Hakuna Matata! So hiess die Yacht, auf der Alex Zanardi im Herbst 2002 den Autor dieser Zeilen zum Interview empfing. Hakuna Matata ist ein Spruch aus der afrikanischen Sprache Swahili und heisst frei übersetzt so viel wie: «Es gibt keine Probleme!»
Zanardi war an jenem Tag im Spass-Modus. «Was ist bloss los mit euren teuren Schweizer Uhren?», fragte der Italiener scheinbar erzürnt wegen den paar Minuten Verspätung. «War nur ein kleiner Scherz», gab er nach ein paar Sekunden der Stille Entwarnung und prustete lautstark los.
Er musste siebenmal wiederbelebt werden
Keine Probleme! Das war schon immer das Lebensmotto von Alex Zanardi, der in den 90er-Jahren 41 Formel-1-GPs bestritt. Am 15. September 2001 verunfallte er beim Cart-Rennen auf dem ostdeutschen Lausitzring schwer. Sein Auto zerriss es bei einem Crash in zwei Teile. Er verlor dabei beide Beine, musste siebenmal wiederbelebt werden und lag vier Tage lang im Koma. Als er wie durch ein Wunder wieder aufgewacht war, nahm er die neue Herausforderung an. Kein Hadern. Kein Zurückblicken. Kein: Warum ich?
Schon kurze Zeit nach dem Horrorcrash konnte er Witze über seine Behinderung machen. In Monaco 2002 erzählte er folgende Episode: «Vor kurzem habe ich mit meinem Neffen Verstecken gespielt. Ich nahm meine Beinprothesen ab und passte dadurch in Verstecke, in die normale Menschen nie reinkommen würden. Mein Neffe hat mich nicht gefunden. Das hat ihn schier verrückt gemacht und mich zum Lachen gebracht.»
Auch beim Erzählen der Anekdote musste er gleich nochmals lautstark lachen und gleich noch einen drauflegen: «Eigentlich müsste ich heute auch die deutsche Staatsbürgerschaft tragen, da ich mehr deutsches als italienisches Blut in meinem Körper habe.»
Keine Probleme! Auf die Frage, warum er so locker mit der neuen, schwierigen Situation umgeht, antwortete er immer: «Ich habe zwar meine Beine verloren, nicht aber meinen Humor.»
«Ich brauche nur noch einen Inbusschlüssel»
Was Zanardi damals noch nicht wissen konnte: Das Schicksal wird fast zwei Jahrzehnte später ein zweites Mal brutal zuschlagen. Doch dazwischen bewies er immer wieder, dass er sich von nichts und niemandem behindern lässt. Denn wer dachte, dass sich der Italiener nach dem ersten Unfall genüsslich zurücklehnen würde, der täuschte sich gewaltig.
2003 kehrte er ins Renncockpit zurück und legte auf dem Lausitzring die verbleibenden 13 Runden zurück, die ihm zwei Jahre zuvor wegen des Crashs genommen wurden. Und zwei Jahre später startete er mit einem umgebauten Boliden in der Tourenwagen-Weltmeisterschaft.
Parallel dazu trieb er seine Karriere im Handbike voran. Mit Erfolg. In London und Rio gewann er an den Paralympics gleich vier Goldmedaillen. Das Bild, das ihn ohne Beine das Bike in die Höhe stemmend zeigte, ging um die Welt. Und auch als paralympischer Athlet sorgte er mit seinen Sprüchen für Lacher: «Wenn ich mir jetzt noch mal die Beine breche, brauche ich nur noch einen Inbusschlüssel ...» Keine Probleme!
Wie geht es Zanardi heute?
Doch dann, am 19. Juni 2020, ging es auf einmal wieder um Leben und Tod. Während eines Handbike-Rennens in seiner Heimat kollidierte er mit einem LKW und zog sich dabei lebensbedrohliche Kopfverletzungen zu. Wieder nahm er den Kampf an, wieder gewann er ihn.
Wie es ihm heute genau geht? Darüber weiss man wenig. Kürzlich sprach Ehefrau Daniela über seinen Gesundheitszustand. «Sein Zustand ist im Wesentlichen stabil. Er befindet sich derzeit in einer Spezialklinik. Er kann mit uns kommunizieren, aber noch nicht wieder sprechen. Es ist eine sehr lange Reise, und derzeit können noch keine Vorhersagen getroffen werden, wann er nach Hause zurückkehren kann.»
Bleibt zu hoffen, dass Zanardi dereinst wieder sagen kann: Hakuna Matata – es gibt keine Probleme!