Herr Wicky, Xherdan Shaqiri wechselt zu Ihrem Ex-Klub Chicago Fire. Ihre Gedanken dazu?
Raphael Wicky: Das ist eine spannende Sache, für beide Seiten. Chicago bekommt einen Kreativspieler, an dem man viel Freude haben wird. Und er hat auch einen guten Deal gemacht mit dem Drei-Jahres-Vertrag. Er ist ein Unterschiedspieler – und gerade die braucht es in der MLS.
Sie waren zwei Jahre in Chicago Trainer, verpassten aber die Playoffs und man trennte sich dann. Ihre Erinnerung?
Die Trennung war kein Problem, da gab es null böses Blut. Aber ja, resultatmässig war es nicht das, was wir uns erhofften. Allerdings muss man auch sagen, dass Chicago seit 2010 nur zwei Mal in die Playoffs kam.
Warum hats sportlich nicht gepasst?
Es war eine spannende Zeit, aber auch turbulent. 2019 kam mit dem Unternehmer Joe Mansueto ja ein neuer Besitzer, dazu die neue Crew um Georg Heitz und mit mir ein neuer Trainer, eine total neue Mannschaft. Dann kam die Pandemie, eine abgekürzte Saison. Wir haben die Playoffs im ersten Jahr um einen Punkt verpasst. Im zweiten spielten wir guten Fussball – eigentlich. Aber die Resultate stimmten nicht. Doch es war eine schöne Zeit.
Nun mit Shaqiri sind die Playoffs realistischer?
Das hängt nicht nur an einem Spieler logischerweise. Aber die sogenannten Designated Player, also die drei Spieler, die mehr verdienen dürfen, sind schon wichtig. Historisch gesehen haben Mannschaften mehr Chancen, wenn diese liefern.
Drei Spieler dürfen mehr verdienen. Sorgt das nicht für Neid?
Mit der amerikanischen Sportkultur ist das kein Problem, die meisten Löhne werden ja offengelegt. Da gibts keine Eifersucht, in der NFL, der NHL, der NBA ist es auch normal. In Amerika sind Superstars wichtig.
Wie ist der Stellenwert von Chicago Fire in der Stadt?
Es ist Sportart Nummer 5 neben NBA, NHL, NFL und Baseball. Aber das ist normal. Fussball ist in Amerika 40, 50 Jahre hinterher zu diesen Sportarten, da wirds noch viel Zeit brauchen. Aber die Begeisterung wäre da. Wir hätten 2020 im ersten Heimspiel 60'000 Fans gehabt – dann kam die Pandemie.
Wie ist Chicago zum Leben?
Eine super Stadt, direkt am Lake Michigan. Dieser See ist fast ein Meer, du siehst nicht auf die andere Seite, so gross ist er.
Blick-Kolumnist Kubilay Türkyilmaz sagt, Shaqiri gefährde seine Nati-Karriere.
Ich persönlich denke das nicht. Er wird regelmässig auf gutem Niveau spielen. Die Liga ist anspruchsvoll, er eine zentrale Figur der Mannschaft. Das gibt Selbstvertrauen. Wenn er gesund bleibt und im Rhythmus, ist er immer wichtig für die Nati. Wie die letzten Jahre. Ich sehe keine grosse Gefahr für die Nati.
Wie hoch ist das Niveau der MLS im Vergleich zur Super League?
Das ist schwierig zu vergleichen. Die MLS ist eine körperliche Liga, es geht um Robustheit und schnelles Umschalten. In der Super League sind die Spieler taktisch besser geschult. In den Staaten hat es in der MLS 28 Mannschaften und extrem viele Reisen. Manchmal geht man zwei Tage vorher in eine neue Stadt – und wird nicht so kaserniert wie in Europa. Man kann als Spieler in der Stadt essen gehen oder Verwandte treffen. Das wird auch nicht ausgenutzt. Diese Freiheiten kennen wir in Europa im Profifussball nicht. Bei Heimspielen geht man auch erst am Spieltag ins Stadion.
Aber es sind schon eher alternde Stars, die nach Amerika gehen.
Nein, das ist vorbei. Wenn man die MLS genau beobachtet, sieht man, dass in den letzten Wochen mehrere Transfers zwischen 4 und 15 Millionen gemacht wurden. Das sieht man sonst nur in den Top-5-Ligen Europas. Viele gute Spieler aus Südamerika machen den ersten Schritt in der MLS, um dann nach Europa zu gehen. Und Shaq mit 30 ist ja kein alternder Star, sondern voll im Saft. Wie auch Lorenzo Insigne, der von Napoli nach Toronto wechselt.
Zurück zu Ihnen: Was machen Sie nach Ihrer Trennung von Chicago Fire?
Mir gehts gut. Ich habe mich bewusst entschieden, ab November 2021 bis im Sommer 2022 nicht zu arbeiten.
Warum?
Mein Vater war wegen Herzproblemen siebeneinhalb Monate im Spital, auch einige Monate auf der Intensivstation. Erst in Zürich, dann im Wallis. Ich musste mehrfach aus den USA in die Schweiz fliegen. Der Klub und Georg Heitz haben sehr viel Verständnis gezeigt. Aber im Herbst war klar, dass ich viel für die Familie da sein will. Darum war es für alle besser, dass der Vertrag in Chicago nicht verlängert wurde.
Wie geht es Ihrem Vater?
Besser. Er durfte auch wieder nach Hause gehen und wir konnten seinen 75. Geburtstag zusammen feiern. Wir sind stolz auf ihn und hoffen, dass er weiter Fortschritte macht.
Sie gehen wieder nach Amerika, Ihre Frau ist aus Los Angeles. Wo sehen Sie Ihren Lebensmittelpunkt mittelfristig?
Das ist schwer zu sagen. Ein Job in der Schweiz wäre vorstellbar, aber auch sonst wo. Schauen wir mal, wie es weitergeht.
Sie hätten Schweizer Nati-Trainer werden können, korrekt?
Das weiss ich nicht.
Aber es gab mehrere Gespräche mit Pierluigi Tami?
Es gab eine Kontaktaufnahme, ja. Und es gab das eine oder andere Gespräch. Für mich war aber klar, dass ich in Chicago bleibe. Es war mir eine Ehre, aber nicht der richtige Zeitpunkt. Und mit Murat Yakin hat die Nati einen hervorragenden Nati-Trainer nun.
Wie sehen Sie im Nachhinein Ihre Zeit beim FC Basel? Erst spielte Ihr Team die erfolgreichste Champions-League-Kampagne des FCB aller Zeiten und erreichte Platz 2. Dann wurden Sie nach nur einem Spieltag im Sommer 2018 entlassen. Das war bestimmt hart.
Das ist lange her. Und die damaligen Bosse haben ja mehrfach zugegeben, dass es ein Fehler war, mich zu entlassen. Ich bin stolz auf das, was wir mit dem FC Basel damals erreicht haben.
Brauchten Sie lange, um diesen Nackenschlag zu verarbeiten?
Ja, das ist so, das muss ich ehrlich sagen. Klar weisst du als Trainer, dass Entlassungen dazugehören. Aber es war schwer, das tut jedem Mensch weh. Vor allem, wenn du denkst, dass du einen guten Job gemacht hast. Aber es war eine schöne Zeit und ich will nach vorne schauen.