Auf einen Blick
Blick: Was bleibt vom letzten Jahr der persönlichen Superlative haften? Bitte ein bisschen Kopfkino Anfang Januar 2025.
Granit Xhaka: Mir kommt das entscheidende Spiel gegen Bremen zu Hause in den Sinn, als die Fans den Platz noch vor dem Abpfiff einnahmen. Ich werde dieses Bild nie vergessen, als ich mitten auf dem Feld stand – mit 30’000 Zuschauern und mit Tränen in den Augen.
Was hat Sie am meisten berührt?
Ich habe 60-jährige Fans weinen sehen, die seit 30 Jahren ein Saisonabo besitzen und so unendlich lange auf diesen Moment gewartet haben. Sie sagten mir einfach Danke. Das löst bei mir heute noch Hühnerhaut aus. Gegen Bremen war der magische Moment, in dem wir realisierten: geschafft! Schon am nächsten Tag schworen wir uns in der Garderobe, ungeschlagen zu bleiben, eine beispiellose Geschichte zu schreiben im deutschen Fussball.
Nach einem kurzzeitigen Tief geht die Erfolgsstory in Leverkusen weiter. Zu Beginn der Saison waren von Ihnen allerdings ziemlich kritische Töne zu hören. Warum?
Ich spürte bei mir selber, dass ich noch nicht auf 100 Prozent bin. Mental, nicht physisch. Mir fehlten fünf Prozent. Zuerst packte ich mich an der eigenen Nase, ehe mir klar wurde: Wir müssen darüber in der Garderobe klar und deutlich reden. Das Ergebnis stellt mich zufrieden. In den letzten Monaten haben wir zu unserem alten Rhythmus zurückgefunden. Die Abläufe passen wieder, wir sind zusammengerückt. Deshalb stimmen die Resultate wieder.
Nun folgt ein Schlag auf den anderen: Dortmund, Champions League, Cup-Viertelfinal-Derby gegen Köln, die Bayern kommen im Februar.
Wir freuen uns auf die kommenden 35 Tage. Es wird schwierig, aber wir haben alles in den eigenen Händen. Vor ein paar Wochen lagen wir neun Punkte zurück, jetzt noch vier. Es ist alles möglich.
Bayer-Taktgeber Xabi Alonso und Sie als Dirigent, eine Art Seelenverwandtschaft?
Definitiv! Ich sage es nicht sehr oft, aber es war mit Abstand der beste Entscheid meiner Karriere, zu ihm nach Leverkusen zu wechseln. In taktischer Hinsicht und auch im zwischenmenschlichen Bereich habe ich von ihm sehr viel lernen dürfen. Er war ja als Spieler auf meiner Position einer der Weltbesten. Aber die menschliche Komponente hat mich jetzt im direkten Umgang mit ihm noch mehr beeindruckt. Wie er sich als Coach unter Druck verhält, wie er auf Fehler reagiert, auf ungemütliche Spielstände, seine Gelassenheit in der Kommunikation mit uns, wow! Ich fragte ihn mal, woher das komme. Er habe dies vor allem bei Real Madrid gelernt. In Madrid gibt es immer wieder Phasen, in denen sie die Gegner einfach überrollen. Sie kennen dort das Wort «zittern» nicht. Der Gegner spürt diese Madrider Haltung, irgendwann beschleicht dich dann als Gegner die Angst, die Angriffswellen könnten beginnen. So tickt Xabi. Davon profitiert hier jeder.
Haben Sie Angst, dass Alonso im Sommer weiterziehen könnte?
Was heisst Angst? Es würde mir natürlich wehtun, ihn als Menschen und Trainer zu verlieren. Ich war ehrlich gesagt positiv überrascht, dass er nach der letzten Saison bei uns geblieben ist. Es ist so oder so ein Privileg, mindestens zwei Jahre lang unter ihm trainieren zu dürfen. Wenn er gehen sollte, wird Leverkusen seiner Linie und Philosophie treu bleiben. Daran zweifle ich keinen Moment.
Mit Bayer sind Sie wieder auf Kurs. Anders präsentiert sich die Ausgangslage derzeit in der Nati nach dem enttäuschenden Abstieg in der Nations League. Droht im kommenden WM-Quali-Herbst ein nächstes böses Erwachen?
Die letzten Spiele fühlten sich mehr wie Freundschaftsspiele an. Das muss künftig wieder anders sein. Es geht jetzt um eine WM-Qualifikation, die für mich vielleicht die letzte sein könnte – nicht nur für mich, vielleicht auch für ein paar andere im Team. Wir werden nicht jünger. Ich nicht, Rici (Rodriquez) und Remo (Freuler) nicht, vier, fünf weitere Spieler ebenfalls nicht. Es könnte 2026 einen riesigen Umbruch geben. Dementsprechend werden wir alles dafür tun, diese Endrunde zu erreichen. Ich will unbedingt dabei sein an der WM 2026.
Die siebte Endrunde könnte unter Umständen also Ihre letzte sein? Wie siehts im Klub aus?
Ich habe in Leverkusen noch einen Vertrag für dreieinhalb Jahre. Nach 2026 wären es noch zwei Saisons. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich befasse mich aktuell nicht zu einem Prozent mit einem möglichen Rückzug aus dem Nationalteam. Sehr, sehr weit im Hinterkopf gibt es einfach das Szenario: Die nächste WM könnte mein letztes Turnier sein. Es lohnt sich aber selten, im Fussball allzu langfristig zu planen. Aber an diese WM denke ich natürlich schon jetzt, weil es mich fasziniert, dass sie in den USA, in Mexiko und in Kanada ausgetragen wird.
Sie sind im Klub und in der SFV-Auswahl gleichermassen der Frontmann und Antreiber. Im Spätsommer wirkten auch Sie etwas blasser. Sind Sie nach den sommerlichen Gefühlseruptionen in ein Loch gefallen?
Das würde ich so nicht sagen. Es fehlen dir halt plötzlich einmal fünf, zehn Prozent. Man will zwar, aber es geht einfach nicht. Das hat nichts mit Arroganz oder fehlendem Hunger zu tun. Es ist im letzten Jahr so viel passiert, das man verarbeiten muss, und man ist deshalb mental womöglich nicht voll parat, alles zu schlucken oder einfach zur Seite zu wischen. Das habe nicht nur ich zu Beginn der Saison gespürt.
Hängt der markante Leistungsabfall auf SFV-Ebene mit der Rücktrittswelle nach dem dramatischen EM-Viertelfinal-Out gegen England zusammen?
Es ist keine einfache Phase für den Schweizer Fussball. Dass du einen Yann Sommer, Fabian Schär oder einen Shaqiri nicht 1:1 ersetzen kannst, ist absolut normal. Das waren Leaderfiguren auf und ausserhalb des Platzes mit internationaler Klasse. Den Erfahrungsschatz von über 300 Länderspielen kannst du definitiv nicht von heute auf morgen ersetzen. Gelingt es, sie in der Zukunft zu ersetzen? Ein riesiges Fragezeichen. Hat die Schweiz das Potenzial, das Gleiche zu erleben wie wir in den letzten zehn Jahren? Da setze ich das nächste Fragezeichen. Mir fehlt zurzeit das gewisse Etwas. Wir haben einige Talente, die früh ins Ausland gegangen sind. Spielen sie regelmässig? Jein. Manchmal sehe ich nicht bei allen den ungestillten Hunger, jeden Tag alles der Karriere unterzuordnen.
Wie sehr hat der Abstieg aus der obersten Klasse der Nations League den Perfektionisten Xhaka geärgert?
Es war keine gute Kampagne, Punkt. Aber meines Erachtens war die Nations League auch dafür da, vielen Spielern eine Chance zu geben. Sie ist nicht zu vergleichen mit einer WM-Qualifikation. Muri (Yakin) hat fast 15 neue Spieler ausprobiert in diesen drei Monaten, was völlig richtig war. Eigentlich eine erstaunliche Zahl für ein Land mit etwas mehr als neun Millionen Einwohnern. Wir sind nicht Deutschland mit einem gigantischen Einzugsgebiet. Angesichts unserer Leistungen ist die Frage dennoch erlaubt: Reicht es so, oder reicht es nicht mehr?
Im September steht ein Wiedersehen mit der Nationalmannschaft aus dem Heimatland Ihrer Eltern an. Primär aufwühlend oder vorwiegend mühsam?
Ich war beim Physio und sagte ihm während der Auslosung, dass ich genau gegen drei Nationen nicht gerne spielen würde: Kosovo, Albanien und Serbien. Und was passiert? Kosovo! Ich habe es mir wirklich nicht gewünscht. Es wird in der Qualifikation nochmals richtig zur Sache gehen. Aber wir haben diese Konstellation ja schon einmal erlebt. Es muss nun einfach besser laufen als zuletzt in der EM-Ausscheidung gegen diese Auswahl (2:2 und 1:1 in der letzten EM-Qualifikation).
Ist Ihrerseits ein spezielles Mindset nötig?
Ich habe in der Vergangenheit schon oft genug viel Energie auf Nebenschauplätzen verloren – in Russland an der WM gegen Serbien, in Katar gegen die gleiche Mannschaft, gegen Albanien an der EM 2016, in den ersten Spielen gegen Kosovo. Meine ganze Familie stammt aus dem Kosovo, das ist einfach so. Aber ich bin inzwischen in einem Alter, in dem ich aussergewöhnliche Situationen aushalten kann. Ich bin professionell genug, 90 Minuten lang Gas zu geben. Ich habe mich einst für die Schweiz entschieden und bereue meinen Entschluss keine Sekunde lang. Ich trage dieses Leibchen mit sehr viel Stolz, sonst hätte ich keine 135 Länderspiele gemacht.
Schon jetzt ist klar, dass es im Coaching-Stab der Nati zu Umstellungen kommt. Giorgio Contini hat im Dezember bei den Young Boys unterschrieben.
Sein Abgang ist ein sehr grosser Verlust. Ich habe ihn als überaus sympathischen Menschen kennengelernt. Ein Mann mit einem enormen Fussball-Sachverstand und Erfahrung. Seine Inputs waren vom ersten Tag an spürbar, seine perfekte Kommunikation war extrem wertvoll. Seine Ansprachen vor den Spielen, seine gute Art bleiben von ihm in bester Erinnerung. Ein cooler Typ! Dass er irgendwann wieder sein eigenes Ding machen wird, war zu erwarten. Das YB-Angebot musste er annehmen, das ist klar. Aber eben, für uns Spieler und für Muri ist sein Wechsel ein ganz gewaltiger Verlust. Muri spürte, wie gut ihm Giorgio getan hat. Er hat allen gutgetan.
Welche Punkte sind im Profil der Nachfolgelösung unverzichtbar?
Der Umgang mit den Spielern ist entscheidend. Es gibt in unserem Team mehrere Spieler, die sich im Kluballtag auf einem internationalen Topniveau bewegen. Da ist viel taktisches Verständnis und Augenmass gefordert. Giorgio löste diese Herausforderungen brillant. Ohne einen vergleichbaren Nachfolger wird es schwierig. Er muss mindestens auf dem gleichen Niveau sein.
Die Kandidatenliste ist überschaubar.
Ich kenne auch nicht 100 Namen, die dafür infrage kommen würden. Es ist auch nicht mein Entscheid. Ich habe mit Muri nie darüber gesprochen. Der SFV muss sich einfach sehr gut überlegen, wen er verpflichten will.
Die Namen der früheren Nati-Stars Stephan Lichtsteiner und Alex Frei kursieren. Würden die beiden passen?
Persönlichkeit ist unabdingbar. Sowohl Lichtsteiner als auch Frei sind Persönlichkeiten. Sie wissen, wie man gewinnt. Sie wissen, was es heisst, auf dem Platz ein Leader zu sein. Sie verstehen die Spieler. Ich habe als Junger selber auf dem Feld erlebt, wie erfolgshungrig Alex war. Bei Steph hatte ich das Privileg, ihn bei Arsenal ein Jahr lang als Teamkollege geniessen zu dürfen. Lichtsteiner ist für mich ein riesiges Vorbild. Noch mit 35 stand er täglich in einer hochprofessionellen Art und Weise auf dem Trainingsplatz. Das verdient höchsten Respekt, ich schätze ihn brutal. Für mich gehören diese beiden Namen definitiv auf diese Liste.
Lichtsteiner ist trotz seiner gloriosen Vergangenheit bereit, das Trainer-Geschäft beim viertklassigen FC Wettswil-Bonstetten von der Pike auf zu lernen.
So habe ich ihn kennengelernt. Im Nationalteam, bei Arsenal. Bodenständig, hilfsbereit. Wenn er einem etwas sagt, glaubt man es. Wenn ich sehe, was er während seiner sieben Jahre bei Juventus erreicht hat, kann ich nur den Hut ziehen. Er gewann eine Menge Titel als Stammspieler und nicht als Mitläufer. Ich schätze ihn extrem. Dass er nun als Trainer Schritt für Schritt geht, bei null begonnen hat, verdient höchste Anerkennung. Ich bin überzeugt davon, dass er genug gut ist, um uns in der Nati helfen zu können.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Bayern München | 15 | 34 | 36 | |
2 | Bayer Leverkusen | 15 | 16 | 32 | |
3 | Eintracht Frankfurt | 15 | 12 | 27 | |
4 | RB Leipzig | 15 | 4 | 27 | |
5 | FSV Mainz | 15 | 8 | 25 | |
6 | Borussia Dortmund | 15 | 6 | 25 | |
7 | Werder Bremen | 15 | 1 | 25 | |
8 | Borussia Mönchengladbach | 15 | 5 | 24 | |
9 | SC Freiburg | 15 | -3 | 24 | |
10 | VfB Stuttgart | 15 | 4 | 23 | |
11 | VfL Wolfsburg | 15 | 4 | 21 | |
12 | Union Berlin | 15 | -5 | 17 | |
13 | FC Augsburg | 15 | -15 | 16 | |
14 | FC St. Pauli | 15 | -7 | 14 | |
15 | TSG Hoffenheim | 15 | -8 | 14 | |
16 | 1. FC Heidenheim 1846 | 15 | -15 | 10 | |
17 | Holstein Kiel | 15 | -19 | 8 | |
18 | VfL Bochum | 15 | -22 | 6 |