Auf einen Blick
Borussia Dortmund steht nach dem mageren 0:0 gegen Sporting Lissabon in den Achtelfinals der Champions League, in der Liga hinken die Schwarz-Gelben den eigenen Ansprüchen aber weit hinterher: Platz 11 und acht Punkte Rückstand auf Platz 4, der zur neuerlichen Teilnahme an der Champions League berechtigt. Unter dem neuen Trainer Niko Kovac, der auf den glücklosen Nuri Sahin folgte, holte der BVB in der Liga noch keinen Punkt.
Wo liegt der Hund begraben? Blick-Experte Alex Frei (45) analysiert die Krise des BVB, für den der Nati-Rekord-Torschütze von 2006 bis 2009 83 Spiele (37 Tore) bestritten hat.
Blick: Der BVB kommt in der Bundesliga nicht auf Touren. Wo liegt das Problem?
Alex Frei: Ich habe nicht das Gefühl, dass sich alle Spieler bewusst sind, wo und für welchen Klub sie spielen. Die Kultur in Dortmund ist eine ganz andere als in London, Barcelona oder Rom. In der Region Nordrhein-Westfalen leben sehr viele Menschen auf engem Raum, viele davon sind nahe am Existenzminimum. Der BVB ist Stadtgespräch, du wirst oft angesprochen, aber wenn die Resultate nicht stimmen, wird die Stimmung beim Bäcker von Woche zu Woche ungemütlicher.
Wie kann man sich als Spieler darauf vorbereiten?
Ich weiss nicht, ob Aki Watzke das heute noch macht. Aber als ich damals den Vertrag unterschrieben habe, hat er mir ein Buch in die Hand gedrückt über die Geschichte des BVB. Ich habe es gelesen und mich damit befasst, bevor ich nach Dortmund ging, damit ich vorbereitet war auf das, was mich dort erwartet. Dem einen oder anderen heutigen Spieler des BVB würde es sicherlich guttun, das Buch auch einmal zu lesen (lacht).
Seit dem Abgang von Jürgen Klopp 2015 hat kein Trainer mehr langfristig funktioniert, auch wenn unter Thomas Tuchel, Lucien Favre und Edin Terzic der eine oder andere Erfolg gelang.
Der BVB – und das ist keine Kritik – hat schon den einen oder andere Trainer verschlissen. Aber das liegt auch an der Überfigur Jürgen Klopp, der einfach noch immer sehr präsent ist und es für jeden Trainer nach ihm schwierig macht. Aber es ist nicht immer der Trainer. Im jetzigen Kader hat es diverse deutsche Nationalspieler, von denen ich erwarte, dass sie ihre Verantwortung innerhalb der Mannschaft und auch gegenüber dem Klub wahrnehmen.
Alex Frei wird am 15. Juni 1979 in Basel geboren. Den FC Basel verlässt er als Teenager und spielt bei Luzern, Thun und Servette, ehe er Anfang Jahr 2003 nach Rennes wechselt. In Frankreich wird er Torschützenkönig, ehe er 2006 nach Dortmund weiterzieht. 2009 kehrt er zum FCB zurück und wird mit ihm viermal Meister, bevor er 2013 seine Karriere beendet. Für die Nati bestreitet er 84 Länderspiele, wird Captain und ist mit 42 Toren bis heute Rekordtorschütze. Zudem nimmt er mit der Schweiz an vier Endrunden teil. Nach seiner Station als Sportchef beim FC Luzern arbeitet Frei als Trainer bei Winterthur, Basel und Aarau. Heute ist er Blick- und TV-Experte und arbeitet unter anderem auch als Käse-Sommelier. Frei ist verheiratet und zweifacher Familienvater.
Alex Frei wird am 15. Juni 1979 in Basel geboren. Den FC Basel verlässt er als Teenager und spielt bei Luzern, Thun und Servette, ehe er Anfang Jahr 2003 nach Rennes wechselt. In Frankreich wird er Torschützenkönig, ehe er 2006 nach Dortmund weiterzieht. 2009 kehrt er zum FCB zurück und wird mit ihm viermal Meister, bevor er 2013 seine Karriere beendet. Für die Nati bestreitet er 84 Länderspiele, wird Captain und ist mit 42 Toren bis heute Rekordtorschütze. Zudem nimmt er mit der Schweiz an vier Endrunden teil. Nach seiner Station als Sportchef beim FC Luzern arbeitet Frei als Trainer bei Winterthur, Basel und Aarau. Heute ist er Blick- und TV-Experte und arbeitet unter anderem auch als Käse-Sommelier. Frei ist verheiratet und zweifacher Familienvater.
Nach der Trennung von Mats Hummels und Marco Reus im Sommer scheinen die Leader zu fehlen.
Es gibt drei Kategorien von Leader. Stille Leader in der Kabine, die aber mit ihrer Leistung auf dem Feld vorangehen. Laute Leader in der Kabine, die Sozialkompetenz haben, aber auch auf dem Feld ihre Leistung bringen. Und solche, die sowohl in der Kabine als auch auf dem Feld überragend sind. Diese sind aber unfassbar schwierig zu finden. Jede erfolgreiche Mannschaft hat mindestens einen Leader, der herausragt – aber über 20 bis 25 Spiele, und nicht nur über zwei wie momentan beim BVB.
Viele deutsche TV-Experten kritisieren die Führungsriege um Geschäftsführer Watzke, Berater Sammer, Sportvorstand Ricken und Sportchef Kehl.
Der BVB ist, was die Organisation und die Strukturen angeht, hervorragend aufgestellt. Und er verfügt gerade in der Führung über sehr viel fussballerische Kompetenz.
Aber zu viele Köche verderben bekanntlich den Brei …
So lange die einzelnen Rollen klar sind, ist das kein Problem. Die momentane Schwierigkeit ist, dass sie keine Konstanz in ihre Leistungen bringen. Und da wären die Führungsspieler gefragt. Aber wenn du selbst die Leistung nicht bringst, ist es schwierig, ein Leader zu sein, weil du ein Glaubwürdigkeitsproblem hast.
Sportchef Sebastian Kehl trägt die Verantwortung für die Zusammenstellung der Mannschaft.
Stopp, stopp. Jeder Transfer wird von einem Gremium abgesegnet, und am Schluss gibt auch Aki Watzke das Okay, ob ein Transfer gemacht wird. Der BVB leidet unter der Entwicklung des Fussballs. Er hat finanziell nicht dieselben Möglichkeiten wie beispielsweise Bayern München, er kann nicht pro Saison zwei Spieler holen, die 60 Millionen Euro kosten. Aber er muss Spieler holen, die sofort funktionieren und die haben ihren Preis. Bei Haaland hat das super geklappt, aber es gibt derzeit zu viele Spieler, die viel kosten, aber nicht ihrem Marktwert entsprechend performen.
Gibt es einen Grund, warum viele Spieler nicht dasselbe Niveau abrufen können wie bei ihrem früheren Klub?
Das BVB-Trikot ist gefühlt zwei Kilo schwerer als zum Beispiel dasjenige in Mainz, ohne Mainz damit zu nahe zu treten, denn die machen einen super Job. Ich schätze Christian Heidel extrem und auch Bo Henriksen macht seine Sache gut. Aber Dortmund mit der Wucht dieses Klubs ist eine andere Hausnummer. Die Erwartungshaltung spürst du vom ersten Tag an, in der Führung gibt es Spieler, die WM-Medaillen (Kehl) oder die Champions-League gewonnen haben (Sammer, Ricken). Wenn du eine Stunde vor Anpfiff auf den Platz kommst, sind schon 26’000 auf der Südtribüne.
Acht von neun Spielen nach einem Auftritt in der Champions League hat der BVB nicht gewonnen. Gibt es eine Erklärung dafür?
Als Spieler muss dir bewusst sein, dass die 34 Spiele am Wochenende entscheidend sind, damit du auch in der nächsten Saison wieder Champions League spielen kannst. Wenn du das wieder erleben willst, musst du in Kiel und in Heidenheim eben gewinnen.
Aber vielleicht ist die Motivation nicht ganz dieselbe, wie wenn man im San Siro spielt.
Das lasse ich nicht gelten. Als Spieler bist du verpflichtet, in jedem Match 100 Prozent zu geben, und nicht mal nur 80, denn du wirst auch 100 Prozent bezahlt. Und wenn Ende des Monats ein paar Euro auf dem Lohnzettel fehlen, sind die Spieler die ersten, die bei der Buchhaltung auf der Matte stehen. Zudem gibt es nichts Cooleres, als europäisch zu spielen, aber der Weg dazu führt über diese Spiele, bei denen nicht immer 30’000 im Stadion sitzen. Beim BVB kommt hinzu, dass du jedes zweite Wochenende vor 81’000 Fans spielst. Und auch die Partien in Bremen, München oder Mainz sind richtig coole Spiele. Am Ende des Tages musst du konstant deine Leistung bringen, damit du in der Champions League spielen kannst.
Sie nehmen also hauptsächlich die Spieler in die Verantwortung?
Ja, denn das Kader von Dortmund ist auf jeder Position qualitativ gut und doppelt besetzt, um in der Bundesliga und in der Champions League zu performen. Mal ein Verletzter oder Gesperrter gibt es immer wieder, aber gerade für diejenigen, die nicht Stammspieler sind und darüber maulen, wäre es dann schon von Vorteil, wenn sie zum Zug kommen, dass sie auch Leistung bringen. Ich stelle aber heute allgemein in der Gesellschaft fest, dass schnell einmal links und rechts ein Alibi gesucht wird und alle anderen Schuld sind, anstatt die Fehler zuerst bei sich zu suchen – das war zu meiner Zeit als Spieler noch anders. Kommt hinzu, dass du als Spieler den nächsten Schritt machen willst, was in Dortmund allerdings nicht so einfach ist, weil es vielleicht nur fünf Klubs gibt, die einen klaren Aufstieg bedeuten. Aber wenn du einmal bei Real Madrid spielen willst, dann musst du eben auch so spielen, damit du eines Tages zu Real wechseln kannst.
Auch die Fans sind offenbar nicht gut auf die Spieler zu sprechen, nach der Niederlage in Bochum schickten sie die Spieler fort.
Solange du auf dem Rasen alles gibst, verzeihen dir die Fans viel – auch Niederlagen. Das hat man auch in der letzten Saison unter Jürgen Klopp gesehen, als die Fans das Team trotz des Absturzes ans Tabellenende bedingungslos unterstützten. Aber auch ich habe schon Sitzstreiks erlebt. Einmal blockierten – auch nach einer Niederlage in Bochum – 3000 Fans den Bus. Und als Kehl, Weidenfeller und ich zu den Fans sprachen, schrien sie: «Wir wollen euch auf die Fresse geben!» Es gibt schon angenehmere Situationen.
Wie wichtig ist die Rolle des Trainers?
Gute Spieler bringen ihre Leistung fast unabhängig davon, wer an der Seitenlinie steht. Natürlich ist der Trainer wichtig, und wenn er ein guter Typ, aufrichtig und ehrlich ist, ist das ein Bonus. Aber eine Mannschaft, die gut zusammengestellt ist, regelt eine Dynamik oftmals selber.
Also am Trainer liegt es nicht?
Du kannst mir doch nicht erzählen, wenn du in Lissabon 3:0 gewinnst und vier Tage später in Bochum verlierst, dass da der Trainer schuld sein soll. Das liegt nur an der Einstellung und der Mentalität der Spieler.
Kennen Sie Niko Kovac persönlich?
Nicht gut. Ich kenne vor allem seinen Bruder, mit dem ich zusammengespielt habe. Ein sehr cooler Typ. Und Niko ist ähnlich, so wie ich das beurteilen kann.
Mit Nuri Sahin startete der BVB mit einem unerfahrenen Cheftrainer in die Saison. Kam die Aufgabe für deinen Ex-Mitspieler zu früh?
Das ist eine typische schweizerische Diskussion. Für mich gibt es nur: Entweder es klappt – oder eben nicht. Ob Sahin der Falsche war oder sogar länger hätte bleiben sollen, kann ich nicht beurteilen. Die Voraussetzungen, dass es funktionieren könnte, waren jedenfalls gegeben. Er kennt den Verein und die Region in- und auswendig und er hat unter vielen grossen Trainern gespielt.
Auch Gregor Kobel hat nach einer überragenden Saison mit seiner Form zu kämpfen. Wie beurteilen Sie ihn?
Ich weiss nur, dass Gregor ein sehr guter Torhüter ist. Und ich bin mir sicher, wenn er wieder zur alten Form zurückfindet, ihn diese schwierige Phase noch stärker machen wird. Generell kann eine solche Situation einen Klub und eine Mannschaft zusammenschweissen, wenn man da rauskommt.
Sind die momentanen Probleme die Nachwehen der in letzter Sekunde verspielten Meisterschaft im Mai 2023?
Kann, muss aber nicht. Die Enttäuschung war zwar im ersten Moment sicherlich sehr gross, aber als Spieler willst du das ja noch einmal erleben und das nächste Mal den Schritt über die Ziellinie machen.
Schafft der BVB den Turnaround in der Liga?
Die nächsten drei, vier Spiele sind entscheidend. Jetzt trifft der BVB auf Union, dann gehts auswärts gegen St. Pauli und dann folgt zu Hause Augsburg. Diese drei Spiele musst du gewinnen, wenn du den Turnaround schaffen willst. Die Mannschaft hat die Qualität. Ob sie auch den Charakter hat, wird sich zeigen.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Bayern München | 22 | 46 | 55 | |
2 | Bayer Leverkusen | 22 | 22 | 47 | |
3 | Eintracht Frankfurt | 22 | 20 | 42 | |
4 | SC Freiburg | 23 | -5 | 39 | |
5 | RB Leipzig | 22 | 7 | 37 | |
6 | FSV Mainz | 22 | 11 | 35 | |
7 | VfB Stuttgart | 22 | 7 | 35 | |
8 | Borussia Mönchengladbach | 22 | 3 | 34 | |
9 | VfL Wolfsburg | 22 | 9 | 33 | |
10 | Werder Bremen | 23 | -9 | 30 | |
11 | Borussia Dortmund | 22 | -1 | 29 | |
12 | FC Augsburg | 22 | -11 | 28 | |
13 | Union Berlin | 22 | -10 | 23 | |
14 | FC St. Pauli | 22 | -7 | 21 | |
15 | TSG Hoffenheim | 22 | -16 | 21 | |
16 | VfL Bochum | 22 | -23 | 16 | |
17 | 1. FC Heidenheim 1846 | 22 | -20 | 14 | |
18 | Holstein Kiel | 22 | -23 | 13 |