David Beckham (48)? Klar, weiss ich, wer das ist. Ein hochbegabter Fussballer, der schon in jungen Jahren zum Posterboy in England wurde. Der Hochs und Tiefs erlebte. Der Posh von den Spice-Girls heiratete und als Fussballer, Model und Marketingprodukt viel Geld verdiente.
Ein blonder Schönling mit Flair zum Luxus, der an der WM 1998 zum Sündenbock für Englands Ausscheiden gestempelt wurde, weil er gegen Argentinien die Rote Karte sah und danach unverschämt viel Häme und Hass einstecken musste, aber es irgendwie immer wieder schaffte, aus den Krisen gestärkt herauszukommen.
Ein Kunstwerk wie seine Freistösse
Nun habe ich mir dieser Tage die vierteilige Netflix-Doku «Beckham» angeschaut und muss attestieren: Eigentlich wusste ich nicht, wer Beckham ist. Und jetzt bin ich baff. Gebe zu, dass ich 1998 bei diesem denkwürdigen Achtelfinal zwischen England und Argentinien den Südamerikanern die Daumen gedrückt und die Platzverweis-Szene gegen Beckham damals wohlwollend zur Kenntnis genommen habe.
Ich war nie ein grosser Beckham-Fan, bin jetzt aber nach der Konsumation der Doku voller Mitgefühl und Bewunderung. Mir ist schon bewusst, dass so ein Film ein Marketingprojekt ist, gespickt mit Product-Placements, und natürlich das Ziel hat, den Protagonisten am Ende in bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Anders hätte es diesen Film nicht gegeben. Und irgendwie muss so ein Meisterwerk ja auch bezahlt werden, wo alle wichtigen Player als Zeugen auftreten und es wunderbare Aufnahmen aus frühester Jugend gibt. 16 Millionen Pfund soll Netflix allein für die Rechte bezahlt haben. Es wurde ein grandioses Zeitzeugnis – ein Kunstwerk wie Beckhams Flanken und Freistösse.
Absturz ins tiefste Tal der Tränen
Die ganzen Beziehungsstorys, die der Film auskostet, die sich stets am Rande des Kitsches bewegen, der Luxus und Klunker, interessieren mich wenig. Ich stemple sie als Luxusprobleme von Millionären ab. Ich mag Beckham in Bling-Bling-Aufmachung nicht. Umso mehr bewegt mich die Geschichte des gefeierten Jungstars, der alles hat und bekommt, was man sich als junger Mann wünschen kann – und dann wegen einer vermeintlichen Lappalie ins tiefste Tal der Tränen stürzt und zum gehassten Feind der Nation wird. Der so tief fällt, dass er in der Depression zu versinken droht, der Ausweg aus der Krise einem Wunder gleichkommt und bloss einer bemerkenswerten Leidensfähigkeit zu verdanken ist.
Was mich an Beckham am meisten beeindruckt und am Ende der Serie auch zu Tränen rührte, ist die Liebe dieses Mannes zum Fussball. Obwohl ihm die Stadionbühne schnell viel zu klein war und er ausbrechen, mehr sein wollte, als ein Fussballer, konnte er nie auf diesen Sport verzichten, der ihm Luft zum Atmen bedeutet.
Als er weinend den Platz verliess
Während er als neuer Spieler von Real Madrid vorgestellt wurde, wohin er von Manchester United 2003 gewechselt war, sagte er an der Pressekonferenz folgende Sätze, die tief in seine Fussballer-Seele blicken lassen: «Ich habe Fussball schon immer geliebt. Natürlich liebe ich auch meine Familie, aber Fussball ist alles für mich.»
Noch eindrücklicher ist die Szene in Episode vier, als Beckhams Karriere zu Ende geht, er im PSG-Dress sein letztes Spiel macht, zehn Minuten vor Ende der Partie ausgewechselt wird, damit er seine Abgangsbühne bekommt und dabei völlig die emotionale Kontrolle verliert. Spätestens da will man ihn in die Arme schliessen und ihm für die Liebe zu diesem Sport danken. Da versteht man, was Leidenschaft bedeutet.
Er hat das Ende seiner Aktivkarriere so lange hinausgezögert, wie es physisch möglich war. Doch an den Tagen nach den Spielen, als er sich vor Schmerzen nur noch aus dem Bett rollen konnte, da büsste er. Als er mit 38 schweren Herzens seine Karriere an den Nagel hängte, was tat er da? Da zog es ihn Stunden später bereits weiter. Er gründete in den USA einen neuen Fussbalklub, wo er als Mitbesitzer fungiert, mitfiebert, mitgestaltet, am liebsten heute noch mitspielen würde.
Was im Film verschwiegen wird
In Miami kann er als Boss seinen Fussball-Traum weiterleben und er hat keinen geringeren als den argentinischen Weltmeister Lionel Messi mit seiner Euphorie angesteckt. Diesen hat er im Sommer gegen die Konkurrenz der Saudi-Scheichs in die USA locken können. Ein grandioser Coup. Die beiden haben wohl viel gemeinsam.
Jeder, der diesen Sport liebt, sollte sich diesen Film anschauen. Er zeigt eindrücklich, wie gut Beckham tatsächlich als Fussballer war, wie genial er die Flanken und Freistösse mit seinem göttlichen rechten Fuss getreten hat, als welch grosser Spieler man ihn in der Fussball-Geschichte einordnen sollte.
Er zeigt aber nicht, und das ist ein grosses Versäumnis, dass Beckham sich 2022 für die WM in Katar als offizieller Botschafter und Werbeträger für 150 Millionen Dollar von den Scheichs kaufen liess. Bei aller Liebe zum Fussball: Das Geld war Beckham eben auch stets ganz wichtig. Diese Ambivalenz gehört zu ihm, macht ihn aus. Ich werde ihn lieber als brillanten Fussballer in Erinnerung behalten.