Pascal Erlachner über sein Leben nach dem Fussball
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«Bereue Outing keine Sekunde»:Pascal Erlachner über sein Leben nach dem Fussball

Fünf Jahre nach seinem Outing
Ex-Schiri Erlachner ist Lehrer im Wallis und kickt 5. Liga

Vor fünf Jahren outete sich Pascal Erlachner (42) als erster und bisher einziger Aktiver im Schweizer Fussball als schwul. Heute ist er Primarlehrer in Saas-Fee, linker Aussenverteidiger und glücklich.
Publiziert: 16.10.2022 um 11:48 Uhr
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Jahrelang pfiff Pascal Erlachner in der höchsten Liga der Schweiz (hier mit Ex-Sion-Star Pajtim Kasami).
Foto: Keystone
Michael Wegmann (Text), Beni Soland (Fotos)

Leider gebe es auch hier einige kalte Betten, sagt Pascal Erlachner und lacht. «Für warme Jungs wie mich ist das besonders bitter.» Sein Spruch über nicht ganzjährig belegte Zweitwohnungen ist nicht sein erster und nicht sein letzter Spruch an diesem wunderschönen Herbsttag in seiner neuen Heimat Saas-Fee. «Vielleicht übertreibe ich damit ein bisschen. Aber es tut mir gut. Ich habe mich über 20 Jahre lang verstecken müssen. Nun fühle ich mich frei.»

Der ehemalige Super-League-Schiedsrichter scheint mit sich und seiner Umwelt im Reinen, wirkt glücklich und gelöst. So anders als beim letzten Treffen im November 2017: keine Sprüche, keine Witze. Erlachner achtete auf jedes Wort, jede Formulierung, wirkte nervös. Kein Wunder: Er hatte sich dazu entschieden, sich als erster Aktiver im Schweizer Fussball mit einem grossen Interview im SonntagsBlick als schwul zu outen. Es sei ein grosser Schritt für ihn, vielleicht aber auch für andere, meinte er damals, «vielleicht gibt es nun auch andere, die sich nicht mehr verstecken».

Bis heute der einzige Aktive, der sich geoutet hat

So weit ist es nicht gekommen. Bis heute, fünf Jahre nach seinem Outing und drei Jahre nach seinem Rücktritt als Spitzenschiedsrichter, ist er der Einzige geblieben. Keiner aus dem Profifussball ist ihm gefolgt. Dies obwohl, wenn man den Statistiken glaubt, jeder zehnte Mann homosexuell ist. Hochgerechnet hiesse das: Eine komplette Mannschaft in der Super League ist schwul.

Dennoch hat Erlachner sein Coming-out keine einzige Sekunde bereut. «Alle Begegnungen und Reaktionen waren extrem positiv. Auf dem Fussballplatz und daneben. Es hat ganz viele tolle und schöne Erlebnisse gegeben.» Ein Beispiel? «Ein Jugendlicher hat sich bei mir bedankt, weil er sich mit meinem Interview im SonntagsBlick getraut hat, sich bei seinen Eltern zu outen.»

«Ein WM-Boykott bringt nichts» – «Vor meinem Outing hätte ich unter Müllers Aussage gelitten»

Pascal Erlachner, noch immer gibts Homophobie in der Schweiz, auch im Schweizer Fussball. Vor kurzem bezeichnete Luzern-Goalie Marius Müller das ungenügende Verteidigen seiner Teamkollegen öffentlich als «schwules Weggedrehe» …
Pascal Erlachner: … Müller deswegen Homophobie zu unterstellen, geht mir ein bisschen zu weit. Aber seine Aussage ist es sicher. Solche Sprüche gehörten nicht nur auf dem Fussballplatz und in den Fussballkabinen während vielen Jahre zum normalen Umgangston. Dass man nun darauf schaut, reagiert und sie sanktioniert, ist gut. Denn auch wenn solche Sätze nicht so gemeint werden, wie sie gesagt wurden, sind sie nur dumm und können extrem verletzend sein.

Hat Ihnen Müllers Aussage wehgetan?
Vor meinem Outing hätte ich unter einer solchen Aussage gelitten. Genau solche unbedachten Worte, solche indirekten Unterstellungen tun am meisten weh. Er impliziert damit ja, dass Schwule sich abdrehen, wenns drauf ankommt. Mittlerweile geht mir das persönlich nicht mehr so nahe.

Die Liga brummte ihm eine Busse von 2000 Franken auf. Reicht das?
Dass er gebüsst wurde, war okay. Besonders weh werden ihm die 2000 Franken nicht getan haben, da waren die vielen Reaktionen sicher ungleich schmerzhafter.

Für viele wars unverständlich, dass es keine Spielsperren absetzte. Für Sie auch?
Das ist die Aufgabe des Verbands, nicht meine.

Hätten sich Liga und Verband nicht angreifbar gemacht, wenn man Müller wegen einer homophoben Aussage gesperrt hätte und man Wochen später die Nati zur WM nach Katar schickt. Dahin, wo Homosexualität offiziell verboten ist und Homosexuelle diskriminiert werden?
Sie meinen, dass man am kleinen Goalie Müller ein Exempel statuiert und wenn es um ganz viel Geld und Prestige geht, nicht reagiert. Aus diesem Blickwinkel habe ich es noch nicht betrachtet. Sie haben recht: Das wäre schwer zu erklären gewesen.

Verstehen Sie, dass keine Nationen und keine Fussballer die WM boykottieren?
Sicher. Eine WM-Teilnahme ist wohl das Grösste, was ein Fussballer in seiner Karriere erreichen kann. Davon träumt man, dafür trainiert man. Das sind Spitzensportler, keine Politiker, die gehen dahin, um sich auf dem Spielfeld zu messen.

Reisen Sie nach Katar?
Nein, ich gehe dann wieder an die EM 2024 nach Deutschland. Da fühle ich mich sicher wohler und bin auch willkommener.

Also boykottieren Sie die WM?
Nein. Ich werde das Turnier natürlich von zu Hause aus mit ganz vielen Emotionen mitverfolgen, unserer Nati fest die Daumen drücken und auch alles rundherum aufmerksam verfolgen.

Müssten Sie als schwuler Mann den Anlass nicht eher boykottieren?
Ein Boykott bringt meiner Meinung nach nichts. Die Situation wird nicht besser, wenn man sich die Spiele nicht anschaut. Es ist klar, dass vieles, was in Katar abgeht, absolut nicht okay ist. Menschenrechte werden missachtet. Homosexuelle diskriminiert und, und, und. All diese Missstände darf man natürlich nicht einfach akzeptieren, man sollte sich dagegen wehren. Ich denke: Genau hinsehen und thematisieren hilft viel mehr, das erhoffe ich mir auch von den Medien vor Ort.

Beni Soland

Pascal Erlachner, noch immer gibts Homophobie in der Schweiz, auch im Schweizer Fussball. Vor kurzem bezeichnete Luzern-Goalie Marius Müller das ungenügende Verteidigen seiner Teamkollegen öffentlich als «schwules Weggedrehe» …
Pascal Erlachner: … Müller deswegen Homophobie zu unterstellen, geht mir ein bisschen zu weit. Aber seine Aussage ist es sicher. Solche Sprüche gehörten nicht nur auf dem Fussballplatz und in den Fussballkabinen während vielen Jahre zum normalen Umgangston. Dass man nun darauf schaut, reagiert und sie sanktioniert, ist gut. Denn auch wenn solche Sätze nicht so gemeint werden, wie sie gesagt wurden, sind sie nur dumm und können extrem verletzend sein.

Hat Ihnen Müllers Aussage wehgetan?
Vor meinem Outing hätte ich unter einer solchen Aussage gelitten. Genau solche unbedachten Worte, solche indirekten Unterstellungen tun am meisten weh. Er impliziert damit ja, dass Schwule sich abdrehen, wenns drauf ankommt. Mittlerweile geht mir das persönlich nicht mehr so nahe.

Die Liga brummte ihm eine Busse von 2000 Franken auf. Reicht das?
Dass er gebüsst wurde, war okay. Besonders weh werden ihm die 2000 Franken nicht getan haben, da waren die vielen Reaktionen sicher ungleich schmerzhafter.

Für viele wars unverständlich, dass es keine Spielsperren absetzte. Für Sie auch?
Das ist die Aufgabe des Verbands, nicht meine.

Hätten sich Liga und Verband nicht angreifbar gemacht, wenn man Müller wegen einer homophoben Aussage gesperrt hätte und man Wochen später die Nati zur WM nach Katar schickt. Dahin, wo Homosexualität offiziell verboten ist und Homosexuelle diskriminiert werden?
Sie meinen, dass man am kleinen Goalie Müller ein Exempel statuiert und wenn es um ganz viel Geld und Prestige geht, nicht reagiert. Aus diesem Blickwinkel habe ich es noch nicht betrachtet. Sie haben recht: Das wäre schwer zu erklären gewesen.

Verstehen Sie, dass keine Nationen und keine Fussballer die WM boykottieren?
Sicher. Eine WM-Teilnahme ist wohl das Grösste, was ein Fussballer in seiner Karriere erreichen kann. Davon träumt man, dafür trainiert man. Das sind Spitzensportler, keine Politiker, die gehen dahin, um sich auf dem Spielfeld zu messen.

Reisen Sie nach Katar?
Nein, ich gehe dann wieder an die EM 2024 nach Deutschland. Da fühle ich mich sicher wohler und bin auch willkommener.

Also boykottieren Sie die WM?
Nein. Ich werde das Turnier natürlich von zu Hause aus mit ganz vielen Emotionen mitverfolgen, unserer Nati fest die Daumen drücken und auch alles rundherum aufmerksam verfolgen.

Müssten Sie als schwuler Mann den Anlass nicht eher boykottieren?
Ein Boykott bringt meiner Meinung nach nichts. Die Situation wird nicht besser, wenn man sich die Spiele nicht anschaut. Es ist klar, dass vieles, was in Katar abgeht, absolut nicht okay ist. Menschenrechte werden missachtet. Homosexuelle diskriminiert und, und, und. All diese Missstände darf man natürlich nicht einfach akzeptieren, man sollte sich dagegen wehren. Ich denke: Genau hinsehen und thematisieren hilft viel mehr, das erhoffe ich mir auch von den Medien vor Ort.

Erlachner sitzt auf einem Bänkli ein paar Meter neben dem Bergrestaurant Hannig auf 2350 Metern über Meer und zeigt auf Saas-Fee hinunter. «Das ist mein Lieblingsplatz, die Aussicht ist einfach traumhaft.» In den letzten Wintersaisons hat er im Saastal als Skilehrer oder hinter einer Bar gejobbt – nun ist er übers ganze Jahr hier.

Erlachner unterrichtet seit diesem Sommer eine 6. Klasse an der Primarschule in Saas-Balen. «Herr Lehrer Pascal» nennen ihn seine Schülerinnen und Schüler. Dass er schwul ist, sei nie Thema gewesen. «Wie im ganzen Saastal wurde ich auch hier an der Schule von allen sehr herzlich, respektvoll und mit offenen Armen empfangen.» Die Kinder interessieren sich vielmehr für seine Vergangenheit als Spitzen-Ref. «Sie wollen immer wieder wissen, welchen Stars ich schon eine Rote Karte zeigen musste.»

«Diese pinken Shirts hatten sie schon, bevor ich kam»

Seit seinem Umzug ins Wallis ist der 42-jährige Solothurner auch zurück im Fussball. Als Schiedsrichter-Experte auf dem Bezahlsender Blue und als Aktiver im Regionalfussball. Beim FC Saas-Fee in der 5. Liga spielt er linker Aussenverteidiger. Kürzlich hat er eine Gelbe Karte geholt, wegen Reklamierens.

An diesem Freitagabend auf dem heimischen Sportplatz Kalbermatten gewinnt sein Team gegen FC Noble-Contrée 1:0. Der Ex-Schiri wird nicht verwarnt. Die Leistung von Team-Senior Erlachner? Solid. Ballsicher. Unauffällig. Auffallen tun dafür die grellen pinken Shirts des FC Saas-Fee. «Die haben schon in diesen Leibchen gespielt, als ich noch nicht da war», sagt er lachend. Er hätte wohl Regenbogenfarben gewählt. Das Zeichen für Toleranz, Akzeptanz und Vielfalt von Lebensformen trägt er gar als Tattoo auf dem Handgelenk. Er und seine Kumpels verschwinden in der Kabine, wo ein, zwei Bierchen auf die Sieger warten.

Früher, als er noch in der 2. Liga interregional spielte, war der Gang in die Fussballkabine für ihn eine Qual. Mit zwanzig Typen in einer Garderobe über Ausgang und Frauen reden. Den starken Max markieren. Sprüche klopfen – nicht selten schwulenfeindliche. Jahrelang hat er gelogen, um nicht aufzufallen. Erlachner: «Wenn in der Garderobe jemand gesagt hat: ‹Hey, du schwuler Siech!› oder: ‹Schau nicht so schwul!›, lachte ich mit und tat so, als fände ich diese Sprüche auch cool. Ich habe mich in der Kabine verstellt und mir komische Dinge angeeignet, um ja nicht aufzufallen. Nach den Trainings bin ich oft sehr traurig nach Hause gekommen.»

«Habe Kollegen gefragt, ob ich woanders duschen soll»

Nun beim FC Saas-Fee muss er sich nicht mehr verbiegen. «Vor dem ersten Training habe ich meine neuen Teamkollegen provokativ gefragt, ob ich in einer anderen Kabine duschen soll. Sie haben nur den Kopf geschüttelt und gelacht. Ich habe coole Mitspieler, wir haben hier einen tollen Teamgeist.»

Es wirkt, als habe er im Saastal sein Glück gefunden. Ob als «Herr Lehrer Pascal», als linker Aussenverteidiger in der 5. Liga, als Schiedsrichter-Experte im Profifussball, als Bar-Keeper im Winter oder einfach als Privatperson, er darf immer sich selbst sein. «Ich bin dankbar und glücklich, dass ich hier sein kann. Ich erlebe eine wunderschöne Zeit an einem wunderschönen Ort mit tollen Leuten.»

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