Es beginnt mit einem Fest in Rot und Weiss. 11'000 Fans füllen die Ränge des Kopenhagener Parken-Stadions, die Gesichter sind bemalt, die Nationaltrikots übergestreift, die Schals hängen um den Hals. Dänemark freut sich auf die EM und auf den Auftakt gegen die Finnen. Es riecht nach Fussball. Nach dem Fussball, den wir kennen und lieben: mit Fans, emotional und spektakulär.
Urplötzlich ist es still im Stadion. Wo Hoffen auf Tore und die Freude an Spielzügen war, sind bloss noch Angst, Entsetzen und Tränen. Christian Eriksen, 29-jähriger Mittelfeldspieler der Dänen, sackt in der 43. Minute zusammen. Ohne Vorwarnung. Einfach so.
Wiederbelebungsmassnahmen auf dem Feld
Mitspieler rennen zu ihm, den Schock in den Gliedern. Sie rufen die Ärzte herbei. Umgehend führen sie Herzdruckmassagen aus und beatmen ihn. Auch Stromstösse kommen zum Einsatz. Die Spieler bilden als Sichtschutz einen Kreis um Eriksen herum. Sie bangen um das Leben des Stars, Denkers, des Gesichts ihres Teams. Und die Finnen hoffen, zittern, weinen mit ihnen.
Eriksen Freundin Sabrina Kvist Jensen (28) eilt an den Spielfeldrand, weint, dänische Spieler reden mit ihr und versuchen, das in diesem Moment kaum Mögliche: Trost zu spenden, ihr gut zuzureden. Mit Kvist Jensen hat Eriksen einen dreijährigen Sohn, Alfred. Es sind grausame Szenen.
Der Stadionsprecher fordert das Publikum auf, auf den Plätzen zu bleiben – «bis es weitere Informationen gibt».
Trainer-Ruhe als Hoffnungsschimmer
Irgendwann läuft Kasper Hjulmand, der dänische Nationaltrainer, von der Seitenlinie quer über den Rasen. Er geht in die Ecke, in der Eriksen noch immer liegt. Er wirkt sehr ruhig, verzieht kaum eine Miene. Zuvor schon sprach er unaufgeregt mit den Uefa-Offiziellen und dem Schiedsrichter. Zumindest tat er das nach aussen hin.
Wenig später nun geht er den umgekehrten Weg, und noch immer wirkt er stoisch in einer Umgebung, in der die pure Verzweiflung um sich greift. Das lässt hoffen. Man glaubt, dass nur so wirken kann, wer Gründe hat, nicht in Tränen auszubrechen. Und wer mehr weiss. Wer weiss, dass man zumindest das Schlimmste ausschliessen kann und Eriksen überlebt. Und das tut er, wie wir eine Stunde später wissen.
Bild zeigt Eriksen bei Bewusstsein
Goalie Kasper Schmeichel und Verteidiger Simon Kjaer gehen zu Sabrina Kvist Jansen, nehmen sie in den Arm. Schmeichel nickt und lächelt kurz. Es sind weitere Signale, die darauf hindeuten, dass das Schlimmste wohl nicht eintreten wird. Das Publikum scheint es zu spüren. Kurzer Jubel durchbricht die Stille im Stadion. Das Spiel ist offiziell unterbrochen. Die Finnen sind auf Weisung der Uefa längst in den Kabinen.
Einige Minuten später wird Eriksen vom Feld getragen mit einem weissen Tuch als Sichtschutz und noch immer umgeben von Mitspielern. Inzwischen wissen wir, dass Eriksen da schon wieder bei Bewusstsein ist. Bilder, die zwischen Dänen und Sichtschutz hindurch gemacht wurden, zeigen ihn, wie er eine Beatmungsmaske um den Mund trägt. Und wie er sich die Hand an die Stirn hält und die Augen geöffnet hat.
Um 19.26 meldet die Uefa, dass Eriksen im Krankenhaus stabilisiert worden sei. Und der dänische Verband twittert, er sei «wach». Und am Sonntagmorgen meldet der dänische Verband: «Wir haben heute Morgen mit Christian Eriksen gesprochen. Er schickte seinen Teamkollegen Grüsse. Er ist stabil und wird für weitere Untersuchungen im Spital bleiben.»
Eriksen in Kontakt mit Mitspielern
Im Stadion sind die Zuschauer noch immer auf ihre Plätzen. Im Wechselgesang singen dänische und finnische Fans Christian Eriksens Namen. Kurz nach 20 Uhr meldet die Uefa, dass das Spiel wieder aufgenommen werde. Danach spricht Eriksens Berater Martin Schoots zur Öffentlichkeit und berichtet, dass Eriksen bereits wieder spreche. Es sind grossartige Nachrichten.
Nach einer Stunde und 47 Minuten betreten die Dänen unter Beifall der Finnen und der 11'000 Fans zurück auf den Rasen. Die Spieler wollen weitermachen. Eriksen bat sie darum. «Wir haben mit ihm Kontakt aufgenommen und die Spieler haben mit Christian gesprochen. Das ist die gute Nachricht. Ihm geht es gut und sie spielen das Spiel für Christian», sagt der dänische Verbandsdirektor Peter Möller. «Es war wichtig, dass die Spieler wussten, dass es ihm gut geht.»
Dänen kämpfen weiter – verlieren aber
Es werden die fünf Minuten der ersten Halbzeit nachgespielt, und nach einer fünfminütigen Pause bestreiten die Teams die zweite Halbzeit. Wie die Spieler die Situation bewältigen, besonders die Dänen, verblüfft. Das Spiel mag an Intensität einbüssen – ansehnlich ist es noch immer. Und das, obschon alle kurz zuvor noch befürchten mussten, ihren Kollegen, Freund und Captain zu verlieren.
Die Finnen siegen dank eines Kopftores 1:0. Torschütze ist Joel Pohjanpalo, der die vergangene Rückrunde bei Union Berlin stürmte. Er jubelt angemessen verhalten. Und er bremst den einen oder anderen Teamkollegen, der es womöglich bevorzugt hätte, sich überschwänglicher zu freuen. Die Dänen machen weiter bis zum Ende – mit allem, was ihnen an Kraft übrig bleibt, körperlich und seelisch.
Nach einem Foul an Yussuf Poulsen darf Pierre-Emile Höjbjerg gar zum Penalty antreten. Finnlands Goalie Lukas Hradecky aber hält. Die Dänen verlieren zum EM-Auftakt. Sie selbst kümmert das wahrscheinlich am wenigsten.