Spieler konnten nicht mal Essen kaufen
Mit Weiler war Winti am Tiefpunkt

Als René Weiler 2001 seine Funktionärskarriere startet, stehts um den FC Winterthur himmeltraurig.
Publiziert: 28.04.2024 um 12:53 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2024 um 13:00 Uhr
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René Weiler 2003 mit der Mannschaft des FC Winterthur auf dem Trainingsplatz.
Foto: TOTO MARTI
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Sebastian WendelReporter Fussball

Historisch ist die Saison des FC Winterthur schon jetzt. Mit dem erstmaligen Einzug in den Cupfinal seit 1975 peilt das Sensationsteam das nächste Highlight an. Jede Winterthurerin und jeder Winterthur drückt dem Team von Patrick Rahmen im Halbfinal gegen Servette die Daumen. 

Jeder? Nicht ganz! Obwohl er in Winterthur geboren ist, als kleiner Bub auf der Schützenwiese erstmals gegen einen Ball trat und dem Klub bis heute verbunden ist, hofft René Weiler auf ein Winti-Ausscheiden. Aus gutem Grund, denn seit vergangenem Sommer ist Weiler Trainer bei Servette, will mit den Genfern seinerseits in den Cupfinal und sich so für die enttäuschenden letzten Wochen in der Liga rehabilitieren. Platz für Sentimentalitäten hats da beim ehrgeizigen 50-Jährigen nicht. 

Viel eher wird er sich beim Betreten der ausverkauften Schützenwiese, beim Blick in die freudigen Gesichter im Publikum und der pulsierenden Stimmung vorkommen wie im falschen Film. Verglichen mit der Zeit vor 20 Jahren, als Weiler gerade seine Spielerkarriere wegen Knöchelproblemen viel zu früh beenden musste und bei seinem Heimatklub als Funktionär ins kalte Wasser geworfen wurde. Um nicht zu sagen: ins Eiswasser! 

Schuldenberg in Millionenhöhe

Rückblick: Um den FC Winterthur stehts Anfang Jahrtausend himmeltraurig! Ein Schuldenberg in Millionenhöhe bedroht die Existenz, die Lizenz für die Challenge-League-Saison 2001/02 gibts nur, weil die über die Verhältnisse lebende Führung die Bilanz verschönert. Als der Bschiss auskommt, muss Winti mit acht Minuspunkten in die darauffolgende Spielzeit starten. Das Vertrauen in den Klub ist dahin, keine 1000 Seelen verirren sich an die Heimspiele.

Mittendrin René Weiler. Der ist damals noch keine 30 und erhält vom neuen Präsidenten und Mäzen Hannes W. Keller die Aufgabe, den Klub sportlich im Profifussball zu halten. Auf dem Papier «nur» als Sportchef, doch Weiler macht auch Taktik und Aufstellung, der offizielle Trainer Ivan Kortischan und später andere sind nur da, weil sie im Gegensatz zu Weiler über die nötigen Diplome verfügen. Das Budget für die erste Mannschaft beträgt mickrige 500'000 Franken, die Löhne bewegen sich zwischen 500 und 3500 Franken. Als der Winter anbricht, ist kein Geld da für langärmlige Trikots. «Ich gab den Spielern aus meinem Portemonnaie Geld, damit sie etwas zu Mittag essen können», erzählte Weiler einmal. 

Der junge, offenherzige Weiler kommt bei den Spielern gut an. Kultprofi Robert Huber sagt damals: «Weiler trainiert so, wie er es im Kopf hat, und nicht nach irgendwelchen Anleitungen und Vorschriften. Das macht grossen Spass. Natürlich ist er kein Wundertrainer, aber er ist talentiert und unverbraucht. Ausserdem kann er an der Teamsitzung ganze Sätze machen.»

In der Challenge League bleibt Winti, weil es wegen der Ligavergrösserung in der Saison 2002/03 keinen Absteiger gibt. Finanziell sorgt Weiler für Entlastung in der Klubkasse, indem es ihm gelingt, Spieler wie Philippe Montandon und Pascal Cerrone für sechsstellige Summen zu verkaufen.

Weiler leistet nicht nur, genauso viel lernt er auch. Vor allem von Hannes W. Keller, seinem grossen Förderer, über den er kürzlich im Blick-Interview sagte: «Keller war ein Pionier. Ihn interessierten weder Kommentare, Likes noch andere Meinungen». Der Unternehmer lehrt Weiler, was betriebswirtschaftliche und soziale Führung bedeutet. Und dass die Wahrheit immer auf den Tisch muss. Dass er mit seiner Direktheit bis heute aneckt, lässt Weiler kalt: «Am Ende ist die harte Wahrheit besser als irgendwelche Ausreden, Lügen oder Schweigen. Auch wenns wehtut.»

Weilers «Crashkurs»

Als er die Schützenwiese Ende 2004 verlässt, steht der Klub sportlich und finanziell wieder einigermassen solide da. Und dank dem «Crashkurs», wie er die drei Jahre bezeichnet, ist Weiler gerüstet für seine erfolgreiche Trainerkarriere. Später führt er den FC Aarau in die Super League, legt in Nürnberg den Grundstein für den Aufstieg in die Bundesliga und wird Meister in Belgien und Ägypten. 

Vorwärtsgemacht hat in den letzten 20 Jahren auch der FC Winterthur – und wie! Aus der grauen Maus wird ein Kultklub, der schon zwei Jahre nach dem Aufstieg nicht mehr aus der Super League wegzudenken ist. Auf das Wiedersehen freut sich Weiler. Auch auf jenes mit Patrick Rahmen, mit dem er vor 15 Jahren den Kurs für die Uefa-Pro-Lizenz absolvierte. Dass er heute der ziemlich einzige Winterthurer ist, der auf ein Cup-Out des FCW hofft, werden sie ihm auf der Schützenwiese kaum übelnehmen.

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