gallen geschafft hat.
Das sagen Sie. Fanarbeit glaubt nicht an die Wirkung einer Nulltoleranz-Strategie. Und nie sagt die Fanarbeit, es sei Ruhe eingekehrt. Das wäre eine dumme Aussage.
Warum?
Weil sie schon beim ersten Ereignis danach überholt wäre.
Für die Kurve gehören die verbotenen Pyros zur Fankultur. Ohne Pyros keine Stimmung, lautet da die simple, aber illegale Haltung. Wie stehen Sie dazu?
Die Diskussion um Pyrotechnik steckt im Fussball seit Jahren in einer Sackgasse. Fanarbeit Schweiz hat zu dieser Frage ein ausführliches Haltungspapier erarbeitet.
Ist Fanarbeit Schweiz für oder gegen Pyro im Stadion?
Weder noch. Die Fanarbeit will Pyro entkriminalisieren und nicht auf einer gleichen Höhe wie Gewalt sehen.
Wurfgeschosse sind doch auch Gewalt.
Ja. Darum schlagen wir eine differenzierte, abgestufte Sanktionierung vor. Jene, die bei Eintrittskontrollen Pyrotechnik auf sich tragen, werden weggewiesen und nicht ins Stadion gelassen. Sie müssen aber mit keinen zivil- oder verwaltungsrechtlichen Massnahmen rechnen. Für jene aber, die Pyrotechnik anwenden, sind Stadionverbote vorgesehen. Und wer Pyro als Wurfgeschoss oder Waffe einsetzt, soll gemäss den gelten Gesetzen strafrechtlich verfolgt und mit den gesetzlichen Massnahmen belegt werden. Die Fanarbeit strebt deshalb einen Umgang mit der Pyro-Frage vor, der nicht nur aus absolut weissen oder absolut schwarzen Lösungen besteht. Das Pyro-Thema ist weder mit Populismus noch allein mit Sanktionen zu beantworten oder gar zu lösen.
Jetzt wollen die Kurven angesichts der Corona-Schutzkonzepte den Stadien fernbleiben. Verstehen Sie diesen Entscheid?
Wenn ich mich in diese Fans versetze, verstehe ich diesen Entscheid absolut. Sie kritisieren ja nicht die Massnahmen, die der Pandemie geschuldet sind. Gegen die gab es in den letzten Monaten auch aus den Kurven keine Aufstände, sondern Verständnis. Aber sie nehmen sich jenes Recht, das sie haben. Nämlich zu sagen, unter den aktuellen Umständen können wir unser Fan-Sein an den Spielen nicht leben.
Warum nicht?
Es fehlt, was die Kurven ausmacht, was sie wollen und lieben: Emotionen, lautstarke, kreative Unterstützung ihrer Mannschaft, die Zusammenhalt-Reisen an Auswärtsspiele und damit der soziale Aspekt. Und keine «Kurve» sagt jenen, die in der «Kurve» sind, dass sie zu Hause bleiben sollen. Jeder hat die freie Wahl. Das einzige, was alle Schweizer Kurven gemeinsam beschlossen haben, ist, derzeit nicht organisiert an die Spiele zu gehen. An dem liest sich auch ausgezeichnet ab, dass die Kurven unter sich über alle Vereins-Rivalität hinaus stark vernetzt und in Grundsatzfragen ihrer Fankultur eine Einheit sind.
Wäre es nicht gerade in dieser für die Klubs so schwierigen Zeit ein Akt der Solidarität, um ihren Verein zu unterstützen?
Es ist immer recht einfach, Entscheide mit so genannt «moralischen» und damit «weichen» Faktoren zu beurteilen. Was die Kurven jetzt beschlossen haben, ist in meinen Augen kein Entzug der Solidarität, sondern ein Abwägen. Sie machen das ja nicht aus Jux und Tollerei, ja, die Fans in den Kurven dürfte es am meisten schmerzen, den Stadien fernzubleiben, und zwar fernbleiben müssen, wie sie es sehen. Da ist es gar nicht nötig, dass das jedermann versteht. Ich verstehe es.
Entlarven sich die Kurven mit diesem Boykott nicht selbst? Nach dem Motto: Wenn wir uns nicht inszenieren können kommen wir nicht?
Boykott ist meines Erachtens das falsche Wort, der Begriff dünkt mich für diese Geschichte zu scharf. Fankurven unterstützen in allererster Linie. Sie tun das mit Inszenierungen, Choreos, Gesängen, Sprechchören, die in der Mehrheit allen im Stadion gefallen. Das können sie jetzt nicht.
Die Fans wollen immer mehr Macht. Und wollen sich, wie jetzt auch beim FC Basel, in die Personalpolitik einmischen. Ist das die Aufgabe der Fans?
Die «Bewegung» in den Kurven, die in den letzten rund 20 Jahren ständig gewachsen ist und sich ständig verändert und erneuert, hat logischerweise durch diese Entwicklung auch an Einfluss gewonnen. Und obwohl man hier rotblau trägt, dort blauweiss oder grünweiss oder gelbschwarz, liegen sich Fans und Vereinsleitungen nicht pausenlos in den Armen. Und schliesslich ist es nicht so, dass die Vereine den Fans eine Aufgabe geben. Die geben sie sich selbst, und zwar möglichst autonom.
Wie viel Macht und Autonomie darf man aber den Kurven zugestehen?
Das ist weder in Zahlen noch in Prozenten zu beziffern. Unverhandelbare Vorgaben kann ohnehin nur der Gesetzgeber geben. Was rechtlich nicht oder nicht eindeutig definiert ist, kann, soll oder muss gemäss unseren Vorstellungen von Fanarbeit Schweiz möglichst im Dialog erarbeitet und bestimmt werden. Dass diese Dialoge zunehmend auf Augenhöhe bei allen Beteiligten geschehen, ist auch ein Verdienst der Fanarbeit. Ich würde das Wort «Macht» gerne vermeiden, aber ganz gewiss haben Fankurven europaweit an Einfluss auf die Klubleitungen gewonnen, teils in beträchtlichem Ausmass.
Warum?
Fans sind nicht Bittsteller, sondern ein Teil des Ganzen. Mit entsprechenden Rechten, Pflichten, Leistungen und Forderungen. Wer Fans nicht ernst nimmt, hat verloren. Aber das gilt ja auch, wenn man die Fans ausserhalb der Kurven und die Sponsoren oder VIP’s nicht ernst nehmen würde.
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Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |