Mainz-Sportdirektor Schmidt
«Bo Henriksen war der Power-Booster»

Martin Schmidt ist seit 2020 Sportdirektor des Bundesligisten Mainz. Im Blick-Interview spricht er über den Abstiegskrimi in der Bundesliga, Retter Bo Henriksen und was er für Träume für seine Zeit nach dem Fussball hat.
Publiziert: 27.05.2024 um 17:38 Uhr
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Aktualisiert: 27.05.2024 um 17:56 Uhr
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Martin Schmidt hat in Mainz als U23-Trainer, Cheftrainer und Sportdirektor gearbeitet.
Foto: keystone-sda.ch
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Christian FinkbeinerStv. Fussballchef

Mainz hat in extremis den Klassenerhalt geschafft. Haben Sie emotional schon Ähnliches durchgemacht?
Martin Schmidt: Die letzten zwei Spiele gegen Dortmund und Wolfsburg waren mit das Spannendste, was ich im Fussball erlebt habe. Auch als Trainer gab es nicht viele Spiele, die von der Anspannung her grösser waren. Denn es geht um so viel Geld, um so viele Einzelschicksale. Die letzten Spiele waren extrem, darum wussten wir am Ende gar nicht wohin mit all den Emotionen.

Mit einer Woche Abstand, wie schauen Sie auf die Saison zurück?
Es war eine extreme Berg- und Talfahrt, während der ganzen Saison, aber auch im letzten Spiel in Wolfsburg. Am Tag danach wacht man mit einem Schädelbrummen auf und weiss, jetzt beginnt die Arbeit eigentlich erst richtig. Aber das Gefühl nach dem Spiel war unbeschreiblich. Und wenn man sich mein TV-Interview anschaut, sieht man schon, was für eine Last mir von den Schultern gefallen ist.

Wann haben sie geglaubt, dass es mit dem Ligaerhalt klappt?
Schlussendlich in Wolfsburg nach dem Tor zum 3:1, in der Saison nach dem Sieg gegen Hoffenheim, als wir das erste Mal über den Strich geklettert sind. Da war ich überzeugt, dass wir es schaffen würden, weil wir zehn Punkte aufgeholt haben auf Bochum, Union und Gladbach. Dann war die Gewissheit da, dass wir es nicht mehr aus den Händen geben werden.

Haben Sie mehr schlaflose Nächte als früher, als sie Trainer waren?
Die Emotionen hat man in beiden Jobs. Als Trainer ist Misserfolg oftmals nur ein Problem fürs eigene Ego. Als Sportdirektor hat man zusätzlich auch die Verantwortung für Angestellte, für Familien, für den ganzen Verein, eine Stadt. Da ist der Druck nochmals um einiges höher. Denn ein Abstieg könnte bedeuten, dass einige Stellen nicht mehr besetzt werden können und wirtschaftliche Einbussen folgen. Von der Gesamtverantwortung her ist dies noch einmal ein neues Level.

Wie schaffen Sie es, trotz des Drucks abzuschalten?
Ich kann das relativ gut und muss nicht immer alles mit nach Hause nehmen. Am besten abschalten kann ich, wenn ich in der Heimat bin. In der Rückrunde war ich drei, viermal auf kurzer Stippvisite zu Hause im Wallis auf der Belalp Skifahren, was ich früher als Trainer nicht konnte. Wenn ich nach zwei Tagen zurückgekommen bin, hatte ich den Akku wieder etwas aufgeladen. Zudem versuche ich, acht bis zehn Stunden pro Nacht zu schlafen. Aber wenn man Fotos mit solchen aus dem letzten Sommer vergleicht, sieht man schon, dass eine solche Saison etwas mit dem Körper macht. Aber ein paar Tage frei werden auch wieder Wunder wirken.

Martin Schmidt persönlich

Martin Schmidt ist am 12. April 1967 in Naters geboren. Er macht eine Lehre als Mechaniker, führt später eine Garage, arbeitet in der DTM und gründet mit seiner Schwester eine Bekleidungsfirma. Als Spieler steigt mit dem FC Naters von der 3. Liga bis in die Nationalliga B auf, wechselt zu Raron und übernimmt nach diversen Knieverletzungen das Team als Cheftrainer. Beim FC Thun trainiert er von 2008 bis 2010 die U21, ehe er von Thomas Tuchel an einem Juniorenturnier entdeckt wird. Schmidt geht nach Mainz und übernimmt dort die U23, ehe er 2015 am Rosenmontag von Christian Heidel zum Cheftrainer befördert wird. Später arbeitet Schmidt als Trainer auch für Wolfsburg und Augsburg, ehe er 2020 als Sportdirektor zu Mainz zurückkehrt.

Martin Schmidt ist am 12. April 1967 in Naters geboren. Er macht eine Lehre als Mechaniker, führt später eine Garage, arbeitet in der DTM und gründet mit seiner Schwester eine Bekleidungsfirma. Als Spieler steigt mit dem FC Naters von der 3. Liga bis in die Nationalliga B auf, wechselt zu Raron und übernimmt nach diversen Knieverletzungen das Team als Cheftrainer. Beim FC Thun trainiert er von 2008 bis 2010 die U21, ehe er von Thomas Tuchel an einem Juniorenturnier entdeckt wird. Schmidt geht nach Mainz und übernimmt dort die U23, ehe er 2015 am Rosenmontag von Christian Heidel zum Cheftrainer befördert wird. Später arbeitet Schmidt als Trainer auch für Wolfsburg und Augsburg, ehe er 2020 als Sportdirektor zu Mainz zurückkehrt.

Der Klassenerhalt hat viel mit Trainer Bo Henriksen zu tun. Wer hatte die Idee, ihn zu holen?
Bei der Kaderplanung sind bei uns immer vier bis fünf Leute involviert, wenn es um den Trainer geht, dann liegt diese Personalie bei Christian Heidel und mir. Wenn man Christian kennt, weiss man, dass er ein Riesenfaible für Trainer hat: Klopp, Tuchel, der heutige dänische Nationaltrainer Hjulmand oder Svensson, auch ich durfte davon profitieren. Oftmals brachte er etwas Spezielles hervor. Wer die Idee für Henriksen hatte, weiss ich nicht mehr. Bereits im Herbst hatten wir uns mit ihm beschäftigt. Letztlich organisierte ich die Nummer und Christian rief an.

Nach was für Kriterien suchen Sie einen Trainer aus?
Ich analysiere vornehmlich, was er auf dem Platz macht, was für eine Spielweise und Spielphilosophie er hat, die Art und Weise des Coachings. Christian schaut eher auf Führungsqualitäten, wie er als Typ Mensch ist, was er als Persönlichkeit mitbringt und ob er zur Kultur des Vereins passt.

Henriksen hat das Feuer in Mainz neu entfacht.
Happy Bo, Bo du Fröhliche, oder Klopp-Bo sind nur einige der Wortkreationen, die ich in den letzten Wochen gehört habe (lacht). Aber ihn nur auf seine Emotionen zu reduzieren, würde ihm nicht gerecht werden – er ist auch ein absoluter Fussballfachmann. Die Emotionen sind natürlich seine Triebfeder und diese schafft er, auf alle im Umfeld zu übertragen. Aber es gab auch andere Schlüsselmomente.

Die waren?
Jonathan Burkardt kam im November aus einer langen Verletzung zurück und verlängerte seinen Vertrag, Liga unabhängig, was ein Riesenzeichen an die Mannschaft war. Dann die Verpflichtung von Amiri im Januar, zudem kehrte Stammverteidiger Hanche-Olsen zurück. Und dann folgte die Verpflichtung von Bo im Februar. Wir sagten uns, wir haben noch einen Schuss, die Verletzungsmisere ist durch, die Mannschaft steht, was wir jetzt brauchen, ist ein neuer Impuls, eine neue Energiequelle, eine neue Ansprache. Dass er vor allem Englisch sprach, war kein Problem, denn er war unbefangen, und eigentlich keine typische Mainz-Lösung. Er war der Power-Booster.

Was hat Silvan Widmer für eine Rolle gespielt?
Seine Rückkehr nach einer Operation zog sich länger hin als erwartet, es dauerte auch, bis er wieder Vertrauen in seinen Fuss fasste. Und im Frühjahr hatte er Pech, dass die Mannschaft gewann und Henriksen danach nicht umstellen wollte, als das zarte Pflänzchen zu blühen begann. Aber auch wenn Silvan nicht auf dem Platz stand, war er sehr wichtig in der Kabine. Und nach einigen Spielen kämpfte er sich auch wieder rein. Er brauchte diese Monate und Spiele, um wieder richtig fit zu werden. Nun ist er im Kopf wieder frei. Er geht mit einem guten Gefühl aus der Saison und ist topfit für die EM, auch mental.

Auch Edimilson Fernandes hatte schwierige Phasen…
Edi ist ein absoluter Vollprofi, auch wenn er, wie in der Rückrunde, nur von der Bank kommt. Er ist hoch im Kurs beim Trainer, aber auch er hatte das Pech, das die Defensive zuletzt funktioniert hat. Die Nicht-Nominierung für die EM hat an ihm genagt, aber er wird den Kopf bald wieder hochnehmen.

Mit der Übernahme von Amiri haben Sie ein Zeichen gesetzt, damit Mainz in der nächsten Saison nicht in eine ähnliche Schieflage gerät.
Nadiem ist ein sehr wichtiger Spieler für uns geworden, aber wir werden vornehmlich auch in die nächste Saison mit dem Ziel gehen, ein weiteres Jahr in der Bundesliga zu bleiben. Wir sind wirtschaftlich eher im hintersten Viertel einzuordnen, aber wollen aus unseren Möglichkeiten das Maximum herausholen. Dass die Mannschaft Potenzial hat, wenn sie zusammenbleibt, das hat die Rückrunde gezeigt.

In der Bo-Tabelle liegen sie auf Rang 4 vor Bayern München.
Ja, punktgleich mit Dortmund. Dieses Bild ist vielleicht etwas zu gut, aber jenes vom Herbst, als wir Letzter waren, zu schlecht. Irgendwo in der Mitte liegt die Wahrheit.

Wie sehen Sie Ihre Zukunft?
Nach sechs Jahren als Trainer in der Bundesliga bin ich nun seit dreieinhalb Jahren Sportdirektor. Eine Rolle, die mir sehr gefällt. Christian Heidel und ich haben gegenseitig ein Riesenvertrauen, ein gutes Miteinander, weswegen es keinen Grund gibt, etwas zu ändern. Ich fühle mich hier sehr wohl, auch mit dem Trainer und der Stabilität, die wir wieder erlangt haben. Jetzt geht es darum, einen guten Kader für die neue Saison zusammenzuschustern.

Sie haben eine atypische Biografie und sind erst spät in den Spitzenfussball eingestiegen. Was haben Sie noch geplant?
Irgendwann will ich nur noch das Leben geniessen. Bevor ich 2010 nach Mainz gekommen bin, habe ich 25 Jahre geschuftet, habe teilweise drei, vier Jobs gehabt, zwei Firmen gegründet und war nebenbei als Fussballtrainer tätig. Seit ich hier bin, habe ich einen 24/7-Job. Inzwischen bin ich bereits das fünfzehnte Jahr in der Bundesliga, irgendwann geht es dann in die Heimat zurück. In den letzten Jahren hatte ich zu wenig Schweiz, zu wenig Wallis, zu wenig Zeit mit der Familie. Aber auch wenn ich einmal aufhören sollte, wird es mir nicht langweilig. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich dann in meiner Werkstatt unter einem Auto stehe und einen schönen Oldtimer-Sportwagen restauriere. Aber das sind Träume für die Zukunft.

Sie waren noch nie in der Schweiz auf höchstem Niveau tätig. Wäre der Job des Nati-Direktors etwas für Sie?
Achtung, jetzt kommen die Fangfragen (lacht). Ich war beim FC Thun U21-Trainer und seither nur in Deutschland. Ich kann mir schon vorstellen, eines Tages als Funktionär in der Schweiz zu arbeiten, aber ob das in drei, vier oder fünf Jahren und ob beim Verband oder im Vereinsfussball ist, das werden wir sehen.

Thomas Tuchel hat Sie nach Mainz vermittelt. Wie ist das Verhältnis zu ihm und wie haben Sie seine letzten Monate bei den Bayern erlebt?
Seit er nach England ging, brach der Kontakt etwas ab. Wir haben aber gemeinsame Freunde und schreiben uns zum Geburtstag, Weihnachten oder wenn man einen Erfolg zu feiern hat. Über seine Zeit bei den Bayern will ich mich nicht äussern, da wurde schon genug geschrieben, da braucht es meine Meinung nicht auch noch. Dass er ein hervorragender Trainer ist, hat er bewiesen. Er hat mich damals nach Mainz geholt, mich gefördert, angeschoben und mir zu grossen Teilen diese Chance ermöglicht.

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