Um 20.40 Uhr nimmt das Schweizer EM-Märchen an diesem 6. Juli ein jähes Ende. Als mit Trent Alexander-Arnold auch der fünfte englische Schütze Yann Sommer keine Chance lässt, platzt an diesem lauen Sommerabend in Düsseldorf (D) der Traum vom erstmaligen Einzug in einen Halbfinal an einer Endrunde.
Minuten zuvor scheitert Manuel Akanji (29) als Einziger der neun Schützen. Der klägliche Versuch des ManCity-Stars ist eine leichte Beute für Englands Keeper Jordan Pickford (30), der sich auf seiner Trinkflasche die Vorlieben der Schweizer Schützen notiert hat. Schon in diesem Moment spürt man auf der Tribüne: Das dürfte es gewesen sein.
Zweifel verstummen
Mit Akanji scheitert ausgerechnet der Abwehrboss, der ein überragendes Turnier gespielt hat und später ins All-Star-Team gewählt wird. Zusammen mit Granit Xhaka (32) ist er die grosse Figur dieser Nati, die mit ihren Leistungen das Land wochenlang in ihren Bann zog und die Kritiker verstummen liess, nachdem es vor dem Turnier erhebliche Zweifel an ihr gegeben hatte.
Doch diese waren bereits nach dem Startspiel gegen Ungarn wie weggeblasen, weit weg der Krisen-Herbst und die quälende EM-Quali, die Murat Yakin (50) beinahe den Kopf gekostet hätte. Der Nati-Trainer hat an den richtigen Stellschrauben gedreht, holte mit Giorgio Contini (50) einen erfahrenen Cheftrainer und engen Vertrauten als Co-Trainer ins Boot, übertrug Xhaka noch mehr Verantwortung, liess sich auf einen Systemwechsel ein – und fand sein Zocker-Gen wieder.
Er zauberte Kwadwo Duah aus dem Hut, den in London geborenen Berner Stürmer mit ghanaischen Wurzeln, den vor dem Turnier keiner auf der Rechnung hatte. Und Michel Aebischer, der zuvor nicht über die Rolle des Reservisten hinausgekommen ist. Die beiden setzten mit ihren Toren zum 2:0 vor der Pause nicht nur den ungarischen Trainer schachmatt, sondern legten die Basis zum Schweizer EM-Rausch. Dass Breel Embolo nach seinem Blitz-Comeback auch noch traf, machte diesen wundervollen Sommertag in Köln perfekt.
Es folgte der wilde Ritt gegen Schottland mit seinen herausragenden Fans und mit Shaqiris Traumtor zum 1:1, der starke Auftritt gegen Deutschland, als man erst in der Nachspielzeit den Sieg gegen den Erzrivalen aus der Hand gab. Und der überzeugende Sieg im Achtelfinal gegen Italien, den Titelverteidiger, den man souverän aus dem Turnier kegelte und damit den zig Tausend nach Berlin gepilgerten Schweizer Fans eine rauschende Nacht bescherte.
Und gegen England stand die Türe zum Halbfinal nach Embolos Führungstreffer eine Viertelstunde vor Schluss weit offen. Zwar glich nur fünf Minuten später Bukayo Saka für die Three Lions aus, doch auch in der Verlängerung war die Nati dem Sieg näher. Der EM-Finalist von 2021 taumelte, fiel aber nicht. Weil Silvan Widmer und Zeki Amdouni ihre Chancen nicht nutzten und Shaqiris frech geschlagener Corner ans Lattenkreuz klatschte (117.).
Der Kater folgt im Herbst
Noch einmal hätte XS zum Mr. XXL werden können, sein im Penaltyschiessen verwandelter Versuch war die letzte Aktion in der Nati, Shaq trat wie Fabian Schär und Yann Sommer nach dem Turnier zurück. Sein brillanter linker Fuss war immer für einen Geniestreich gut, er der Spieler für das gewisse Etwas. Darum war er der Publikumsliebling dieser Nati, die in Deutschland zum sechsten Mal in Folge in die K.o.-Phase einer Endrunde einzog, was neben ihr nur Frankreich schaffte.
Doch das Happy End blieb Shaqiri und Co. verwehrt. Wie 2006 in Köln gegen die Ukraine, 2016 in Saint-Etienne gegen Polen und 2021 in St. Petersburg gegen Spanien endete auch in Düsseldorf für die Nati eine Endrunde im Penaltyschiessen. Der grosse Kater folgte mit Verspätung, mit den Rücktritten der drei Routiniers, dem Abstieg in der Nations League und dem Abgang Continis zu YB – was das Gefühl noch einmal verstärkt, dass die Nati in diesem Sommer wohl eine einmalige Chance verpasst hat.