Ich behaupte mal, Sie haben mit diesem Transfer nach Saudi-Arabien all Ihre Fans auf dem falschen Fuss erwischt.
Ivan Rakitic: (Lacht.) Mich selber auch … Ich hatte diesen Schritt nicht geplant. Aber manchmal geht das so in einer Karriere. Als ich nach Sevilla zurückkehrte, war die Idee klar: Ich mache meine letzten Profi-Spiele hier und höre hier irgendwann auf. Manchmal passieren Dinge, die man nicht zu hundert Prozent verstehen kann.
Welche?
Ich hatte ein unglaubliches drittes Jahr in Sevilla mit dem Europa-League-Titel. Die Situation im Verein war aber nicht die beste. Und mit dem neuen Trainer Quique Sanchez Flores habe ich mich nicht zu hundert Prozent verstanden. Ich war gerade am Überlegen, was das Beste für den Verein und für mich ist, als diese Anfrage aus Saudi-Arabien kam. Es war nicht die erste, aber ich hatte zuvor nie genau hingeschaut. Diesmal passte der Moment. Innert eines Tages haben wir entschieden, diesen Schritt zu machen.
Ein Tag? Echt?
Wenn ich sage, es seien 24 Stunden gewesen, lüge ich sogar. Es war weniger …
Wieso konnten Sie so schnell Ja sagen?
Erstens wollte Al-Shabab bis am darauffolgenden Tag ein Ja oder ein Nein. Sie müssten weiterschauen, sollte ich das Angebot nicht annehmen. Zweitens ging das Transferfenster zu.
Was war das ausschlaggebende Element? Der Trainer, der nicht mehr auf Sie stand?
Mindestens ebenso sehr die finanzielle Situation im Verein. Da konnte ich mit meinem Abgang sicher ein wenig helfen. Ich hatte doch einen, sagen wir mal, für den Verein «schweren» Vertrag. So kam alles zusammen. Als Alternative hatte ich, mit Fussball aufzuhören. Aber dafür bin ich zu jung. Physisch und mental bin ich noch voll bereit. Derart, dass ich Profifussball immer noch geniessen kann.
Aber in einem halben Jahr wäre Ihr Vertrag ohnehin ausgelaufen.
Ja. Und ich hatte mit Präsident José Castro Carmona, der für mich viel mehr ist als nur Präsident, besprochen, dass es auch über den Sommer hinausgehen kann. Sevilla ist für mich eine Herzensangelegenheit. Da will ich nichts machen, das nicht gut ist für den Klub. So habe ich dem Verein den Weg frei gemacht, andere Spieler zu verpflichten. Für mich kam immer Sevilla zuerst und erst danach der Spieler Rakitic.
Aber Ihren Lohn haben Sie erhalten?
Ja. Bis zum Tag, als ich bei Al-Shabab unterschrieb. Auf alles, was mir darüber hinaus noch zustand, habe ich verzichtet.
Ist ja einfach, wenn man die Saläre sieht, die in Saudi-Arabien bezahlt werden. Was verdienen Sie? Man munkelt, es seien 15 Millionen Dollar.
Man hat über Cristiano Ronaldo gelacht, als er dorthin gegangen ist. Meine ersten Tage haben mich komplett überrascht. Da hat es sehr viel Talent. Einen sehr guten Trainer mit Vitor Pereira, der einst Porto trainiert hat und auch in Europa Topklubs coachen könnte. Ich verstehe, dass die Leute nur übers Geld reden und über die Liga stänkern. Aber es wird richtig gut gearbeitet. Ich will meinen Teil dazu beitragen, dass der Fussball in Saudi-Arabien wachsen kann. Da werden viele Leute überrascht sein. Ich bin jedenfalls happy und stolz, hier zu sein. Denn das Zentrum der Sportwelt wird in Zukunft Saudi-Arabien sein.
Halt! Erstens: Sie haben auf die Frage nach dem Salär nicht geantwortet. Also?
Kein Spieler, der hier unterschreibt, kann sich über das Geld beklagen. Bei mir hatte das aber nicht Priorität. Ich werde nächsten Monat 36. Ich habe eine wunderbare Karriere hinter mir, in all den Jahren gutes Geld verdient. Ich habe diesen Schritt in meinem Alter gemacht, um den Fussball weiterhin geniessen zu können und diese Liga und den Klub weiterzubringen. Das Geld und der Vertrag sind sekundär. Aber sie kommen dazu, ganz klar.
Erste Topstars sollen bereits nach einem halben Jahr die Schnauze voll haben vom Wüstensand. Benzema, Firmino, Jota. Jordan Henderson hat seinen Megavertrag sogar aufgelöst und ist nach Europa zurückgegangen, zu Ajax. Haben Sie keine Angst, dass es Ihnen ähnlich ergeht?
Also der Fussball stimmt. Ich gehe einig mit Cristiano Ronaldo, der gesagt hat, dass die Liga vielleicht sogar besser ist als die französische Ligue 1. Ich habe gesehen, dass die hiesigen Fussballer sehr lernwillig sind. Mit den europäischen Stars haben sie bestmögliche Lehrmeister. Deshalb geht es sehr schnell mit den Fortschritten. In Europa würde das Jahre brauchen. Hier sind es Tage, Wochen oder maximal Monate. Aber ich kann da nur für mich sprechen. Was die angesprochenen Spieler denken, weiss ich nicht.
Sind Sie der geborene Wüstensohn?
(Lacht.) Ich bin von Sevilla her Hitze gewöhnt. Im Sommer soll es hier ziemlich warm werden …
Sie haben gesagt, Saudi-Arabien werde das Zentrum der Sportwelt sein. Wie kommen Sie auf diese These?
Die Sportbegeisterung ist riesig hier! Ein Beispiel: Im Mai wird hier der grösste Boxkampf der Sportgeschichte stattfinden, Tyson Fury gegen Oleksandr Usyk, in welchem es erstmals um alle sechs Schwergewichtstitel geht. Die Menschen hier wollen der Welt zeigen, was Saudi-Arabien wirklich ist. Und sie haben die Pläne und das Geld, um das in beeindruckender Art und Weise zu machen.
Aber die Menschenrechtssituation ist katastrophal. Homosexualität ist zum Beispiel per Gesetz verboten. Haben Sie damit kein Problem?
Ich hatte in den vielen Tagen im Hotel viel Zeit und habe eine Menge gelesen über die Vision 2030 von Prinz Bin Salman, in welcher er die drei Kontinente Europa, Asien und Afrika zusammenkommen sieht und mit welcher er der ganzen Welt zeigen will, was Saudi-Arabien bieten kann. Erste Schritte in Richtung Öffnung sind jedenfalls gemacht. Seit ich vor sechs Jahren mit Barcelona für den spanischen Supercup erstmals hier war, ist einiges passiert.
Sie sind also überzeugt, dass sich das Land weiter öffnet.
Auf jeden Fall! Die Saudis wollen der Welt zeigen, welch wunderbares Land sie haben und wie offen sie geworden sind. Man wird von diesem Land noch positiv überrascht werden.
Ivan Rakitic wird am 10. März 1988 als Sohn jugoslawischer Eltern aus Zepce im heutigen Bosnien-Herzegowina in Rheinfelden AG geboren und wächst in Möhlin AG auf. Die Junioren durchläuft er beim FC Möhlin-Riburg/ACLI und ab sieben beim FC Basel. 2005 erhält er einen Profivertrag beim FC Basel, wo er 2007 den Cup gewinnt. Gleich danach wechselt er für rund sechs Millionen Franken zu Schalke 04. 2011 gewinnt er den DFB-Pokal; dennoch verbannen ihn die Königsblauen für lächerliche drei Millionen zu Sevilla, wo er durchstartet und 2014 ein erstes Mal die Europa League gewinnt. Er verabschiedet sich für rund 20 Millionen zum FC Barcelona. Mit den Katalanen holt er je viermal die Meisterschaft und den Cup sowie 2015 die Champions League. Im Final gegen Juve schiesst er das 1:0. 2020 geht er zurück zu Sevilla. Mit den Andalusiern gewinnt er 2023 die Europa League. Ende Januar 2024 wechselt er zum Al-Shabab FC aus Riad in die Saudi Pro League.
Er durchläuft die SFV-Auswahlen von U16 bis U21 und ist an der U17-EM-Endrunde Captain. Nach vier Spielen für die Schweizer U21 entscheidet er sich für Kroatien. Er wird 105 Länderspiele machen und 15 Tore schiessen. Höhepunkt: der 2018 verlorene WM-Final gegen Frankreich. 2020 tritt er aus der Kroatien-Nati zurück.
Ivan Rakitic wird am 10. März 1988 als Sohn jugoslawischer Eltern aus Zepce im heutigen Bosnien-Herzegowina in Rheinfelden AG geboren und wächst in Möhlin AG auf. Die Junioren durchläuft er beim FC Möhlin-Riburg/ACLI und ab sieben beim FC Basel. 2005 erhält er einen Profivertrag beim FC Basel, wo er 2007 den Cup gewinnt. Gleich danach wechselt er für rund sechs Millionen Franken zu Schalke 04. 2011 gewinnt er den DFB-Pokal; dennoch verbannen ihn die Königsblauen für lächerliche drei Millionen zu Sevilla, wo er durchstartet und 2014 ein erstes Mal die Europa League gewinnt. Er verabschiedet sich für rund 20 Millionen zum FC Barcelona. Mit den Katalanen holt er je viermal die Meisterschaft und den Cup sowie 2015 die Champions League. Im Final gegen Juve schiesst er das 1:0. 2020 geht er zurück zu Sevilla. Mit den Andalusiern gewinnt er 2023 die Europa League. Ende Januar 2024 wechselt er zum Al-Shabab FC aus Riad in die Saudi Pro League.
Er durchläuft die SFV-Auswahlen von U16 bis U21 und ist an der U17-EM-Endrunde Captain. Nach vier Spielen für die Schweizer U21 entscheidet er sich für Kroatien. Er wird 105 Länderspiele machen und 15 Tore schiessen. Höhepunkt: der 2018 verlorene WM-Final gegen Frankreich. 2020 tritt er aus der Kroatien-Nati zurück.
Sie sind im Moment home alone. Zieht Ihre Familie nach?
Ja. Ich habe ein Haus gefunden. Es wird jetzt eingerichtet, und ich selber bin daran, hier alles bereitzumachen. Nächste Woche sollte die Familie auch nachreisen.
Was hat Ihre Frau zu den Wüstenplänen gesagt, als sie davon erfuhr? Immerhin war Raquel, die aus Sevilla kommt, auch treibende Kraft hinter Ihrer Rückkehr nach Sevilla …
Ich habe das Glück, dass ich eine für mich perfekte Frau gefunden habe, die mich immer unterstützt. Sie wollte in Sevilla bleiben. Aber sie hat das schnell verstanden. Auch meine beiden Töchter, die sieben und zehn sind, sind happy und freuen sich auf diesen neuen Abschnitt.
Sie verkaufen seit letztem Jahr Ihren eigenen Wein. Den dürfen Sie in Saudi-Arabien nicht vertreiben. Da herrscht nach wie vor strenges Alkoholverbot. Für Hinz und Kunz. Und auch für angehimmelte Fussball-Stars.
(Lacht.) Warten wir auf den nächsten Öffnungsschritt ... Im Moment ist das nicht möglich. Es gibt nur einen kleinen Alkohol-Laden im Botschaftsviertel. Aber da dürfen nur Diplomaten einkaufen. Im Supermarkt gibt es nur alkoholfreien Wein. Nullkommanull. Egal. Ich bin da, um Fussball zu spielen. Hier bin ich im Wassermodus. Und freue ich mich auf ein schönes Glas, wenn ich in Kroatien, Spanien oder der Schweiz bin.
Vermissen Sie das als Weinliebhaber nicht?
Klar, wäre das schön. Aber man muss das respektieren. Die Lust auf die Ferien ist dann umso grösser.
Sie haben für anderthalb Jahre unterschrieben. Gibts schon einen Plan für die Zeit danach?
Ich will sicher nicht krampfhaft bis vierzig spielen. Ich habe in Zusammenarbeit mit der Uefa Sportmanagement studiert. Ich mache den Trainerschein mit dem kroatischen Verband. Ich hatte etwas mit der Universität von Harvard geplant, was aber wegen des Wechsels in die Wüste verschoben werden musste. Ich will sicher im Fussball-Business bleiben. Fussballmanagement oder Marketing sind für mich interessante Bereiche.
Eine Rückkehr zum FC Basel ist also kein Thema mehr?
Ich habe keinen Kontakt zu David Degen. Ab und zu mit Marco Streller. Aber das war nie konkret. Ich habe aber immer noch Kontakt zu Bernhard Heusler, als Kollegen. Aber wie mich Saudi-Arabien gelehrt hat: Sage nie Nein. Zu nichts, nie!
Es kann also sein, dass Sie mit 38 weiterspielen?
Kann sein. Solange ich auf dem Platz helfen kann. Alles hat seine Zeit. Ich will den Zeitpunkt selber erkennen, wenn es so weit ist. Und ich will bereit sein für das Leben danach.
Sie kehren aber sicher nach Sevilla zurück.
Klar. Sevilla ist mein Lebensmittelpunkt. Und das wird auch so bleiben.
Jetzt sind Sie aber nur noch Fan und stellen mit Freude fest, dass der FC Sevilla zuletzt zweimal gewonnen hat und momentan raus ist aus dem grössten Abstiegsmist.
Klar, denn ich habe ja engen Kontakt mit dem Präsident Carmona. Auch mit Spielern halte ich Kontakt. Weil ich den FC Sevilla liebe, will ich genau wissen, was läuft.
Auch bei Djibril Sow?
Klar. Kürzlich war sein Geburtstag. Da haben wir telefoniert. Ich freue mich für ihn, dass er wieder regelmässig spielt. Er ist ein guter Junge, ein super Charakter. Ich denke, Murat Yakin weiss genau, was er an ihm hat. Er kann für das Team wichtig sein. Er gehört ins EM-Kader, wo ich dann mit ihm mitfiebern werde.
Wie gut ist eigentlich der Al-Shabab FC?
Im Moment nicht so gut. Wir sind Zehnte. Deshalb ist auch der Trainer gewechselt worden.
Und mit Vito Pereira scheint es aufwärtszugehen. Am Freitag gabs zum Restart nach dem Asien-Cup gleich den sechsten Meisterschaftssieg. Ein 1:0 gegen Damac. Und der Torschütze ...
Okay, ja. Das war ich ... Es macht mich echt stolz und ich bin total happy, gleich im ersten Spiel dem Team so geholfen zu haben, dass wir drei Punkte haben einfahren können. Zumal es auch für mich nicht so einfach ist, wenn alles neu ist. Land, Sprache, Mentalität, Teamkollegen. Jetzt heisst es hart weiterarbeiten. Das Beste liegt noch vor uns.