Das Aarauer Brügglifeld ist so etwas wie das Ballenberg-Museum des Schweizer Fussballs. Die Zeit ist im Kleinstadion mitten in einem Wohnquartier stehen geblieben. Die Nostalgie ist in den Katakomben greif- und spürbar.
Einen Tag nach dem 2:1-Sieg gegen die Grasshoppers und drei Tage vor dem Cup-Halbfinal gegen den FC Luzern bedient Trainer Stephan Keller im kleinen Aufenthaltsraum die Kaffeemaschine und holt die Milch aus dem Kühlschrank. Zu den grossen Aarauer Fussballzeiten haben sich in diesem Räumchen schon Trainer wie Ottmar Hitzfeld und Rolf Fringer ihren Morgenkaffee zubereitet.
«Dieses Stadion ist etwas vom Geilsten, was es in der Schweiz gibt. Ich schätze diesen Charme hier total, so etwas sollte man eigentlich bewahren. Wenn wir in einigen Jahren in ein neues Stadion zügeln, dann sollten die Menschen dieses Schmuckstück mit einem weinenden Auge verlassen», sagt Keller. Und er glaubt gar, «dass irgendwann in vielen Jahren mal ein reicher Investor hundert Millionen in die Hand nimmt, um ein solches Retro-Stadion zu bauen. Ein schöner, alter, restaurierter Porsche oder Ford Mustang ist auch stilvoller als jedes neue Fahrzeug».
Das Interview mit dem Mann, der den darbenden Fussball im fünftgrössten Wirtschaftskanton des Landes derzeit wieder wach geküsst hat. Und den es schmerzt, dass man in diesem emotionalen Cup-Derby gegen Luzern vor leeren Rängen und nicht mit 8000 Fans antreten muss.
Blick: Stephan Keller, wissen Sie, wann der FC Aarau letztmals Cupsieger war?
Stephan Keller: Natürlich weiss ich das. 1985 mit Trainer Ottmar Hitzfeld. Ich bin ein Nostalgiker, ich weiss einiges von der Vergangenheit. Und habe ja früher auch fleissig Panini-Bildchen gesammelt.
Und wer hat damals das entscheidende Tor geschossen?
Walter Iselin. Als ich noch Profi in Holland war, da haben wir die Sommerferien mit der Familie immer in Zürich verbracht. Und ich habe mich bei der zweiten Mannschaft von GC fit gehalten. Trainer war da Walter Iselin. Ich habe mit ihm schon persönlich über diesen für den Fussballkanton Aargau prägenden Moment gesprochen.
Und jetzt wollen Sie mit dem FC Aarau erneut für ein Cup-Märchen sorgen?
Warum nicht? Wir haben die Cup-Spezialisten vom FC Sion ausgeschaltet. Wir haben auch gegen Luzern unsere Chance. Und die wollen wir packen. Wir gehen selbstbewusst in diese Partie, auch wenn wir der Aussenseiter sind. Es ist ja ganz einfach: Wer im Halbfinal steht, der will in den Final.
Und wer im Final steht…
… Ja, der will Cupsieger werden. Ich finde den Cup eine faszinierende Sache, er ist ein Stück Kulturgut. Aber er hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Das ist schade. Man muss sich überlegen, wie man den Cup wieder stärken kann. Es ist doch toll, dieses K.o.-System und dieses Aufeinandertreffen zwischen Gross und Klein.
Wobei der FC Aarau in den letzten Jahren ja eher zu den Kleinen gehört hat.
Ja, stimmt. Aber der Klub hat eine grosse Tradition, hier ist vieles möglich. Man spürt in dieser Region eine gewisse Sehnsucht, dass man wieder an alte, erfolgreiche Zeiten anknüpfen möchte.
Der FC Aarau trug einst den Titel «Die Unabsteigbaren». Vor zwei Jahren hat man nach einem 4:0-Auswärtssieg bei Xamax mit Assistenztrainer Keller die Barrage verdaddelt. Seid ihr jetzt «Die Unaufsteigbaren»?
Das glaube ich nicht. Wir hatten vor zwei Jahren eine recht teure Mannschaft mit einigen älteren Leistungsträgern. Und hätten den Aufstieg ja beinahe geschafft. Mittlerweile fahren wir aber eine ganz andere Strategie.
Und die wäre?
Ich habe im letzten Sommer einen Dreijahresvertrag unterschrieben. Wir haben eine junge, entwicklungsfähige Mannschaft. Wir holen keine grossen Namen mehr. Und das strategische Ziel ist klar: Wir wollen mit diesem Konzept den Verein zurück in die Super League führen und ihn auch nachhaltig etablieren.
Der Aufstieg wird in dieser Saison schwierig.
Wir sind fünf Punkte hinter dem Barrage-Platz. Es sind noch vier Runden und wir spielen noch gegen Thun im Direktvergleich. Einfach ist es nicht. Aber möglich.
Vier Siege könnten reichen?
Ja, das denke ich. Und im Cup reichen ja schon zwei Siege.
Stephan Keller begann unter Trainer Bigi Meyer 1986 in der Fussballschule von GC. Er spielte in der Schweiz für GC, den FCZ, für Aarau, für Xamax und für Kriens. Später für Erfurt in Deutschland, für den FC Sydney und für verschiedene Klubs in Holland. Als Trainer hat er im Nachwuchs von Eindhoven und von Breda gearbeitet. Als Assistent beim FC Aarau. Seit 2020 ist er im Aargau Cheftrainer. Bei seiner Banklehre in Zürich hat er seine Frau kennengelernt. Und ist «immer noch glücklich» verheiratet. Seine Frau und seine drei Kinder leben in Holland. Keller wohnt in Zürich und besucht seine Familie so oft es der Job erlaubt. Sein Bruder war der beste American-Footballer der Schweiz und spielte bei den Zürich Renegades.
Stephan Keller begann unter Trainer Bigi Meyer 1986 in der Fussballschule von GC. Er spielte in der Schweiz für GC, den FCZ, für Aarau, für Xamax und für Kriens. Später für Erfurt in Deutschland, für den FC Sydney und für verschiedene Klubs in Holland. Als Trainer hat er im Nachwuchs von Eindhoven und von Breda gearbeitet. Als Assistent beim FC Aarau. Seit 2020 ist er im Aargau Cheftrainer. Bei seiner Banklehre in Zürich hat er seine Frau kennengelernt. Und ist «immer noch glücklich» verheiratet. Seine Frau und seine drei Kinder leben in Holland. Keller wohnt in Zürich und besucht seine Familie so oft es der Job erlaubt. Sein Bruder war der beste American-Footballer der Schweiz und spielte bei den Zürich Renegades.
Ihr Spitzname lautet «Professor». Woher kommt das?
Das weiss ich nicht einmal so genau. Ich wirke vielleicht etwas intellektuell. Aber ich bin kein Akademiker, ich habe eine Banklehre gemacht.
Verwissenschaftlichen Sie vielleicht den Fussball?
Taktik und Spielphilosophie gehören sicher zu den wichtigen Aufgaben. Aber einen Trainerjob kann man nicht darauf reduzieren. Neben der Fachkompetenz muss ein erfolgreicher Trainer ja noch einige andere Talente haben. Vor allem den richtigen Umgang mit Menschen.
Früher gehörten Sie zu den wilden und unbeschwerten Titanen.
Ja, die Zeit mit der U21-Nationalmannschaft war damals genial. Wir sind erst im Halbfinal gegen Frankreich ausgeschieden. Und ich bin damals noch ins Allstar-Team des Turniers gewählt worden. Zusammen mit Leuten wie Peter Cech und Andrea Pirlo.
Die zwei haben aber später etwas mehr verdient als Stephan Keller.
Das ist so. Aber eine Karriere kann man nicht nur mit Geld aufwiegen. Ich bin sehr zufrieden, wie es bei mir gelaufen ist. Ich war in Deutschland, in Australien und habe in Holland eine zweite Heimat gefunden. Ich habe unbezahlbare Erfahrungen gemacht und auch andere Kulturen kennengelernt.
Wenn heute einer ins Allstar-Team einer EM-Endrunde gewählt wird, hat er einen Millionenvertrag in der Tasche.
Darüber habe ich kürzlich mit Alex Frei schon gesprochen. Er meinte, er wäre in der heutigen Zeit auch 100 Millionen wert. Ich korrigierte ihn dann auf 65 Millionen (lacht). Mein Marktwert wäre heute wahrscheinlich auch ein paar Millionen mehr. 2006 stand bei mir beim Portal Transfermarkt eine Summe von 1,5 Millionen Euro.
Ihr Hauptwohnsitz ist seit 16 Jahren in Holland. Sind Sie geprägt von der holländischen Fussballschule?
Holländische Trainer waren immer stilbildend. Das geht von Rinus Michels und Johann Cruyff bis Louis van Gaal und Ronald Koeman. Vor allem der spanische Klubfussball war in den letzten Jahrzehnten sehr erfolgreich und ist geprägt von den holländischen Trainern. Auch Pep Guardiola vertritt diese Schule.
Sie haben die Trainerausbildung bis zum A-Diplom in Holland gemacht. Das ist also auch Ihre Schule?
Teilweise, ja. Aber in Spanien holt jetzt vielleicht Diego Simeone mit Atletico Madrid und nicht Barcelona mit Koeman den Titel. Und Simeone predigt nicht Ballbesitz. Bei ihm braucht man den Ball nur für den Moment, wenn man ihn ins Tor schiesst.
Und was ist Ihre Philosophie?
Sie wollen ja eine Schlagzeile. Also sagen wir: Holländische Abenteuerlust gepaart mit Schweizer Präzision.
Wieviel Holländer steckt denn in Stephan Keller?
Ich denke da nicht so eng in diesem Nationalitätenschema. Meine drei Kinder sind sicher so richtige Holländer, wenn es die denn gibt. Ich hoffe, dass ich mir die besten Eigenschaften herausgepickt habe. Aber auch da gibt es viele Klischees. Nicht jeder Holländer predigt Toleranz und läuft den ganzen Tag fröhlich mit einem Joint im Mundwinkel durch die Gegend. Es gibt auch dort den erzkonservativen Kartoffelbauern. Wenn man halt mal in Amsterdam war, in zwei Coffee-Shops und im Rotlicht-Distrikt war und das Gefühl hat, die ganze Welt fahre Velo, dann kennt man Holland noch nicht.