Es ist ein Fussballspiel, das Lukas M. zum Straftäter macht: Eine Flanke fliegt Ende Mai 2016 in den Strafraum des Goalies der Viertliga-Mannschaft des FC Wil. Sowohl der Schlussmann als auch Henau-Stürmer Christian L.* gehen auf den Ball – dann knallt es heftig.
Ein unabsichtliches Foul – ein unglücklicher Zusammenstoss
Der Angreifer bleibt verletzt am Boden liegen. Diagnose: Schienbeinkopfbruch! L. wird laut der St. Galler Staatsanwaltschaft in einer Höhe zwischen 60 und 90 Zentimetern durch das gestreckte Bein von Lukas M. getroffen. «Keine Absicht!», findet der erfahrene Schiedsrichter. Er zeigt dem Goalie die Gelbe Karte und spricht Henau einen Penalty zu.
Doch der Fall ist damit nicht erledigt: L. liegt nach dem Foul für zehn Tage im Spital, ist drei Monate arbeitsunfähig und kann nie wieder Fussball spielen. Den Tatsachenentscheid des Schiris akzeptiert der Stürmer nicht. Deshalb zeigt er den Goalie an – der Fall landet gestern vor dem Wiler Kreisgericht.
«Mein Bub ist nicht kriminell!»
Der Polymechaniker, der gerade die BMS macht, wird wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt! Das Kreisgericht Wil verknurrt den Hobbysportler zu einer bedingten Geldstrafe, einer Busse von 100 Franken – ausserdem muss er die Verfahrenskosten von mehreren Tausend Franken tragen. Und er muss dem Opfer 6110,10 Franken Schadensersatz zahlen.
M. möchte das Urteil nicht weiter kommentieren. Seine Mutter schon: «Dieses Urteil ist ein Skandal. Mein Bub ist doch kein Krimineller!» Wer Sport treibe, gehe ein gewisses Risiko ein. «Mein zweiter Sohn wurde auch schon verletzt. Aber eine Anzeige wäre uns nie in den Sinn gekommen.»
Was für sie noch schwerer wiegt: «Mein Kind ist jetzt vorbestraft wegen etwas, das niemals eine Straftat sein kann!» Der Richter sieht es anders. Er spricht von einer «krassen Spielregelverletzung» und einer vernachlässigten «Sorgfaltspflicht».
Das Urteil kann enorme Konsequenzen für alle Hobby-Fussballer in der Schweiz haben. Es kratzt an den Grundfesten des Amateursports und sorgt für grosse Verunsicherung. Denn bisher galt auf dem Fussballplatz: Nicht Juristen und nicht Spieler haben das letzte Wort. Sondern der Schiedrichter. Er ist eigentlich die einzige Instanz, die eine Strafe hätte aussprechen dürfen. Doch das sahen die Richter in Wil SG anders.
* Namen der Redaktion bekannt