Jack Grealish weiss, wie man die Leute für sich gewinnt. Er weiss sogar Trainer-Legende José Mourinho auf seiner Seite: «Der Kerl ist mutig. Er geht Risiken ein, er pokert, er verliert den Ball, er kreiert Chancen, er tritt seine Gegenspieler, sie treten ihn, er destabilisiert den Gegner.» Ja, Mourinho, der betont, Vergleiche eigentlich gar nicht zu mögen, geht sogar so weit, dass ihn dieser Jack Grealish irgendwie an Luis Figo erinnere: «Er hat viel Power, ich mag ihn wirklich sehr!»
Der Spieler selbst sagt: «Ich versuche, die Fans aus den Sitzen zu reissen. Ich versuche, so viel wie möglich anzugreifen!»
Es ist wohl diese Einstellung, dieser freche, unbekümmerte Stil, mit dem er aktuell ganz England begeistert. Als er im Achtelfinal gegen Deutschland eingewechselt wird, geht ein Raunen durchs Wembley, gefolgt von lauten Rufen: «Super, super Jack! Super Jacky Grealish!» Dass er unter Gareth Southgate nur eine Joker-Rolle innehat, tut seinem Hype keinen Abbruch. Auch gegen Dänemark wird er bei seiner Einwechslung gefeiert.
Denn Grealish auf dem Platz bedeutet meist auch: Spektakel. Der Aston-Villa-Captain gilt als fussballerischer Freigeist, als kleines Genie, das mit seinen feinen Vorlagen – und der Nummer sieben auf dem Rücken – auf den Spuren David Beckhams wandelt.
Wildes Leben neben dem Platz
Während des Turniers kommt in Englands Blätterwald immer wieder die Debatte auf, ob man Grealish nicht endlich mehr Einsatzzeit bei den «Three Lions» gewähren sollte. Auch Ex-Holland-Star Rafael van der Vaart spricht sich öffentlich für eine Startelf-Nomination des 1,80 m grossen Flügels aus. Trainer Southgate lässt sich davon aber von Beginn an nicht beeindrucken. Wohl auch, weil er gerade in der Offensive – hinter der einzigen Spitze Harry Kane – ein unfassbar breites Angebot an Topspielern hat. Raheem Sterling, Jadon Sancho, Bukayo Saka, Mason Mount, Phil Foden …
Ob Grealish trotz laut eigener Aussage «beängstigender» Konkurrenz im EM-Final zum Zug kommt? Vielleicht will Southgate die Italiener ja mit seinem wildesten Element im Kader überraschen ...
Eingehandelt hat sich Grealish seinen Draufgänger-Ruf nicht nur mit seiner Art auf dem Platz, sondern auch mit Eskapaden daneben. Sei es wegen überbordender Partys, weil er seinen Führerschein verlor oder einst beim Gebrauch (legaler) Drogen fotografiert wurde. Als er 19 ist, macht ein Bild von ihm die Runde, das ihn im Urlaub sturzbetrunken auf dem Boden liegend zeigt, umgeben von Zigarettenschachteln.
Mourinho hat ihn fussballerisch mit Figo verglichen, die Engländer hingegen sehen in ihm eine Art Paul Gascoigne, der ebenfalls reihenweise Skandale lieferte, aber auf dem Rasen eben auch entzückte. Grealish selbst kratzen all die Einschätzungen der Beobachter nicht wirklich. Er sagt von sich selbst: Hätte es mit dem Fussball nicht geklappt, wäre er wohl Promoter für Nachtklubs «auf Teneriffa oder Ibiza» geworden. Auch da hätte er es sicherlich geschafft, die Leute für sich zu gewinnen.
