Tami über Yakin-Entscheid
«Ich hatte weder mit Fischer, Favre noch anderen Kontakt»

Am Dienstag entschied der Zentralvorstand (ZV) des SFV, an Murat Yakin bis zur EM als Nati-Trainer festzuhalten. Nun spricht Nati-Direktor Pierluigi Tami über die schwierigen letzten Wochen, wie ihn Yakin überzeugt hat und was verändert werden muss.
Publiziert: 30.11.2023 um 16:59 Uhr
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Aktualisiert: 30.11.2023 um 17:24 Uhr
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Pierluigi Tami nimmt ausführlich Stellung zur Nati, der holprigen Quali und Trainer Murat Yakin.
Foto: TOTO MARTI
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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef

Blick: Sie wollten im Dezember eine grosse Analyse machen. Nun ist der Entscheid bereits gefallen, dass Murat Yakin Nati-Trainer bleibt. Warum die Eile?
Pierluigi Tami: Bereits am Tag nach dem Rumänien-Spiel habe ich Murat gesagt, dass wir den Termin und die Analyse vorziehen müssen. Wir wollten vor der Auslosung Klarheit haben, denn die Zukunft und die Vorbereitung auf die EM beginnen schon heute.

Offenbar fiel diese Analyse trotz schlechter Ergebnisse positiv aus.
Murat hat die Qualifikation geschafft, das war das Hauptziel. In der Nations League blieben wir in der Gruppe A, was sechs Spiele gegen grosse Teams bedeutet und auch finanziell wichtig ist. Die Entwicklung in den letzten sechs Monaten war resultatmässig nicht positiv, aber Murat hat uns eine Serie von Massnahmen gezeigt, was er verändern will. Zudem gibt es keine Garantie, dass mit einem Trainerwechsel alles besser geworden wäre.

Was will Yakin verändern?
Es gibt verschiedene Themen, die wir bereits im Dezember in Angriff nehmen. Ein Beispiel: Gibt es Veränderungen im Staff oder im Kader? Murat muss konkret sagen, was seine Überlegungen und seine Wünsche sind.

Es wird gemunkelt, dass er einen neuen Assistenztrainer erhält.
Vincent Cavin hat uns bereits vor dem letzten Zusammenzug informiert, dass er ein Angebot als Sportchef von Lausanne hat. Es könnte also sein, dass es einen neuen Assistenztrainer gibt.

Wird dies passieren?
Murat muss sagen, welche Hilfe er braucht. Vincent hatte eine wichtige Rolle, vor allem bei der Gegneranalyse. Er war schon unter Hitzfeld und unter Petkovic Match- und Videoanalyst, unter Murat hat sich seine Rolle dann geändert.

Pierluigi Tami persönlich

Pierluigi Tami wird am 12. September 1961 in Clusone (It) geboren. Als Spieler ist er bei Chiasso, Locarno, Bellinzona und Lugano tätig. Um die Jahrtausenwende startet er seine Karriere als Trainer. 2005 kommt er zum Verband und führt 2011 die U21-Nati mit Spielern wie Yann Sommer, Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka in den EM-Final und an die Olympischen Spiele 2012. Nach Abstechern zu GC und Lugano kehrt er im Sommer 2019 zum Verband zurück. Dort ist er als Nati-Direktor für alle männlichen Nationalteams verantwortlich. Der Tessiner besitzt die Schweizer und die italienische Staatsbürgerschaft.

Pierluigi Tami wird am 12. September 1961 in Clusone (It) geboren. Als Spieler ist er bei Chiasso, Locarno, Bellinzona und Lugano tätig. Um die Jahrtausenwende startet er seine Karriere als Trainer. 2005 kommt er zum Verband und führt 2011 die U21-Nati mit Spielern wie Yann Sommer, Xherdan Shaqiri und Granit Xhaka in den EM-Final und an die Olympischen Spiele 2012. Nach Abstechern zu GC und Lugano kehrt er im Sommer 2019 zum Verband zurück. Dort ist er als Nati-Direktor für alle männlichen Nationalteams verantwortlich. Der Tessiner besitzt die Schweizer und die italienische Staatsbürgerschaft.

Wie fiel Ihre Analyse der EM-Quali aus?
Zum ersten Mal in der Geschichte waren wir als Favorit in eine Qualifikation gestartet. Wir haben die auf dem Papier leichten Gegner auch dominiert, vielleicht hat deswegen die Spannung und der positive Stress etwas gefehlt. Aber es ist eben Fussball. Möglicherweise haben intern alle – Spieler und Staff – gedacht, wir werden zwar vielleicht nicht zehn Spiele gewinnen, aber wir schaffen das, wir qualifizieren uns. Aber das ist gefährlich. Im Fussball kann es schnell gehen.

Trotz Dominanz fehlten vorne die Tore und hinten gingen die Bälle rein.
Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht. Nehmen wir das Beispiel Israel: Welche Tablette haben wir in der Halbzeitpause geschluckt? Der gleiche Gegner, das gleiche System, die gleichen Spieler. Aber manchmal gibt es keine Erklärung, der Fussball ist nicht immer rational und eben auch keine Mathematik. Wir waren in fast allen Spielen dominant, teilweise mehr als dominant, normalerweise verlierst du eine Partie oder machst ein Unentschieden. Aber wenn es mehrmals passiert, wirst du nervös, steigt die Unsicherheit, machst du dir Gedanken. Aber Murat hat das erkannt, und er ist sich bewusst, dass wir gewisse Dinge korrigieren müssen.

Was hat er für Vorschläge gemacht?
Darüber möchte ich nicht öffentlich Auskunft geben. Zuerst müssen wir das im Detail intern kommunizieren. Aber er hat konkrete Vorschläge gemacht, was er ändern und verbessern will. Wichtig ist, dass wir in vielen Punkten bald Klarheit haben.

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«Murat hat eine klare Idee, wie er das ändern will»
Pierluigi Tami über die mässig Stimmung in der Nati
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Haben Sie keine Angst, dass die Diskussionen um den Trainer beim nächsten Negativerlebnis wieder aufkommen?
Klar, wenn man verliert, kann das passieren. Aber der Verband ist ein seriöses Unternehmen. Er hat einen Vertrag gemacht, den er erfüllt. Wir lassen keinen Mitarbeiter im Regen stehen, nur weil es schwieriger wird und Dinge verbessert werden müssen.

Im Communiqué hiess es, man wolle Weichen für die Zukunft stellen. Das bedeutet, dass sich Yakin auch über die EM hinaus Gedanken machen muss.
Die Integration von neuen Spielern ist ein Thema. Das hat Murat schon gemacht, Gavranovic und Seferovic sind nicht mehr dabei, dafür Okafor, Ndoye, Amdouni, Zesiger, Rieder und Jashari. Irgendwann kommt der Moment, wo die Generation der U17-Weltmeister und Finalisten der U21-EM von 2011 ersetzt werden müssen.

Das hiesse, dass man sich nicht erst nach der EM Gedanken darüber macht, ob es mit Yakin auch nach dem Sommer weitergehen könnte.
Der ZV hat entschieden, dass der Vertrag bis und mit EM erfüllt wird. Das andere Thema werden wir im Frühling angehen. Das war jetzt noch kein Thema, denn wichtig war uns, dass wir nach den Problemen der letzten Wochen, die wir hinterfragt und analysiert haben, Klarheit schaffen.

Haben Sie dem ZV vorgeschlagen, mit Yakin weiterzumachen?
Der ganze ZV hat nach einer 360-Grad-Analyse entschieden, dass wir zusammen weitermachen.

Laut Ihren Aussagen in Bukarest hatten Sie kein Vertrauen mehr in Yakin.
Das habe ich so nicht gesagt.

Aber so wurden Ihre Aussagen interpretiert.
Die Interpretation der Journalisten ist oftmals negativ. Wenn Granit sagt, dass schlecht trainiert wird, dann heisst es sofort, er kritisiere den Trainer, dabei galt die Kritik auch seinen Mitspielern. Ich war enttäuscht, wie wir die Qualifikation resultatmässig beendet haben, und ich machte mir zwischenzeitlich Sorgen, ob wir die Qualifikation schaffen. Darum war ich glücklich und erleichtert. Ich spürte, dass etwas nicht stimmt, dass wir zwar dominieren, aber der Killerinstinkt fehlt. Es fehlte auch diese letzte Energie, die Überzeugung, die Emotionen. Aber als Trainer kann man nicht mit den Fingern schnippen und dann ist das alles wieder da.

So zählte Nati-Direktor Yakin öffentlich an
3:05
Nach zäher EM-Quali:So zählte Nati-Direktor Yakin öffentlich an

Trotzdem: Ihre Aussagen waren sehr kritisch.
Ich hatte in Bukarest keine Ahnung, wie Murat die Situation sieht. Wenn er gesagt hätte, alles sei in Ordnung, wir müssen nichts ändern, wir gehen so weiter, dann hätte ich ein Problem gehabt. Aber er hat nichts schöngeredet, er hat die Situation analysiert und einige sehr konkrete Vorschläge gemacht.

Wurden die Spieler auch in die Analyse eingeweiht?
Nein. Die Analyse der Leistung haben wir gemacht. Die Spieler müssen spielen. Sie sind alles gute Fussballer, aber sie müssen wieder diese Energie und die Positivität reinbringen, dann werden wir auch wieder besser. Aber Murat hat auch da eine klare Idee, wie er das ändern will.

Wird er an der EM auf langjährige Führungsspieler verzichten?
Das ist der Entscheid von Murat. Das Hauptziel ist, das bestmögliche Turnier zu spielen. Aber wir müssen uns bei der Kaderzusammensetzung verschiedene Gedanken machen. Im Normalfall sind nur 17 bis 18 Spieler während eines Turniers wirklich involviert, hinzu kommt der physische Aspekt. Welche Spieler sind bereit, mehrere Spiele durchzustehen. Die WM hat gezeigt, dass die Physis immer wichtiger wird, die ersten drei Spiele waren wir mit dem Gegner auf Augenhöhe, im vierten Spiel gegen Portugal waren wir tot.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Abwärtsspirale im März weiterdreht?
Nein. Murat hat bisher alle Ziele erreicht und er hat uns die Antworten gegeben, die uns Vertrauen geben.

Es gibt Gerüchte, dass Yakin nach einer Niederlage gegen den Kosovo entlassen worden wäre.
Das war nicht geplant. Aber ich bin froh, dass ich diese Situation nicht analysieren musste.

Hatten Sie mit möglichen Nachfolgern von Yakin Kontakt?
Nein, nie. Ich hatte nie mit anderen Trainern Kontakt gehabt. Weder mit Fischer noch mit Favre oder sonstigen Namen, die ich gelesen habe.

Man kann auch via eine andere Person Kontakt aufnehmen.
Das ist nicht mein Stil. Wenn, dann nehme ich direkt mit einer Person Kontakt auf.

Mit seiner Kritik an Trainer und Verband im Kosovo hat Granit Xhaka den Trainer öffentlich angezählt. Würden Sie heute anders reagieren?
Ich wurde im Bus ins Hotel über Granits Aussagen informiert. Am nächsten Tag sass ich mit ihm und Murat am Tisch und habe Granit gesagt, dass er einen Fehler gemacht hat und solche Aussagen in der Öffentlichkeit niemandem helfen. Wenn er ein Problem mit Murat habe, müsse er mit ihm und nicht vor dem Mikrofon sprechen. Dann sagte ich zu Murat, dass wir in zwei Tagen ein Spiel gegen Andorra haben, dass wir gewinnen müssen. Wir brauchen eine Lösung. Wenn zwischen euch alles geregelt ist, gehen wir gemeinsam in dieses Spiel, ansonsten gibt es Konsequenzen. Dann haben die beiden 45 Minuten zusammen gesprochen und beide haben gesagt, es sei alles geregelt. Seither habe ich von möglichen Problemen nichts mehr gehört.

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«Gegen Deutschland würde ich an der EM lieber nicht spielen»
Pierluigi Tami über die anstehende EM-Auslosung
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Haben Sie keine Angst, dass diese Probleme wieder auftauchen?
Das Gleichgewicht innerhalb einer Mannschaft ist immer in Bewegung. Ein Trainer muss viel in die Kommunikation investieren. Aber auch die Spieler müssen ehrlich und offen sein. Ich habe ihnen immer gesagt, wenn sie ein technisches oder taktisches Problem haben, dann müssen sie zum Trainer gehen.

Sind Sie überzeugt, dass die Mannschaft hinter Yakin steht?
Ja. Denn wenn eine Mannschaft nicht hinter dem Trainer steht, zeigt sie nicht solche Leistungen. Ausser im Spiel im Kosovo (2:2) waren wir statistisch gesehen immer die klar gefährlichere Mannschaft. Gegen Rumänien (2:2) hätten wir laut Statistik mit drei oder vier Toren Differenz gewinnen müssen, gegen Belarus (3:3) mit zwei, auch wenn wir drei Tore kassiert haben.

Woran lags dann?
Bis im Juni hat alles funktioniert. Dass nachher die Resultate nicht mehr stimmten, überraschte uns alle. Das Spiel im Kosovo war ein spezielles Spiel. Dann kam der Oktober mit dem Krieg in Israel. Das 3:3 gegen Belarus war ein Rückschlag, das hat man gespürt. Danach wurde die Situation schwieriger. Wir haben die Freude, die immer wichtig ist, vergessen. Der letzte Wille, diese Energie, unbedingt ein Tor schiessen oder eben auch verhindern zu wollen, fehlte. Ist dafür der Trainer verantwortlich? Nur zum Teil. Aber diese Freude, diese Energie müssen wir wieder an den Tag legen.

Hatten Sie in den letzten Tagen auch Angst um ihren Job?
Die Frage, ob Tami der Richtige ist, interessiert mich nicht. Ich habe dem Zentralvorstand vor drei Jahren meine Vision und meine Ziele bis 2026 präsentiert, dann möchte ich in Pension gehen und etwas anderes machen. Seit ich hier bin, hatten wir mit den Nationalteams inklusive Nachwuchsauswahlen noch nie so viel Erfolg wie in diesem Jahr.

Aber die A-Nati hat nicht geglänzt.
Die Nati hat die Quali auf Platz 2 abgeschlossen, aber das Hauptziel haben wir erreicht. Ich verantworte aber acht Nationalteams. Die U17 ist im Penaltyschiessen am späteren Europameister und jetzigen WM-Finalisten Deutschland gescheitert. Die U19 hatte sich zuvor seit Jahren nie mehr für die Eliterunde qualifiziert. Die U21 qualifizierte sich zum zweiten Mal in Folge für die EM und erreichte in Rumänien den Viertelfinal. Auch deswegen haben unsere Klubs Spieler wie Ndoye, Zeqiri und Amdouni für 35 Millionen Franken verkauft. Wir sind auf gutem Weg. Zwischen 2015 und 2019 haben wir uns mit den Junioren nur für 6 von 15 Turnieren qualifiziert, von 2020 bis 2024 für 7 von 10. Aber es werden herausfordernde Zeiten auf uns zukommen.

Das heisst, Sie machen sich Sorgen für die Qualifikation für die WM 2026?
Die Statistiken sind nur das eine, aber damit muss ich mich beschäftigen. Wir haben gute Talente, aber einem Teil von ihnen fehlt die internationale Erfahrung. Wir haben Fortschritte gemacht, aber wir sind nach wie vor weit entfernt von den Besten. Wir können einmal Spanien oder Portugal schlagen, aber das sind nicht unsere Gegner. Israel war an der U21 im Halbfinal, Rumänien schaffte dies 2019. Wir müssen realistisch sein.

Gibt es auch die Idee, einen Teammanager zu installieren?
Ich hatte Murat vor einem Jahr den Vorschlag gemacht, einen ehemaligen Spieler als zweiten Assistenten zu engagieren. Einer, der zwar nicht viel Erfahrung als Trainer hat, aber deutlich jünger und damit näher an den Spielern ist, trotzdem aber zum Staff gehört. Der Cheftrainer und die Spieler haben zwar auch eine Beziehung, aber dort gibt es eine klare Grenze. Andere Länder wie Italien machen das. Doch Murat wollte das damals nicht, ob das nun ein Thema wird, entscheidet er. Ich fände es eine gute Idee.

Welche Gegner wünschen Sie sich für die EM?
Ich bin in erster Linie froh, dass wir an der Auslosung in Hamburg dabei sind. Wichtig für mich ist unsere Mannschaft, dass wir wieder unser gewohntes Niveau, und damit Freude und eine gute Stimmung verbreiten, dann ist es egal, gegen wen wir spielen. England als Gegner wäre schön, weil wir im Test im Wembley (1:2) fussballerisch nicht schlechter waren, England aber klarer Favorit wäre. Das liegt uns vielleicht besser. Gegen Deutschland würde ich lieber nicht spielen, weil alle denken, dass es denen nicht läuft, ich aber überzeugt bin, dass die an der EM bereit sein werden.

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