Wieder ist es Bukarest. Wieder bestreitet die Nati ein wegweisendes Spiel. Ein «historisches Spiel», wie SFV-Präsident Dominique Blanc Stunden vor der Partie sagt. Wie damals, am 28. Juni 2021.
An der wegen der Covid-Pandemie um ein Jahr verschobenen EM ist die Nati auf dem Höhepunkt ihres Schaffens unter Vladimir Petkovic. Gegen Weltmeister Frankreich gelingt ihr ein Husarenstück. Endlich ist die Hürde Achtelfinal geschafft. Im x-ten Anlauf.
Überzeugende Nati, chaotische Nati
Sowohl die Temperatur in Bukarest als auch die Stimmung rund um die Nati sind im Vergleich zum Sommer 2021 deutlich gesunken. Trotz EM-Quali ist von einer Euphorie nur wenig zu spüren. Sogar der Gruppensieg hat die Nati mit vier sieglosen Spielen in Folge weggeworfen. Die Freude an der Nati? Ist wie weggeblasen. Denn dieses Team ist am Scheideweg.
Wenige Wochen nach dem Coup von Bukarest 2021 ist die Ära Petkovic nach sieben Jahren beendet. Trotz der Erfolge sind intern viele froh, dass sich der Tessiner nach Bordeaux verabschiedet hat. Sein Nachfolger ist Murat Yakin: Mit seiner offen, gewinnenden Art und seinem Charme hat er schnell alle im Boot: Mitarbeiter, Spieler, Journalisten. Und schnell stellt sich auch der sportliche Erfolg ein. Italien wird auf dem Weg nach Katar mit dem Glück des Tüchtigen eliminiert. Dort überzeugt die Nati in der Vorrunde.
Doch in Doha beginnen die Probleme. Es ist der 6. Dezember, das Stadion Lusail, WM-Achtelfinal. Der Gegner heisst Portugal. Die Hoffnungen auf einen ähnlichen Coup wie im Jahr zuvor an der EM sind gross, umso härter ist die Landung auf dem Boden der Realität – 1:6. Es ist nicht allein die Höhe des Resultats, das Fragen aufwirft, sondern das, was sich im Nachgang in den Katakomben abspielt. Die sich widersprechenden Aussagen der Spieler lassen nur einen Schluss zu: Es herrschte Chaos.
Yakin erreicht alle Ziele, aber...
Im letzten Frühjahr zum Auftakt der EM-Kampagne ist die WM bereits wieder weit weg. Umso mehr, als der Start mit dem 5:0 im serbischen Exil gegen Belarus und dem 3:0 gegen Israel in Genf gelingt. Zehn Spiele, zehn Siege, die Captain Granit Xhaka als forsches Ziel ausgibt, sind kein unrealistisches Szenario. Die WM-Klatsche gegen Portugal – ein Ausrutscher eines körperlich geschwächten Teams.
Ein Jahr später holen die Geschehnisse von Katar die Verantwortlichen nun wieder ein. Eine interne Klausur steht bevor. Dies haben die SFV-Verantwortlichen in den letzten Tagen immer wieder betont. Die alles entscheidende Frage ist: Wie geht es mit dieser Nati weiter? Was passiert mit Nati-Direktor Pierluigi Tami? Und vor allem: Wer bringt diese Mannschaft wieder auf Kurs? Ist es Murat Yakin, der zwar alle seine Ziele als Nati-Trainer erreicht, den sportlichen Rückschritt in den letzten Monaten aber zu verantworten hat?
Yakin schaffte es nicht, die leichte Quali-Gruppe zu nützen, um den im Hinblick auf die WM-Quali 2026 zwingend nötigen Umbruch voranzutreiben. Vieles blieb Stückwerk, zwar kamen Youngsters wie Amdouni, Jashari, Ndoye, Rieder, Stergiou, Ugrinic oder Zeqiri unter Yakin zu ihren ersten Nati-Einsätzen, regelmässig eingesetzt wurden sie aber mit Ausnahme von Amdouni nicht. Der Stamm des Teams blieb derselbe, auch wenn der eine oder andere seinen Zenit überschritten hat.
Die Symptome wurden ignoriert
Der Nati-Coach beging auch andere Fehler. In der Kommunikation, in der Mannschaftsführung, in der Aussendarstellung. Als die Mannschaft ihre Souveränität längst eingebüsst hat und gegen klar schwächere Gegner nicht mehr siegen kann, spricht er noch immer von «dominanten Auftritten». Die mediale Kritik? Für ihn unverständlich. Fakt aber ist: Ohne die Schützenhilfe Rumäniens gegen Israel am letzten Samstag wäre die Partie in Bukarest zu einer Zitter-Partie geworden.
Mitverantwortlich für die ungenügende Kampagne ist auch Yakins Chef Pierluigi Tami. Der Tessiner verpasste es während der Quali, an Profil zu gewinnen. Er wolle nicht stören, sagte er im Herbst 2019 bei seiner Präsentation. Eine Aussage, die bis heute an ihm haften bleibt. Denn stören wollte Tami auch nicht, als im Herbst die Krisensymptome innerhalb der Mannschaft immer mehr an die Öffentlichkeit drangen.
Nun kommt es also zur grossen Auslegeordnung. Sollten die Verantwortlichen zum Schluss kommen, dass Yakin nicht mehr der Richtige ist, dann wäre dies ein Novum in der Geschichte, schliesslich musste noch kein Trainer nach geschaffter Quali seinen Posten unfreiwillig räumen. Dann würde Präsident Blanc recht behalten. Denn dann wäre auch der gestrige Auftritt in Bukarest tatsächlich ein historischer.