FCB-Rückkehrer Oberlin über harten Reifeprozess
«Fussball stand nicht mehr an erster Stelle»

Dimitri Oberlin (22) ist zurück beim FCB. Nach seinen ersten Einsätzen in Rotblau nach eineinhalb Jahren Ausleihe zeigt er sich offen und selbstkritisch wie nie. Oberlin über seinen persönlichen Reifeprozess, Gott, Ronaldo und die angenehme belgische Einöde.
Publiziert: 19.07.2020 um 12:49 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2020 um 08:36 Uhr
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Dimitri Oberlin ist froh, zurück beim FCB zu sein.
Foto: BENJAMIN SOLAND
Marco Pescio

Ein schöneres Geburtstagsgeschenk hätte er sich an jenem 27. September vor drei Jahren nicht machen können. Beim sensationellen 5:0-Erfolg in der Champions League über Benfica Lissabon gelingt Dimitri Oberlin, gerade 20 geworden, ein Doppelpack. Die Entstehung seines ersten Tores? Ein Gemälde von einem Konter. Knapp zehn Sekunden braucht der Stürmer für seinen 80-Meter-Sprint, den er dann auch noch lässig zum zwischenzeitlichen 2:0 abschliesst. «Usain Oberlin!», titelt BLICK am nächsten Tag. Der Treffer geht um die Welt, die Videos dazu werden abertausende Male angeklickt.

«Weiss nicht, wie ich das gemacht habe»

Oberlin selbst muss sich die Szene nicht mehr unbedingt zu Gemüte führen, meint er schmunzelnd: «Das letzte Mal habe ich das Tor vor etwa zwei Monaten gesehen, als mir ein Freund das Video nochmals geschickt hat.» Rückblickend sagt der mittlerweile 22-Jährige: «Ich weiss bis heute nicht, wie ich das gemacht habe. Es war einfach Instinkt.» Dass er ständig darauf angesprochen werde, störe ihn überhaupt nicht – «es ist ja ein tolles Tor, etwas Gutes».

Gleichwohl will der Romand mit kamerunischen Wurzeln zu diesem Thema schon auch noch etwas loswerden: «In der Öffentlichkeit ist vor allem dieses Tor präsent, wenn es um mich geht. Dabei wäre eigentlich mein zweites Tor gegen Benfica viel mehr typisch Oberlin, weil ich da den Ball im Pressing eroberte – das ist viel eher mein Stil.»

Auf elf Tore und drei Assists kommt der 4,6-Millionen-Mann bis jetzt – in 62 FCB-Partien vor und nach den Ausleihen zu Empoli und zuletzt Zulte Waregem. «Ich weiss, dass das Benfica-Spiel bislang das Highlight war, danach ist nicht mehr viel dazugekommen. Bei Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo passiert jede Woche etwas Spezielles, bei mir nicht. Das will ich ändern.»

Auf der Suche nach sich selbst

Oberlin sitzt entspannt im VIP-Bereich des St. Jakob Parks, der in Corona-Zeiten zum Medienraum umfunktioniert wurde, trägt einen legeren Pulli, kurze Hosen, Flip-Flops. Er spricht offen, drückt sich in beachtlichem Deutsch gewählt aus, gibt zu verstehen, dass er gewisse Dinge im Leben jetzt richtig einordnen könne, dass er nun gelassener sei.

Anders, als noch vor eineinhalb Jahren, als es ihm beim FCB unter Marcel Koller nicht gelaufen war und er die Klubleitung um eine Ausleihe bat. Anders, als beispielsweise in den Monaten nach seinem Wundertor in der Königsklasse, als plötzlich «nicht mehr der Fussball an erster Stelle stand».

Was war es dann? Flausen, die ein junger, gerade gehypter Fussballer eben so hat? Frauen, Alkohol, Partys? «Nein, gar nicht», entgegnet Oberlin. Er sei auf der Suche nach sich selbst gewesen, nach Gott. «Ich habe viel gelesen, viel gebetet», erzählt er und gibt zu: «Das hat mich als Fussballer gebremst.»

Starke Zweifel in Belgien

Oberlins Leistungen auf dem Platz schwanken zu jener Zeit stark, Tore sind rar. Im Januar 2019 folgt die erste Ausleihe zu Empoli, im Sommer darauf die zweite, nach Belgien. Nati-Trainer Vladimir Petkovic gibt ihm vor dem Wechsel zu Waregem noch mit auf den Weg: «Wenn du da eine gute Saison spielst, sind die Türen weiterhin offen für dich», so gibt es Oberlin wieder. Nur: Die Zeit in der Jupiler Pro League wird «nicht so, wie erhofft».

Oberlin verrät: «Es gab auch hier Momente, in denen ich zweifelte.» Er habe zu viel gewollt, sei zu motiviert in die Spiele gegangen – der Schuss ging nach hinten los. Die Einsatzzeiten beim SV Zulte? Weiterhin bescheiden.

Oberlin hat dies jedoch längst analysiert: «Wissen sie, Waregem hat mir gut getan. Das ist dort wie in Moudon (sein Heimatdorf im Kanton Waadt, zwischen Fribourg und Lausanne, d. Red.), es war ruhig – das habe ich genossen und auch gebraucht.»

Zwischen Gott und Fussball

Seit Ende Mai ist Oberlin mittlerweile zurück in der Schweiz, zurück in Basel. Und er sagt, er habe dank seines Reifeprozesses wichtige Erkenntnisse gewonnen. Er wisse jetzt, dass es «eine Zeit für Gott» gebe – und «eine Zeit für Fussball». Dass er mehr Wert auf Statistiken legen sollte, statt wie früher auf einzelne Dribblings.

Es sei wieder eine «Stabilität» in sein Leben zurückgekehrt. Dass er für den Liga-Endspurt für den FCB spielberechtigt ist, betrachte er als «Glücksfall». Dass er, der «eigentlich damals als Stürmer für einen Zweimann-Sturm» nach Basel geholt wurde, auf den Flügel ausweichen muss, sei «ein Geschenk».

«Ich will nächste Saison beim FCB spielen»

Nur: Ob sich sein Traum, einst wieder als richtiger Stürmer aufgestellt zu werden – «wie in Altach (9 Tore in 21 Spielen, d. Red.), da habe ich mich am wohlsten gefühlt» – tatsächlich verwirklichen lässt? In Zeiten, in denen noch nicht einmal klar ist, wer nächste Saison FCB-Trainer ist, schwierig vorauszusagen.

Oberlin lässt aber auch diese Frage gelassen. Er, der am Rheinknie noch einen Vertrag bis 2022 besitzt, hält klar fest: «Ich will nächste Saison beim FCB spielen.» Und: Die Tore sollen sich wieder häufen. Egal, ob Spektakel-Treffer – oder mehr «Oberlin-typische» wie jenes zweite gegen Benfica vom 27. September 2017.

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