Er war der Erste. Nicht zum ersten Mal. Als erster Präsident eines Super-League-Klubs spricht Christian Constantin über Kurzarbeit. Es ist der 28. Februar. Eben hat der Bundesrat das Grossveranstaltungs-Verbot für Anlässe über 1000 Personen bekanntgegeben. CC hält das für diskriminierend, versteht diese «Extremreaktion» nicht: «Das ist wie im Krieg. Dann müssen Kassen und Versicherungen für den Schaden aufkommen.»
Wenn er da geahnt hätte, was alles noch auf uns zukommen wird…
Wie der letzte Passagier auf der Titanic
Die Infektionszahlen steigen und steigen. Und für CC ist bald mal klar: «Wer auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass diese Saison zu Ende gespielt werden kann, ist wie der letzte Passagier auf der Titanic, der immer noch dem Orchester zuhört, obwohl ihm das Wasser schon bis zum Hals steht.»
Und jetzt beginnen beim Querdenker die Gehirnzellen auf Hochtouren zu arbeiten. Was, wenn ich mich der Grossverdiener, der Alten und der Spieler mit auslaufendem Vertrag, die ohnehin keinen Transferwert mehr haben, auf einen Schlag entledige? So schmiedet er den Plan mit dem WhatsApp und der Kurzarbeit.
Es gibt nur Kurzarbeit – oder gar nichts
«Für mich ist klar: Es gibt nur Kurzarbeit – oder gar nichts», sagt er am 19. März morgens. Es ist der Tag, an welchem es in Sion knallt. Denn ein paar Stunden später handelt CC. Und wie!
Am Vortag, es ist der 18. März, lässt er durch seine Buchhaltung an alle Spieler ein WhatsApp schicken mit einem Brief im Anhang, der mit 17. März datiert ist. Darin steht: «Der FC Sion hofft, zumindest vorerst, auf zu drakonische Massnahmen verzichten zu können, und schlägt Ihnen vor, die Regeln der Kurzarbeit zu akzeptieren. Die Konsequenzen: Sie erhalten 80 Prozent ihres obligatorischen Salärs, das auf 12 530 Franken plafoniert ist. Um die notwendigen Vorkehrungen möglichst schnell vornehmen zu können, laden wir Sie dazu ein, das untenstehende Antwortformular bis Mittwoch, 18. März, 12 Uhr zu retournieren. Unsere Mitarbeiter Calvano und Baudoin stehen für weitergehende Fragen zu Ihrer vollen Verfügung.»
Darunter haben die Spieler zwei Möglichkeiten: Sie können ankreuzen:
- Ich akzeptiere den Vorschlag
- Ich akzeptiere den Vorschlag nicht
Und das zu einem Zeitpunkt, als Kurzarbeit auf Angestellte mit befristeten Arbeitsverträgen nicht anwendbar ist. Doch darüber, dass die Spieler zu etwas Ja oder Nein sagen müssen, das es noch gar nicht gibt, steht im Brief kein Wort. CC ist das egal. Er rechtfertigt sein Vorpreschen damit, dass er bereits gewusst habe, dass der Bundesrat Ja zu Kurzarbeit bei befristeten Verträgen sagen würde.
Zu kurze Frist
Im Team beginnt das grosse Rotieren: Berater werden kontaktiert. Captain Xavier Kouassi, für den es um sehr viel Geld geht, ruft sofort eine WhatsApp-Gruppe ins Leben. Ihn delegieren die Spieler an die Videokonferenz mit den Buchhaltern, die um 16 Uhr steigt. Für kurze Zeit sind sich die Spieler einig. Der Vorschlag, gar nicht oder wenn, nur mit einem von allen unterschriebenen Brief zu antworten, in welchem dargelegt wird, dass die Frist zu kurz sei und man das Ganze mit dem Präsidenten besprechen wolle, wird verworfen. Stattdessen beschliesst man, unisono ein «Nein» anzukreuzen, um Zeit zu kaufen.
Kouassi organisiert das. Er lässt die Antworten sogar ausdrucken, viele Spielernamen, Daten und Kreuzchen sind gedruckt. 29 davon liegen SonntagsBlick vor. Allesamt haben angekreuzt: Ich akzeptiere den Vorschlag nicht.
Doch jene, die Zeit gewinnen wollen, haben die Rechnung ohne CC gemacht. Nur kurze Zeit nach Ablauf des Ultimatums und Eintreffen der Antworten verschickt er neun Entlassungen. Er schickt an Johan Djourou, Pajtim Kasami, Alex Song, Ermir Lenjani, Xavier Kouassi, Seydou Doumbia, Mickaël Facchinetti, Christian Zock und Birama Ndoye ein WhatsApp mit einem Brief im Anhang, der betitelt ist mit: «Auflösung Ihres Arbeitsvertrags.» Darin steht: «Aufgrund des Vorgefallenen sehen wir uns gezwungen, ihren Arbeitsvertrag mit sofortiger Wirkung aus wichtigen Gründen aufzulösen.»
CC macht höhere Gewalt geltend und begründet: «Wir sind all unserer Einkommen beraubt. Es ist uns untersagt, Ihnen Ihre Arbeitsleistung anzubieten, und es ist Ihnen untersagt, Ihre Leistung zu erbringen.» Und weiter: «Wir bitten Sie, Ihre Arbeits-Effekten zurückzugeben und zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie nicht mehr Teil der Olympique des Alpes S.A. sind.»
Die Spielergewerkschaft SAFP reagiert mit einer Protestnote zuhanden von CC, in welcher steht, dass höhere Gewalt im Zusammenhang mit der Corona-Krise nicht akzeptabel sei. «Wir erwarten, dass diese missbräuchlichen Kündigungen unverzüglich widerrufen werden, und dass eine Diskussion über mögliche Alternativen eröffnet wird», heisst im Schreiben von SAFP-Präsident Lucien Valloni an den FC Sion.
CC reagiert mit einem geharnischten SMS. Auszüge: «Ich glaube, dass Sie, Maître Valloni, ausserhalb der aktuellen und zukünftigen Situation leben. (…) Ich will Ihnen keine Ratschläge erteilen. Und wenn, dann einen: Ich würde den anderen Spielern, deren Verträge ich noch nicht gekündigt habe, raten, den Vorschlag des Klubs zu akzeptieren.»
CC selber bietet Valloni zudem an, über die entlassenen Spieler mit ihm zu sprechen. Trotz beidseitiger Angebote ist es bis heute nicht zu diesem Gespräch gekommen.
Die entlassenen Spieler stehen als geldgierige und unsolidarische Säcke da. Eine Aussendarstellung, die ihnen so gar nicht passt, weshalb sich Djourou, Kouassi und Doumbia im BLICK rechtfertigen. Kouassi spricht von «Erpressung». Djourou und Doumbia davon, dass sie mit der Kurzarbeit kein Problem hätten. «Wir sind sogar zu weitergehenden Opfern bereit. Zum Beispiel, Teile unseres Lohns für die Angestellten des Klubs zu spenden. Aber wir haben auch Rechte», sagt Djourou. Und alle betonen, man sei offen für Gespräche.
«Dummköpfe»
Doch CC will nichts davon wissen, Er spricht von «Dummköpfen», weil sie die Kurzarbeit abgelehnt hätten, bei der man mit 10 000 Franken immer noch doppelt so viel verdiene wie eine Krankenschwester. Die BLICK-User stellen sich in überragender Zahl hinter CC, obwohl dessen Plan, auf diese Art und Weise teure (und erfolglose) Spieler loszuwerden, unsolidarisch und verwerflich ist.
Und die anderen Kaderspieler? CC fordert sie auf, ihre Meinung zu ändern. Muss er auch. Er ist wohl felsenfest davon überzeugt, dass die Meisterschaft nicht wieder aufgenommen werden wird. Aber wenn doch? Dann braucht er eine Mannschaft. Parallel dazu laufen WhatsApp an die Spieler, die von einem Scout des FC Sion verschickt werden, den die Spieler nicht mal kennen. Darin wird ziemlich Druck ausgeübt. Der Scout schreibt: «Ich an deiner Stelle würde der Kurzarbeit zustimmen. Es ist auch eine Frage des Images und der Solidarität. Ihr werdet von der Presse massakriert werden. Christian hat mir gesagt, er gebe jenen Spielern, die er besonders mag wie dich, eine letzte Chance. Sonst wird er eure Verträge auflösen und euch aus euren Wohnungen werfen lassen.»
Was passiert? Alle anderen – durch die Entlassungen eingeschüchtert – kreuzen nun an, mit Kurzarbeit einverstanden zu sein. So dass es nun zwei Antwortversionen gibt, wie im Fall von Goalie Kevin Fickentscher. CC bezeichnet diejenige Version mit dem Nein als Fälschung. So wie er die Aufmüpfigkeit seiner arrivierten Spieler als «Aufstand» mit Captain Kouassi und Pajtim Kasami als Rädelsführer bezeichnet.
«Ich bin nach Alter und Vertragslänge gegangen»
Erstmals gibt CC preis, nach welchem Muster er vorgegangen ist: «Ich habe bewusst neun Spieler herausgepickt, weil die Entlassung von zehn Angestellten als Massenentlassung gilt, was spezielle und komplizierter Prozedere erfordert. Ich bin nach Alter und Vertragslänge gegangen», sagt er. «Dann war klar, dass Kouassi als Rädelsführer auf der Liste sein musste. Ihm ging es nur ums Geld.»
Warum aber Facchinetti und Djourou, der gerade mal 7500 Franken verdient? Im Monat! CC: «Ich habe Gilbert Facchinetti in seinen letzten Lebensmonaten versprochen, mich um seinen Enkel Mickaël zu kümmern. Das habe ich getan, in dem ich ihm einen guten Vertrag gab. Und nun fällt er mir mit der Ablehnung der Kurzarbeit derart in den Rücken.» Und Djourou? «Er hat sich hinter Kouassi gestellt, was einfach dämlich ist für einen wie Johan.» Reichlich phantasievolle Begründungen.
Und nun, wie weiter? Unter den Entlassenen gibt es Spieler, die CC drohen, juristisch voll dagegenhalten zu wollen. Und nicht mit Valloni, den sie nicht mandatiert haben und mit dem keine Strategie besprochen wurde, sondern mit eigenen Anwälten. Die Wahrscheinlichkeit, damit durchzukommen, ist gross. Nur wird das ein paar Jahre dauern.
CC lässt das kalt. Ein paar Prozesse mehr oder weniger – egal. Und die, die immer noch da sind? Die schweigen. «Ich will nicht über diese Geschichte reden», sagt Keeper Fickentscher. Im Moment haben Menschen andere Probleme.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
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1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |