Auf einen Blick
Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 15.09.2024.
Es ist kurz vor neun Uhr, als Martina Voss-Tecklenburg (56) mit ihrem Porsche vor dem Hotel in Straelen (D) vorfährt. Die ehemalige Schweizer Nationaltrainerin wirkt top-fit, ihr weisses Outfit strahlt im Morgenlicht. Die Deutsche absolvierte bereits eine 45-minütige Trainingseinheit: «Ich bin in der Gegenstromanlage geschwommen.» Als sie damit anfing, war nach knapp zehn Zügen Schluss. An diesem Dienstag waren es über 700. Dabei hatte sie vor knapp einem Jahr nicht einmal mehr die Kraft zu sprechen.
Blick: Frau Voss-Tecklenburg, Sie sind eine gute Lügnerin.
Martina Voss-Tecklenburg: (Lacht laut.) Nein, das stimmt nicht. Wie kommen Sie denn da drauf?
Sie sagten immer, dass es Ihnen gut geht. Dabei kämpften Sie jahrelang unter anderem mit Schlafproblemen. Warum haben Sie gelogen?
Das ist eine gute Frage, und wenn Sie es so meinen, kann ich Ihnen eine ehrliche Antwort darauf geben: Weil es mir nicht bewusst war.
Das spürt man doch.
Nein. Ich habe jahrelang höchstens viereinhalb Stunden pro Nacht geschlafen. Oft waren es weniger. Manchmal nahm ich eine Schlaftablette. Aber all das hatte keinen Einfluss auf meine Energie oder meine Arbeit als Trainerin. Ich hatte einen so tollen Job und durfte Erfolge feiern, dass mein Körper das kompensiert hat.
Bis nach dem WM-Vorrunden-Aus mit der deutschen Nationalmannschaft im letzten Sommer.
Danach bin ich zusammengebrochen. Als hätte mir jemand den Stecker gezogen. Ich habe nur noch geweint, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und keine Frage beantworten. Ich war leer.
Einen Tag zuvor haben Sie dem Fussballverband mitgeteilt, dass Sie weitermachen wollen.
Ich glaubte daran, mit meinem Trainerteam einen Weg zurück zum Erfolg zu finden. Kurz nach dem WM-Aus habe ich bereits mit Spielerinnen telefoniert und vieles analysiert. Wir sprachen auch über mögliche Veränderungen. Da habe ich zwar gemerkt, dass mir einige Dinge schwerfallen. Trotzdem war für mich klar, dass ich weitermachen will.
Ein paar Stunden später ist alles anders. Weshalb?
Dafür gibt es, glaube ich, keine Erklärung. Mein Körper zog die Notbremse. Das frühe WM-Aus war womöglich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
Die ehemalige Schweizer Fussball-Nationaltrainerin kommt 1967 in Duisburg auf die Welt. Gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder und dem älteren Bruder spielt sie als Kind viel Fussball und kickt schon jung in einem Quartierverein.
Dann gehts schnell: Schon mit 15 Jahren gewinnt sie mit dem KBC Duisburg den DFB-Pokal und mit 17 erstmals die Bundesliga. Beim TSV Siegen und FCR Duisburg holt Voss weitere fünf Meistertitel und weitere drei Pokalsiege.
Im DFB-Dress wird die Offensivspielerin eine der prägendsten Figuren im deutschen Frauenfussball überhaupt: Von 1984 bis 2000 kickt Voss international und kommt auf 125 Länderspiele, inklusive vier EM-Titeln und einer WM-Finalteilnahme.
Auch als Trainerin sammelt sie Titel: Mit Duisburg gewinnt sie 2009 den Women's Cup, den Vorläufer der Champions League. Auf Vermittlung von Peter Knäbel, damals Technischer Direktor beim SFV, kommt die seit 2009 mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg (76) verheiratete Trainerin in die Schweiz, wo sie die Nati 2015 erstmals an die WM und 2017 erstmals an die EM führt.
Danach erfüllt sie sich einen grossen Traum: Von 2018 bis 2023 trainiert sie die deutsche Nationalmannschaft. Voss-Tecklenburg coacht das Team an der EM 2021 in den Final. Nach dem WM-Vorrundenaus im letzten Jahr bricht sie zusammen und kehrt nicht wieder an die Seitenlinie zurück.
Aktuell ist sie unter anderem als TV-Expertin tätig. Aus einer früheren Beziehung hat Voss-Tecklenburg Tochter Dina, als Spielerin war sie mit der früheren Schweizer Nati-Trainerin Inka Grings liiert. (md/nab)
Die ehemalige Schweizer Fussball-Nationaltrainerin kommt 1967 in Duisburg auf die Welt. Gemeinsam mit ihrem Zwillingsbruder und dem älteren Bruder spielt sie als Kind viel Fussball und kickt schon jung in einem Quartierverein.
Dann gehts schnell: Schon mit 15 Jahren gewinnt sie mit dem KBC Duisburg den DFB-Pokal und mit 17 erstmals die Bundesliga. Beim TSV Siegen und FCR Duisburg holt Voss weitere fünf Meistertitel und weitere drei Pokalsiege.
Im DFB-Dress wird die Offensivspielerin eine der prägendsten Figuren im deutschen Frauenfussball überhaupt: Von 1984 bis 2000 kickt Voss international und kommt auf 125 Länderspiele, inklusive vier EM-Titeln und einer WM-Finalteilnahme.
Auch als Trainerin sammelt sie Titel: Mit Duisburg gewinnt sie 2009 den Women's Cup, den Vorläufer der Champions League. Auf Vermittlung von Peter Knäbel, damals Technischer Direktor beim SFV, kommt die seit 2009 mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg (76) verheiratete Trainerin in die Schweiz, wo sie die Nati 2015 erstmals an die WM und 2017 erstmals an die EM führt.
Danach erfüllt sie sich einen grossen Traum: Von 2018 bis 2023 trainiert sie die deutsche Nationalmannschaft. Voss-Tecklenburg coacht das Team an der EM 2021 in den Final. Nach dem WM-Vorrundenaus im letzten Jahr bricht sie zusammen und kehrt nicht wieder an die Seitenlinie zurück.
Aktuell ist sie unter anderem als TV-Expertin tätig. Aus einer früheren Beziehung hat Voss-Tecklenburg Tochter Dina, als Spielerin war sie mit der früheren Schweizer Nati-Trainerin Inka Grings liiert. (md/nab)
Angefangen hat alles mit Ihren Schlafproblemen. Wann haben diese begonnen?
Während meiner Karriere als Trainerin (Erstmals an der Seitenlinie stand sie 2008 beim FCR 2001 Duisburg, Anm. d. Red.). Ein Arbeitstag dauerte teilweise zwischen 14 und 16 Stunden. Vom Aufwachen bis zum Einschlafen bist du permanent angespannt. Als Trainerin ist man ein Vorbild und damit immer im Fokus. Du musst Positivität ausstrahlen, vorneweg marschieren. Abschalten konnte ich kaum. Das Gedankenkarussell drehte immer weiter und weiter.
Was waren das für Gedanken?
Ganz unterschiedliche. Von geführten Gesprächen über mögliche Aufstellungen bis hin zu den einzelnen Trainings. War die Einheit heute gut oder nicht? Was könnte ich morgen anders machen? Welche Probleme sind noch zu lösen? Solche Gedanken kommen einem im Bett, weil es einer der wenigen ruhigen Momente ist.
Haben Sie versucht, sich abzulenken?
Ja, natürlich. Ich habe ein paar Seiten gelesen oder etwas im Fernsehen geschaut. Irgendwann konnte ich einschlafen. Sobald ich aufgewacht bin, drehte sich das Gedankenkarussell weiter. Besonders krass war es während meiner Zeit als deutsche Nationaltrainerin (von 2018 bis 2023, Anm. d. Red.).
Dabei heisst es immer, der Job als Nationaltrainerin sei weniger stressig?
Das sagen nur jene, die ihn noch nie gemacht haben (lacht). Bei der deutschen Nationalmannschaft führte ich 70 bis 80 Menschen. Ich wollte allen gerecht werden und den Überblick behalten. Dafür musst du dich mit dem Medizinteam austauschen, mit der Pressechefin entscheiden, wer an die Medientermine geht. Dann kommt der Teammanager mit einem Reiseproblem. Gleichzeitig solltest du noch Trainings analysieren, vorbereiten und Gespräche führen. Während eines Tages bei der Nationalmannschaft hatte ich maximal eine halbe Stunde Zeit für mich.
Wenigstens konnten Sie sich zwischen den Zusammenzügen erholen.
Nein, auch das ist eine falsche Vorstellung vieler Leute. Ich mache dann nicht drei Wochen Ferien. Wir haben Spielbeobachtungen, Trainertagungen, besuchen die U-Nationalmannschaften, absolvieren viele Medientermine, halten Vorträge bei Sponsoren und bereiten uns auf den nächsten Zusammenzug vor. Das beinhaltet auch die Auswahl der Hotels und Trainingsplätze. Aber wissen Sie, was am meisten Energie kostet?
Nein, erzählen Sie.
Das Reisen. Oft ist es im Flugzeug nicht sehr bequem. Gleiches gilt für den Bus. Dazu kommt die Zeitverschiebung. Da nahm ich jeweils auch eine Schlaftablette, um mit dem Jetlag besser zurechtzukommen. Ich machte alles für den Erfolg.
Haben Sie dabei sich selbst vergessen?
(Überlegt.) Ja. Wissen Sie, ich wollte immer für alle da sein, allen ein gutes Gefühl geben. Meine Bedürfnisse stellte ich zurück. Das merkte ich nicht oder wollte es nicht merken. Bis mein Körper mich dazu zwang, darüber nachzudenken.
Was passierte nach dem Zusammenbruch?
Ich rief meine Co-Trainerin und unsere Sportpsychologin an. Als ich Ihnen erzählte, was passiert war, schickten sie mich sofort zum Arzt. Danach war ich sechs Wochen lang krank. Eine Infektion folgte auf die nächste. Ich hatte zig Entzündungen, nahm sechs Kilo ab. Es war nichts mehr da, es war nichts mehr in mir drin. Ich hatte Panikattacken. In dieser Zeit lag ich nur herum und habe geweint.
Gleichzeitig wollte die Öffentlichkeit wissen, was genau los ist.
Die permanente Fragerei belastete mich extrem. Mir fehlte die Energie, allen zu erklären, was los ist. Es entstanden Gerüchte. Einige Menschen glaubten mir nicht, dass ich krank bin.
Ihr Ehemann Hermann Tecklenburg (76) meldete sich in dieser Zeit öffentlich zu Wort. Er brachte seine Frau unter anderem als Kandidatin für den offenen Posten als Direktorin des Nationalteams ins Spiel. «Martina zu verlieren, wäre ein Riesenfehler», sagte er in Richtung des DFB.
Wie fanden Sie das?
Das war nicht hilfreich. Solche Aussagen führen zu erneuten Spekulationen. Es ist nie gut, wenn über jemanden gesprochen wird, statt mit jemandem. Auf dem Weg zum Psychologen schaute mich jeder ganz genau an. Ich spürte diese Blicke. Das war unangenehm. Doch etwas tat mir noch viel mehr weh.
Was?
Zu sehen, wie die Familie leidet. Und das wegen einer Situation, die mich betrifft. Meine Mutter weinte, weil sie ständig nach ihrer Tochter gefragt wurde. Sie wusste nicht, was sie den Leuten auf der Strasse sagen sollte. Ich riet ihr, zu schweigen. Das sind die Schattenseiten, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Diese Dinge kosteten sehr viel Kraft.
Voss-Tecklenburg wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Kurz darauf kullert eine weitere über ihre Wange. « Wenn ich darüber nachdenke, wie es meinen Eltern ging oder meiner Familie insgesamt, meiner Tochter, die mich extrem unterstützt hat, dann kommt das alles wieder hoch.» Sie nimmt einen Schluck Kaffee. Dann spricht die Deutsche über eine Meldung, die Anfang Jahr für Aufregung sorgte.
Während Sie sich zurückkämpften, ging der Baufirma Ihres Mannes Hermann Tecklenburg das Geld aus. Mittlerweile ist er auch privat zahlungsunfähig.
Das Ganze brach wie eine riesige Tsunamiwelle über uns hinein. Das Leben stellte uns vor eine weitere riesige Herausforderung und das zur Unzeit. Ich musste und wollte für meinen Mann da sein. Obwohl ich im Januar und Februar noch nicht bei 100 Prozent war. Ich setzte mich mit Rechtsanwälten, Notaren und Sonstigem auseinander, versuchte, komplexe Dinge zu verstehen. Es war wirklich sehr schwierig und ist es bis heute. Eine Frage musste ich zum Glück nie beantworten.
Welche?
Wie hätte ich für meinen Mann da sein können, wenn ich noch immer Bundestrainerin gewesen wäre? Alles hat seine Zeit. Irgendwie musste es wohl so kommen. Nur deshalb konnte ich so viel zu Hause sein und mich um vieles kümmern.
Gibt es sonst noch etwas Positives?
Als bekannte Persönlichkeit kann ich mit meiner Geschichte hoffentlich die Menschen dafür sensibilisieren, dass eine mentale Erkrankung genauso zu bewerten ist wie eine körperliche Erkrankung. Eine Zeit lang wurde das so als Modekrankheit abgetan. Es wurde gar nicht ernst genommen oder so nach dem Motto: Sie ist einfach nicht belastbar.
Hatten Sie Angst, die Leute würden das von Ihnen denken?
Ja. Denn jetzt sahen alle, dass ich nicht immer funktioniere. Also fragte ich mich: Was bedeutet das für die Zukunft? Wird mir noch jemand sein Vertrauen schenken? Oder denken sie, um Gottes willen, jemand mit einer solchen Vergangenheit wollen wir nicht.
Was hat Sie sonst noch beschäftigt?
Persönliche Enttäuschungen. Ich lernte meine wahren Freunde kennen. Gleichzeitig erhielt ich viele nette Nachrichten und handgeschriebene Briefe von wildfremden Menschen. Das freute mich sehr.
Hat Sie die Krankheit verändert?
Auf jeden Fall geprägt. Mit fast 57 Jahren merke ich, dass ich gewisse Dinge nicht mehr will. In letzter Zeit erhielt ich drei Trainerangebote. Vor zehn Jahren hätte ich wohl alle unterschrieben. Nach dem Motto: Es ist egal wo, es ist egal wie, Hauptsache, ich kann wieder Trainerin sein.
Nun haben Sie die drei Angebote abgelehnt. Weshalb?
Weil ich zum Beispiel nicht weit ins Ausland gehen möchte. Das passt nicht in meine aktuelle Lebenssituation. Ich geniesse die Zeit mit der Familie. Das kam in den letzten 40 Jahren zu kurz. Bei Familienfeiern war ich oft weg. Mein Enkelkind habe ich in ihrem ersten Jahr wenig bis gar nicht gesehen.
Stehen Sie noch einmal an der Seitenlinie?
Ich will nichts ausschliessen. Klar ist: Ich muss nicht mehr in der ersten Reihe stehen. Aktuell beschäftigen mich Fragen, die mir mit Mitte 40 nicht einmal in den Sinn gekommen wären. Wie viel Erwartungsdruck, Ergebnisdruck und mentaler Druck möchte ich noch in meinem Leben? Dank meiner jahrzehntelangen Erfahrung kann ich mir auch einen Job als Beraterin vorstellen.
Aktuell sind Sie unter anderem TV-Expertin.
Das macht mir sehr viel Spass. Ich verspüre wieder grosse Energie. Die Lebensfreude ist zurück.
Wann kommen Sie wieder in die Schweiz?
Ich hoffe bald einmal. Die Schweiz ist ein Land, wo ich mir vorstellen könnte, noch einmal Trainerin zu sein. Was mich ebenfalls reizt, ist der Männerfussball. Mal schauen, was noch auf mich wartet.