Blick: Giorgio Contini, welche Erkenntnisse nehmen Sie mit von dieser EM?
Giorgio Contini: Es hat Freude gemacht, dieses Turnier zu verfolgen – auch aus Trainersicht. Es gab doch viele Teams, die mit Dreierkette gespielt haben. Viele kamen weg vom 4-2-3-1-System, setzten eher auf ein 3-5-2 oder ein 3-4-3. Das zeigt schon auch, dass die physische Präsenz der Verteidiger stark gesucht ist momentan. Genauso wie ein, zwei technisch versierte Mittelfeldspieler à la Barella oder Verratti, die als Relais-Station fungieren und das Spiel diktieren. Und: Man merkt auch, dass die Mannschaften oft wieder zurück auf den klassischen Neuner gekommen sind. Ein fixer Referenzpunkt im Sturm. Wie Benzema, Immobile, Kane oder auch Seferovic.
Welches EM-Team entspricht am ehesten Ihrem persönlichen Fussballstil?
Die Anlage der Italiener gefällt mir sehr. Nicht nur aufgrund ihres starken Konterspiels. Wenn ich sehe, wie sie immer versuchen, vorwärts zu verteidigen, Druck zu machen, hoch anzulaufen, dann finde ich das schon sehr interessant. Aber es birgt eben auch eine Gefahr.
Welche?
Wenn man – wie Italien – zwei ältere, langsame Verteidiger hat und diese dann müde werden, bekommt man schnell Probleme, wenn plötzlich lange Bälle hinter die Abwehr gespielt werden. Es zeigt mir einmal mehr: Mutig sein und pressen ist nur das eine – man braucht in der Defensive auch Leute, die das Tempo voll mitgehen können. Ansonsten kann dich der Gegner irgendwann lesen.
Die EM hat Sie also auch in gewisser Hinsicht inspiriert?
Ja, und zwar verschiedene Mannschaften. Auch die Engländer fand ich interessant, als sie gegen Deutschland mit einer Dreierkette und einer ganz anderen Spielanlage aufgetreten sind. Da waren sie spielerisch zwar nicht so gut, weil sie die klassischen Flügel wie Sterling und Co. nicht auf ihren Positionen gehabt haben. Aber insgesamt ist es eben doch aufgegangen – sie waren erfolgreich damit.
Sind die Engländer in diesem Turnier zu Unrecht als Minimalisten bezeichnet worden?
Ja, ich denke, bis auf das Schottland-Duell (0:0) haben sie in allen Partien ihre Qualitäten ausgespielt. Sie waren keine Minimalisten. Kane war zu Beginn womöglich noch nicht ganz im Turnier. Doch ihr Spiel war immer strukturiert und klar, sie haben sauber umgeschaltet, standen solid in der Defensive. Die Engländer stehen völlig verdient im Final.