In jedem Fussballspiel gibt es etliche Standard-Situationen. Ob Eckbälle, Freistösse oder Elfmeter, ruhende Bälle – diese Situationen sind stets ein potenzieller Gefahrenherd. Doch sind die Standards wirklich so gefährlich oder sind sie überbewertet? Statistiken liefern die Antwort.
Laut einem Bericht der offiziellen Bundesliga-Website fällt in Deutschlands höchster Liga rund jedes vierte Tor nach einem ruhenden Ball. Diese Statistik enthält Treffer nach Eckbällen, Freistössen und Elfmetern. In der Premier League sind es etwa 21 Prozent – also ungefähr jedes fünfte Tor fällt nach einem Standard. Ein beachtlicher Wert, der aufzeigt, wie wichtig die Standards im modernen Fussball sein können.
DFB setzt auf Standard-Coach
Dies sehen auch viele Teams so. Denn viele Mannschaften haben bereits spezielle Standard-Trainer. So beispielsweise die deutsche Nationalmannschaft, die 2021 Mads Buttgereit (38) als Coach für Standard-Situationen einstellte. Die Geschichte des Dänen, der sich bereits seit etlichen Jahren nur mit ruhenden Bällen beschäftigt, steht für den Standard-Aufschwung im modernen Fussball. Von 2015 bis 2019 feilte Buttgereit beim dänischen Verein FC Midtjylland an seinen Taktiken, machte den Provinzklub zu einer der gefährlichsten Mannschaften nach ruhenden Bällen in ganz Europa und gewann je einmal den dänischen Meistertitel und den Pokal.
Vor der Europameisterschaft 2021 wurde er dann in den Trainerstab der dänischen Nationalmannschaft geholt und hatte erhebliche Anteile am dänischen EM-Märchen. Auch dank mehrerer Standard-Tore erreichten die Skandinavier sensationell den Halbfinal. Noch während des Turniers erhielt der Däne einen Anruf aus Deutschland und wurde vom damaligen Bundestrainer Hansi Flick (58) ins DFB-Team geholt. Und auch in Deutschland fruchtete der Transfer sofort.
Denn während die deutsche Nationalmannschaft zwischen der WM 2018 und der EM 2021 im Schnitt nur 0,27 Standardtore pro Spiel erzielte, erhöhte sich der Wert seit Buttgereits Amtsantritt auf 0,73.
Hochmoderne Techniken
Standard-Freak Buttgereit arbeitet mit modernsten Techniken. Er nutzt das aus dem Golfsport bekannte System Trackman und Radargeräte. «Dabei werden zum Beispiel die Ballgeschwindigkeit, die Spin-Achse oder die Höhe der Mauer gemessen», erklärte er einst. Mit den Spielern führt er zudem Videoanalysen der Standards durch und studiert Varianten aus seinem selbst entwickelten Playbook durch. Während der Spiele analysiert er dann die Situationen auf einem Tablet und gibt in Echtzeit Verbesserungen durch. Ein Vollzeit-Job für ruhende Bälle.
Doch warum beurteilen Trainer Standards im modernen Fussball als immer wichtiger? Eine beliebte Theorie ist, dass die Teams taktisch immer besser werden und man deshalb den Chaos-Moment des ruhenden Balles ausnützen will, um Torgefahr zu erzeugen.
Ist der Eckball überschätzt?
Die häufigste Standard-Situation ist der Eckball. Dass dieser überschätzt ist, zeigt eine Statistik aus der letzten Bundesliga-Saison. So haben 2970 Ecken zu gerade einmal 93 Toren geführt. Im Schnitt braucht es also etwa 32 Eckbälle für ein einziges Tor. Dass die modernen Techniken und Videoanalysen aber dennoch etwas bringen könnten, zeigt der Vergleich zu früher. In der Saison 1993/94 brauchten die Bundesliga-Teams nämlich etwa 56 Eckbälle für ein Tor.
Noch weniger oft sind die Teams nach Freistössen erfolgreich. Dabei versprechen indirekte Freistösse mit Flanken aber mehr Erfolg als direkt geschossene. In der Bundesliga fallen rund 4,5 Prozent aller Tore nach Freistoss-Flanken und 0,7 Prozent nach einem direkten Versuch. Aber auch hier gibt es neue Trainingsmethoden, Real Madrid trainiert seine Freistösse beispielsweise mit Robotern.
Die Standard-Situationen sind ein echter Mythos. Manche Trainer üben sie häufiger und schenken ihnen mehr Aufmerksamkeit, andere weniger. Dass es sich lohnt, einen Coach für die ruhenden Bälle zu holen, hat das Beispiel Buttgereits jedenfalls gezeigt. Ob sich dies im Fussball aber durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Denn dass gute Standards noch lange kein Garant für Siege sind, beweisen derzeit die Deutschen. Bei ihnen läufts auch mit ihrem Standard-Freak nicht rund.