Köln-Hahnwald, ein Nobelviertel. Das Grundstück ist 4000 Quadratmeter gross, das Hauptgebäude ist eher ein Schloss denn eine Villa. Christoph Daum kommt frisch geduscht in die Küche und setzt sich an den Holztisch. «Ich mache jeden Morgen meinen Triathlon. Hometrainer, Laufband und dann einige Runden schwimmen in meinem Hallenbad im Keller», sagt er. Und zündet sich eine Zigarette an. Seine Frau Angelica serviert Kaffee und holt dann beim Bäcker Brötchen. Daum beginnt zu erzählen. Leidenschaftlich und gestenreich, ohne Punkt und ohne Komma. Er referiert über die politische Entwicklung und die Geschichte und die Kultur in der Türkei, wo er mehr als neun Jahre gearbeitet hat und noch immer als erfolgreichster und populärster ausländischer Trainer gilt. Zwischendurch zeigt er sein Büro im Nebengebäude. Hunderte von Ordnern stehen da in den Regalen. Jede taktische Besprechung, jede persönliche Unterredung, jedes Training all seiner Stationen ist protokolliert und dokumentiert. Nichts hat er über Jahrzehnte dem Zufall überlassen. Ein Kontrollfreak. Der im dümmsten Moment die Kontrolle verloren hat.
Blick: Herr Daum, würden Sie uns eine Haarprobe mitgeben?
Christoph Daum (schmunzelt): Da würden Sie höchstens sehen, was ich gestern zu Abend gegessen habe.
Den Begriff «Haarprobe» kennen viele erst, seit man nach den Verdächtigungen von Uli Hoeness bei Ihnen so eine genommen und Kokain nachgewiesen hat.
Das mag so sein, ja. Aber darauf muss ich ja nicht stolz sein, oder?
Nein. Aber wie konnte das einem so erfolgreichen Trainer auf dem Höhepunkt der Karriere passieren? Haben Sie damals ein Gefühl der Unantastbarkeit entwickelt? Eine Art Grössenwahn?
Nein, nicht im Geringsten. Es kam damals einfach alles zusammen. Die Trennung von meiner Familie, eine Millioneninvestition in Mallorca, die zu platzen drohte, der Druck in der Bundesliga. Man darf keine Schwäche zeigen, man darf sich keine Blösse geben. Es war alles zu viel. Ich habe damals im Hotel gewohnt. Und da kam jemand und sagte: «Ich habe etwas, was deinen Kopf frei macht.» Und hat mir dieses Pulverdöschen in die Hand gedrückt.
Und wie hat es gewirkt?
Ach, das weiss man doch. Man kann ganz kurz etwas verdrängen, aber niemals etwas lösen. Die Probleme werden nur grösser.
Nach der positiven Haarprobe sind Sie nach Florida geflüchtet.
Ich war Trainer in Leverkusen. Manager Rainer Calmund hat mir ein Flugticket in die Hand gedrückt und gesagt: «Du musst raus aus Deutschland. Sofort.»
Aber der Schaden war nicht abzuwenden.
Nein, natürlich nicht. Ich habe in diesem Moment komplett den Boden unter den Füssen verloren. Ich wusste, dass ich nicht Bundestrainer werden kann, alles war in Frage gestellt. Ich habe in den USA eine zweite Haarprobe machen lassen, die war negativ. Aber geglaubt hat mir niemand mehr. Als ich zurück gekommen bin habe ich gestanden, einige Male Kokain konsumiert zu haben. Da war ich halt plötzlich ein Junkie, ein Drogenabhängiger. Und die Staatsanwaltschaft hatte einen Prominenten, in den man sich verbeissen konnte.
Haben Sie als junger Mensch schon Erfahrungen mit Drogen gemacht und mal einen Joint geraucht?
Nie. Der Sport, der Fussball, das war meine Droge. Und dann mache ich so eine Dummheit mit mehr als 40 Jahren. Ich kann es heute noch nicht so richtig fassen.
Etwas salopp gesagt: Mittlerweile ist ja Gras über diese Kokain-Affäre gewachsen. Jetzt wird alles wieder aufgerollt, weil Sie eine Biographie veröffentlichen. Warum tun Sie das? Brauchen Sie Geld? Brauchen sie Aufmerksamkeit?
Nein. Und mit einem Buch können Sie sowieso kein Geld verdienen. Ich mache das für meine vier Kinder und meine zwei Enkelkinder.
Wie bitte?
Ja, so ist es. Für mich persönlich ist das keine therapeutische Aufarbeitung. Aber hier am Küchentisch, wo wir jetzt sitzen, sitze ich auch mit meinen Kindern. Wir reden und ich spüre, dass sie alles wissen wollen. Die Zusammenhänge, die Hochs und Tiefs in meinem Leben. Meine Kinder haben mich ermuntert, das alles aufzuschreiben. Weil der Fussball ein Mikrokosmos des ganzen Lebens ist.
Die «Bild»-Zeitung hat in einer Serie Vorabdrücke des Buches veröffentlicht. Welche Reaktionen erhalten Sie?
Viele Positive. Vielleicht tut es den Leuten gut, wenn sie wieder mal sehen, dass Fehler menschlich sind. Das ist wie eine Katharsis für andere, eine Läuterung der Seele. Aber ich bin halt derjenige, der vorgeführt worden ist.
Wer fehlerfrei ist werfe den ersten Stein.
Das ist so. Moral von den anderen einzufordern ist viel einfacher, als ein Leben zu führen, dass diesen Ansprüchen genügt. Die Menschen haben mir verziehen. Als 2004 Ottmar Hitzfeld nicht deutscher Bundestrainer werden wollte, da hat die Öffentlichkeit mich gefordert. Aber für die Entscheidungsträger war ich kein Thema mehr.
Sie waren früher der Lautsprecher der Liga, ihre verbalen Duelle mit Uli Hoeness sind Kult. War da auch Show dabei um Aufmerksamkeit zu generieren?
Ohne Wind gibt es keine gute Regatta. Die Bundesliga drohte ja einzuschlafen. Alle habe vor den Bayern den Bückling gemacht. Ich wollte ihnen in jeder Beziehung die Stirn bieten. Sonst kann man den Meisterpokal ja jede Saison per Post direkt nach München schicken.
Aber der Ton wurde immer gehässiger, bis zu den fatalen Drogen-Vorwürfen von Hoeness.
Ja, das ist so. Eine Show war das nicht.
Hoeness hat Sie ins Elend geritten und ist nach seiner Steuerhinterziehung dann im Gefängnis gelandet. Kam da Schadenfreude auf?
Nie, nicht im Geringsten. Ich weiss ja genau, was so etwas vor allem auch für die ganze Familie bedeutet. Das wünscht man niemandem, nicht mal seinem Erzfeind. Ich habe mir sogar mal überlegt, ihn damals im Gefängnis zu besuchen. Vor kurzem hat mich Hoeness mal angerufen.
Nach all den Jahren?
Ja. Mir ist fast der Hörer aus der Hand gefallen, ich dachte an einen Scherzanruf. Er hat sich bei mir bedankt.
Wofür?
Dass ich mich in seiner ganzen Steueraffäre nie kritisch geäussert habe. «Du hättest über mich herziehen oder nachtreten können, hast das aber nie gemacht. Ich weiss das wirklich sehr zu schätzen», hat er mir gesagt.
Sie galten einst als grösster Motivationskünstler aller Trainer. War das ihre wahre Stärke?
Ach was. Das ist eine unangemessene Verkürzung meiner Trainerqualitäten. Ich bin der Motivator, Felix Magath trainiert nur mit Medizinbällen und ist der Quälix und Ralf Rangnick ist der Professor. So einfach kann man Trainer nicht schubladisieren. Erfolg hat nur, wer die richtige Mischung findet. Ich habe schon in den achtziger und neunziger Jahren modernen Fussball mit Pressing gespielt und war diesbezüglich einer der Pioniere. Aber klar: Die Motivation und das Zwischenmenschliche sind wichtige Faktoren. Da gibt es Grundsätze.
Zum Beispiel?
Behandle andere Menschen so, wie Du selber behandelt werden möchtest. Damit kommt man schon weit.
Wie hat sich der Fussball in den letzten Jahren entwickelt?
Es hat eine gewisse Verwissenschaftlichung stattgefunden. Klar, die Taktik ist wichtig. Aber mir fehlt etwas der Fussball mit Herz, die Leidenschaft, der Wille. Man kann einen Sieg auch mal erzwingen. Das spürt man zu wenig. Das waren früher deutsche Tugenden. Die sind total in den Hintergrund gerückt. Aber die braucht es auch.
Jetzt spielt die Schweiz in der Nations League gegen Deutschland in Köln. Gehen Sie hin?
Ich habe es geplant, ja. Die Nations League hat ja niemand so richtig ernst genommen. Aber nach der verpatzten WM 2018 ist der Wettbewerb jetzt plötzlich wichtig geworden. Man muss was gutmachen.
Das gelingt aber nicht so richtig.
Die Mannschaft ist im Umbruch, es ist eine schwierige Phase. Darum darf sich das Team jetzt gegen die Schweiz keinen Ausrutscher mehr erlauben.
Jogi Löw ist unter Druck.
Er hat einen tollen Leistungsausweis. Sein Vertrag läuft 2022 aus. Dann wird es wohl einen Neuanfang geben.
Aber nicht mit Christoph Daum?
Davon gehe ich nicht aus. Da gibt es andere, wie Jürgen Klopp oder Julian Nagelsmann, die da in der ersten Reihe stehen.
Welche Beziehung haben Sie zur Schweiz?
Ich hatte immer wieder Schweizer Spieler. Und habe natürlich mitbekommen, wie toll sich der Fussball in der Schweiz entwickelt hat. Vor zwei Jahren hatte ich mal Kontakt mit GC, aber da hat sich nichts ergeben. Auch als türkische Investoren den FC Wil übernommen haben, da wollten sie mich in die Schweiz holen. Aber dieses Projekt war ja von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Ich bin auch kollegial bekannt mit Rolf Fringer. Den habe ich zufällig in Bangkok mal getroffen. Das war ein toller Trainer hat Jogi Löw in Stuttgart auch enorm profitiert. In Trainerkreisen hat es immer geheissen: Wo Fringer war, da kannst Du locker hingehen. Da übernimmst Du ein bestelltes Feld.
Schliessen Sie ein erneutes Engagement als Trainer aus?
Ich schliesse nichts aus. Aber ein Engagement auf strategischer Ebene ist wohl wahrscheinlicher. Aber die Motivation ist noch da. Aus anderen Sieger zu machen und so selber zum Sieger zu werden. Das ist der Antrieb.
Was machen Sie eigentlich im Moment?
Ich habe mehr Stress denn je, weil alle das Gefühl haben mir sei langweilig. Ich halte Vorträge und Seminare in vielen Teilen der Welt. Und es kommen viele zu mir, die Tipps und einen guten Rat wollen. Da waren auch immer wieder Schweizer dabei.
Zum Beispiel?
Köbi Kuhn beispielsweise habe ich vor den Playoff-Spielen 2005 gegen die Türkei auch Tipps gegeben, weil ich ja den türkischen Fussball bestens kenne. Es hat geholfen, die Schweiz hat sich damals für die WM 2006 in Deutschland qualifiziert.
Was war das letzte Angebot, dass Sie erhalten haben?
Die Malediven wollten mich als Nationaltrainer verpflichten. Aber die hatten nur ein Budget von 10'000 Dollar. Dafür hätte ich noch eine Insel bekommen, die ich selber hätte vermarkten sollen. Ich weiss aber nicht, ob es diese Insel nur bei Ebbe oder auch bei Flut gibt. Ich habe abgelehnt.
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Christoph Daum stammt aus dem sächsischen Zwickau. Seine Eltern flohen aus der DDR früh in den Westen und liessen Christoph zurück. An der Hand seiner Grossmutter und kurz vor dem Bau der Mauer überquerte dann auch er 1959 die Grenze und durfte zu seiner Mutter in den Westen. Daum war ein mittelmässiger Fussballer. Aber ein wacher Geist an der Sporthochschule in Köln. «Die Wichtigkeit und Bedeutung von pädagogischen und psychologischen Massnahmen eines Fussballtrainers» lautet der Titel seiner Diplomarbeit. Und dann mischt er die Bundesliga auf. Er lässt seine Spieler über Glasscherben laufen, er gilt als glänzender Motivator. Und mit weit aufgerissen Augen zofft er sich auch mit Bayern-Boss Uli Hoeness. Er reitet auf einer Erfolgswelle und hat auch bereits einen Vertrag als neuer Bundestrainer in der Tasche, als er brutal abstürzt und positiv auf Kokain getestet wird.
Vom Überflieger zum «Junkie»
Es ist der vielleicht grösste Skandal der Bundesligageschichte um einen streitbaren Mann, der als Trainer in Deutschland (Köln, Leverkusen, Stuttgart, Frankfurt) aber auch neun Jahre in der Türkei sowie in Belgien und Rumänien tiefe Spuren hinterlassen hat. Heute berät Daum Spieler, Trainer, Klubs und Verbände und hält Vorträge auf allen Kontinenten. Er hat zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe und zwei Kinder (19 und 16) mit seiner derzeitigen Frau Angelica Camm-Daum, die früher Sängerin und Schauspielerin war. In diesen Tagen kommt seine Biographie mit dem Titel «Immer am Limit» in die Buchhandlungen. Den Titel «Schnee von gestern» hat er abgelehnt. (fbi)
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