Nicole Reists tränenreiche Ankunft im Ziel
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Nach Unfall wegen totem Tier:Nicole Reists tränenreiche Ankunft im Ziel

Sieg am brutalsten Radrennen
Ein gewisser Funkspruch hätte Reist «explodieren» lassen

Die zehntätige Velo-Tortur ist zu Ende. Die Schweizerin Nicole Reist hat beim Race Across America einmal mehr triumphiert. Knapp zwei Tage nach der Zieldurchfahrt spricht sie mit Blick über ihr dramatisches Rennen.
Publiziert: 27.06.2022 um 17:58 Uhr
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Aktualisiert: 28.06.2022 um 07:58 Uhr
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Nicole Reist gewann die Frauen-Kategorie beim Race Across America souverän.
Foto: keystone-sda.ch
Nicola Abt

Müsste man das Wort «verrückt» personifizieren, Nicole Reist (38) wäre ohne Zweifel eine treffende Wahl. Die Extremsportlerin aus Zürich gewann zum dritten Mal das härteste Radrennen der Welt. In zehn Tagen durchquerte sie die USA – von der Westküste an die Ostküste. Knapp 5000 Kilometer, 55'000 Höhenmeter und nur neun Stunden Schlaf. Eine gigantische Anstrengung, die eine brutale Müdigkeit zur Folge haben müsste, aber die «Berggeiss» scharrt bereits wieder mit den Hufen. Blick erreicht Reist, die sich immer noch in Amerika aufhält, am späten Sonntagabend (MEZ) per Video-Call.

Blick: Sie sind soeben 38 geworden. Happy Birthday!
Nicole Reist:
Danke, aber erinnere mich bitte nicht daran. (lacht)

Weshalb?
Bald trage ich eine Vier auf dem Rücken. Eine beängstigende Vorstellung.

Wie eine Eins sind Sie Rad gefahren. Fühlen Sie sich auch bereits wieder erstklassig?
Absolut! Abgesehen von den Schmerzen, welche die Stürze hinterlassen haben (Reist zog sich eine Schambeinfraktur zu, Anm. d. Red.), bin ich topfit.

Mit anderen Worten: Die Geburtstagsparty kann steigen?
Ich hoffe es doch, wir haben extra ein Haus gemietet. Mein Team sollte in wenigen Minuten auftauchen und dann vergessen wir die Welt um uns noch einmal. Aber...

Ja?
... einen Besuch des Hammer-Manns erwarte ich schon noch. Es wird die Zeit kommen, wo ich nur noch schlafen will, meine Ruhe brauche und zurück in den Alltag finden muss. Das Schlimmste: Du fühlst dich – überall wo du bist – fehl am Platz.

Race Across America

Das Race Across America (RAAM) ist das härteste und längste Ultracycling-Rennen der Welt: Über 4888 Kilometer und 55'000 Höhenmeter geht es von Oceanside in Kalifornien an der Westküste durch 12 Staaten nonstop bis nach Annapolis in Maryland an der Ostküste, nonstop. Am Start waren rund 150 Fahrer und Fahrerinnen, die in 2er-, 4er- oder 8er-Teams ins Rennen gingen. In den ersten 40 Austragungen konnten erst 37 Frauen das RAAM als Solo-Starterinnen beenden.

Das Race Across America (RAAM) ist das härteste und längste Ultracycling-Rennen der Welt: Über 4888 Kilometer und 55'000 Höhenmeter geht es von Oceanside in Kalifornien an der Westküste durch 12 Staaten nonstop bis nach Annapolis in Maryland an der Ostküste, nonstop. Am Start waren rund 150 Fahrer und Fahrerinnen, die in 2er-, 4er- oder 8er-Teams ins Rennen gingen. In den ersten 40 Austragungen konnten erst 37 Frauen das RAAM als Solo-Starterinnen beenden.

Tauchen wir in das Rennen ein. Wie steht man eine derartige Tortur mit nur neun Stunden Schlaf durch?
Dank einer minutiösen Planung. Ich selbst und jeder vom Team wusste ganz genau, was er zu tun hatte. Zum Beispiel während der Schlafenszeit: Meine Physiotherapeutin behandelte mich, dann wurde ich geweckt, ich sass auf, mir wurden die Socken und das Trikot angezogen, es gab ein Stück Schokolade und weiter ging es. Ein Prozess von fünf bis sechs Minuten. Das war alles derart automatisiert, dass ich bereits wieder auf dem Velo sass, als mein Kopf mit Denken begann.

Die kurze Schlafenszeit nagt am Nervenkostüm. Bekam das die Crew zu spüren?
Ja, sie mussten sich einiges anhören, aber darauf werden sie monatelang vorbereitet. Es ist klar definiert, was ich per Funk auf keinen Fall hören will.

Und das wäre?
Zum Beispiel den Satz: «Es ist nicht mehr weit.» Da könnte ich explodieren. Klar, im Verhältnis zu der Gesamtstrecke scheinen die letzten 100 Kilometer nah, aber in diesem Moment ist es für mich eine Ewigkeit.

Über weite Strecken hatten nicht einmal die Männer eine Chance gegen Sie. Ein fataler Sturz knapp 320 Kilometer vor dem Ziel machte jedoch alles zunichte. Eine Folge der Müdigkeit?
Überhaupt nicht. Eher ein Resultat der bescheidenen Strassenverhältnissen in den USA (schmunzelt). Ich fuhr bergauf um eine Kurve und da war plötzlich kein Asphalt mehr. Ein grosses Loch tat sich vor mir auf, ich bemerkte es zu spät und stürzte. Das Resultat davon waren Schmerzen im Rippen-Bereich, am Oberschenkel und eine vierstündige Untersuchung.

Das war aber nicht der einzige Unfall.
Viel früher im Rennen flog ich einmal über die Leitplanken, weil ich einem kaputten Reifen ausweichen musste und dabei ein totes Tier erwischte, das auf der Fahrbahn lag.

Das alles kostet viel Zeit, genauso wie die Hygiene-Bedürfnisse.
Ich habe in diesen zehn Tagen einmal oder zweimal geduscht. Das ist nicht wirklich angenehm, aber du hast da draussen eindeutig grössere Probleme und ich wollte ja möglichst schnell ins Ziel.

Während dem Rennen wurden Sie von Menschen aus der ganzen Welt unterstützt.
Viele Fans haben mir Sprachnachrichten gesendet, die mir meine Crew jeweils abspielte. Danach wurde hitzig darüber debattiert, wer das sein könnte und woher diese Person kam. Ein motivierender Prozess und eine willkommene Abwechslung zum öden Wüsten-Alltag. Und so konnte mein Team anhand des Sprechtempos und der Tonlage herausfinden, wie es mir ging. Sie sahen mich ja nur von hinten.

Welcher Kampf ist mühsamer: Der in der Wüste gegen dich selbst oder der um neue Sponsoren?
Klar jener um neue Sponsoren. Für das RAAM benötigten wir ein Budget von 60'000 Franken. Einnahmen hast du keine, auf Preisgeld wartest du vergebens.

Sie haben den Gesamtsieg – zwei Männer waren schneller – und den Tempo-Rekord verpasst. Das ruft nach einer erneuten Teilnahme.

So ganz abgeschlossen habe ich mit diesem Thema sicher noch nicht.

Wie sieht Ihre nähere Zukunft aus?
Gesund werden, lautet die Devise. Momentan ist an ein Rennen nicht zu denken. Am kommenden Montag werde ich zudem zurück im Büro erwartet (Sie arbeitet als Hochbautechnikerin, Anm. d. Red.). Gezwungenermassen wird aus mir wohl für kurze Zeit eine ganz «normale» Schweizerin.

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