Der Beginn einer neuen Ära im Nati-Tor
«Für viele ist Kobel besser als Manuel Neuer»

Mit Gregor Kobel beginnt eine neue Ära im Schweizer Tor. Nun ist der BVB-Keeper auch in der Nati die Nummer 1. Weggefährten sprechen über den 1,96 m grossen Zürcher, dessen Weg an die Spitze ein ungewöhnlicher war.
Foto: FIFA via Getty Images
Mit Gregor Kobel beginnt in der Nati eine neue Goalie-Ära

Auf einen Blick

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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef
Publiziert: 01.09.2024 um 12:19 Uhr
|
Aktualisiert: 01.09.2024 um 13:00 Uhr

Nach einem Jahrzehnt Yann Sommer (35) beginnt nächste Woche eine neue Ära im Schweizer Nati-Tor. Gregor Kobel (26) tritt die Nachfolge des Inter-Keepers an. Endlich, denken viele, gehört der Zürcher doch seit Jahren zu den besten Torhütern der Bundesliga, hat aber – auch wegen Verletzungen – erst fünf Länderspiele gemacht. Zudem ist er mit geschätzten zehn Millionen Euro Jahresgehalt der bestbezahlte Schweizer Fussballer.

«Yann ist ein guter Torhüter, aber Gregor ist Weltklasse», sagt Philipp Degen (41). Der Ex-Nati-Spieler ist nicht unvoreingenommen, denn er ist seit 2016 Kobels Berater. Als «ehrlich, transparent, bodenständig und sehr sensibel», beschreibt er seinen Klienten. Neben dem Talent hebt Degen vor allem auch dessen Mentalität hervor. «Greg überlässt nichts dem Zufall, fordert sich jeden Tag neu heraus und ruht sich nicht auf seinen Erfolgen aus.»

Die neue Nummer 1: Gregor Kobel ist der neue Stammkeeper bei der Nati.
Foto: TOTO MARTI

Einer der Vorgänger Kobels in der Nati ist Pascal Zuberbühler (53). Der Thurgauer findet den Vergleich von Sommer und Kobel schwierig, denn die beiden seien von der Art her sehr unterschiedlich. Kobels grösste Stärke seien die Eins-gegen-Eins-Situationen. «Er hat eine riesige Ausstrahlung und Präsenz. Wenn er rauskommt, dann schepperts.»

Mit 1,96 m hat Kobel Gardemasse für einen modernen Torhüter. «Greg ist ein Aggressivleader, der auch verbal Vollgas gibt und gelegentlich mit dem Kopf durch die Wand will», so Zuberbühler. Dass Kobel nun die Nummer 1 in der Nati werde, sei trotz seiner starken Leistungen mit dem BVB auch für diesen eine neue Herausforderung. «Als Stammkeeper in der Nati wirst du im Klub anders wahrgenommen. Und du musst in jedem Länderspiel performen.»

Wie der Vater so der Sohn

Kobel wuchs im Zürcher Seefeld auf, sein Bewegungstalent war früh ersichtlich. Schon mit zwei Jahren stand er erstmals auf dem Eis, auch skifahren lernte er schnell, ebenso spielte er Tennis. Und als er dies mit seiner Mutter einmal auf der Anlage Lengg tat, wollte er sich auch beim Fussball probieren. Bei den F-Junioren im Quartierklub gehörte er sofort zu den Besten, schoss als Feldspieler Tore, hütete dieses aber auch. Bald schon folgte der Wechsel zu GC.

Seit 2021 spielt Kobel bei Borussia Dortmund.
Foto: Getty Images

Was auffiel, ist Kobels Arbeitsethos. Ob bei Schnee, Regen, Kälte oder Wind, der kleine Gregor war immer dabei. Denn das Motto im Haus Kobel lautete: Wenn man bei einem Klub wie GC spielen darf, dann ist man als Junior verpflichtet, alles zu geben, jeden Tag. Ging es nur um den Spass mit Kollegen, dann stand es dem Knirps frei, mit seinen Schulfreunden in einem lokalen Fussballklub zu kicken.

Dank Kobels Paraden schaffte der BVB den Einzug in den Champions-League-Final gegen Real Madrid.
Foto: imago/PA Images

Diese Mentalität kommt nicht von ungefähr. Vater Peter Kobel (51) war selbst Profi-Sportler und stürmte als Eishockeyaner in den 90er-Jahren für den ZSC, Lugano, Davos und Kloten. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist bis heute sehr eng. «Gregors Vater war überehrgeizig, aber im positiven Sinn. Und für die Entwicklung von Gregor sehr wichtig», erinnert sich Johannes Moos (39). Der heutige Chefscout und Kaderplaner Nachwuchs beim FC Basel war damals unter anderem als Chef Préformation bei GC tätig.

Das Mindset des Vaters sei sehr professionell gewesen und habe sich auf den Sohn übertragen. «Vor den Spielen gingen sie in den Wald für Koordinationsübungen. Oder sie achteten bereits sehr auf die Ernährung. Gregor war bereits damals wie ein Vollprofi unterwegs», so Moos. Dieser war Co-Trainer, als Kobel in der U15 war. «Er war bereits damals gross, aber dünn und noch nicht kräftig. Er war körperlich trotz seiner Grösse ein Spätentwickler.»

Sein bislang wichtigstes Länderspiel absolvierte Kobel an der WM 2022 in Katar beim 3:2-Sieg gegen Serbien.
Foto: TOTO MARTI

Dies ist mit ein Grund, warum Kobel nicht allzu häufig zum Einsatz kam, sein Konkurrent Senad Mujovic hatte leicht die Nase vorn. Damals bei GC als Goalietrainer tätig: Christoph Born, heute bei YB, und – Patrick Foletti, der heutige Goalie-Trainer der Nati. Als Kobel spürte, dass er nicht weiterkommt, wechselte er als Sechzehnjähriger nach Hoffenheim. «Es war nie ein Thema, dass man sich von Gregor verabschieden will», erinnert sich Moos. Mehrere Quellen glauben rückblickend: Der Klub hätte wohl mehr auf Kobel setzen und sich um ihn kümmern müssen. Zudem wurde es offensichtlich verpasst, ihm einen Vertrag anzubieten.

Augsburg und Stuttgart als Meilensteine

Der Wechsel zu Hoffenheim wurde für Kobel zum «Gamechanger». Bereits beim ersten Treffen mit Michael Rechner, dem heutigen Goalie-Trainer von Bayern München, machte es Klick. Dieser wird zum Mentor und grossen Förderer Kobels, Cheftrainer der U19 war ein gewisser Julian Nagelsmann. Fern der Heimat und in einer der besten Akademien Europas entwickelte sich Kobel nicht nur als Torhüter, sondern reifte auch als Persönlichkeit.

Kobel während der EM in Deutschland mit seiner Freundin.
Foto: TOTO MARTI

Doch auch in Deutschland warteten Hindernisse. Bei Hoffenheim kam er nicht an Oliver Baumann vorbei, obwohl Kobel überzeugt war, dass er besser ist. Das Problem: Bei den Kraichgauern hatte Kobel einen langjährigen Vertrag, und verkaufen wollten sie das Talent nicht. Berater Degen schaffte es, ihn nach Augsburg auszuleihen. Ein riskanter Schachzug, denn Augsburg steckte mitten im Abstiegskampf – und setzte auf einen jungen Goalie aus der Schweiz. Vater Peter wusste, wenn das in die Hose geht...

Doch sein Sohn bestand den Test mit Bravour, Kobel bewies seine Bundesliga-Tauglichkeit, Augsburg blieb in der Liga. Mit dem VfB, der in der 2. Liga war und unbedingt aufsteigen wollte, folgte die nächste grosse Herausforderung. «Ich wusste, wenn er auch das meistert, dann ist er mental auf einem anderen Level», sagt Degen. Der VfB stieg mit Kobel auf, etablierte sich mit ihm in der Bundesliga. Die beiden Stationen wurden zu entscheidenden Meilensteinen auf dem Weg nach oben.

Schon fast eine BVB-Legende

«Die Geschichte zu Greg ist schnell erzählt», sagt Sebastian Kolsberger (38), der seit 2015 für die «Bild»-Zeitung Borussia Dortmund begleitet. «Er ist definitiv der beste Keeper der Liga, sein Stellenwert innerhalb der Mannschaft riesig.» Die Statistiken untermauern Kolsbergers Aussage. Zudem hat das Fachmagazin «Kicker» Kobel zum vierten Mal in Folge als besten Torhüter der Liga ausgezeichnet. «Für viele ist Kobel auch besser als Manuel Neuer», so Kolsberger.

Fünf Länderspiele hat Kobel bisher für die Nati bestritten.
Foto: TOTO MARTI

Nicht nur wegen seiner Leistungen wird Kobel in Dortmund geschätzt. Als unterhaltsamen und sympathischen Kerl beschreibt der «Bild»-Journalist den Zürcher, der seit 2021 beim BVB spielt. «Er ist der perfekte Typ, den jeder gern in seinem Klub hat.» Kobel komme jeden Tag mit einem Lachen ins Training und sei sehr höflich. «Und wenn er einmal mit unserer Kritik nicht einverstanden ist, spricht er das offen, aber in einem gemässigten Ton an.»

Hat er dann auch Schwächen? Fussballerisch gebe es schon ab und zu einmal ein «Problemchen», sagt Kolsberger, fügt aber mit einem Lachen an: «Bei Vorgänger Marwin Hitz wars deutlich schlimmer.» Die Chancen stünden gut, dass es mit dem BVB in diesem Jahr endlich mit einem Titel klappe, nachdem 2023 die Meisterschale am letzten Spieltag aus der Hand gegeben wurde und der Champions-League-Final 2024 gegen Real Madrid verloren gegangen war. Bis 2028 läuft Kobels Vertrag noch bei der Borussia. «Gerne würden wir Greg aber für immer behalten.»

Der Nachfolger und sein Vorgänger: Kobel mit Yann Sommer während der EM im Nati-Camp.
Foto: TOTO MARTI

Fernziel England

Dass dies nicht realistisch ist, wissen die Verantwortlichen beim BVB. Kobel selbst hat sich vor der Saison dahingehend geäussert, dass er die nächsten «ein bis zwei Jahre» bei Dortmund bleiben will. «Wir schauen von Saison zu Saison», sagt Berater Degen. Macht Kobel so weiter wie bisher, ist ein Wechsel zu einem absoluten Topklub Europas nur eine Frage der Zeit: Bayern München, Barcelona oder Manchester United ist ungefähr das Level, wo es für Kobel einmal hingehen soll.

«Er ist einer, der auf die Insel passt», sagt Zuberbühler, der gute Beziehungen nach England pflegt. Auch Manchester United hat sich beim Goalie-Verantwortlichen der Fifa und TV-Experten schon nach Kobel erkundigt. Für Berater Degen ist klar: «Eine Karriereplanung ist kein Sprint, sondern ein Marathon.» Darauf sei auch die Planung mit Kobel ausgerichtet.

Mit 26 Jahren ist Kobel noch immer ein junger Torhüter. Nun beginnt auch für ihn ein neues Kapitel als Nummer 1 in der Nati. Hat er das Potenzial, eine nächste Ära wie sein Vorgänger zu prägen? «Wenn der Körper mitmacht – absolut», sagt Zuberbühler. «Denn von den Anlagen her bringt er alles mit.»

Nati-Trainer Yakin mit seiner neuen Nummer 1.
Foto: TOTO MARTI
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