Vorverurteilt nach Sex-Skandal
Ambris Formenton scheidet die Geister

Missbrauchsvorwürfe, Schweigegeld, ein Verband in Not und ein Spieler, der auf sozialen Medien vorverurteilt wird. Die Geschichte von Alex Formenton.
Publiziert: 30.12.2022 um 15:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.12.2022 um 18:02 Uhr
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Am 14. Dezember vermeldete Ambri den Zuzug von Alex Formenton.
Foto: Michela Locatelli/freshfocus
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Dino KesslerLeiter Eishockey-Ressort

Üblicherweise veröffentlichen Sportvereine nach der Verpflichtung von Spielern und Trainern eine Pressemitteilung mit statistischen Eckdaten und salbungsvollen Worten. Als Ambri am 14. Dezember 2022 den Wechsel von Alex Formenton in die Leventina verkündet, enthält die Mitteilung jedoch einen unüblichen Appendix: Man sei sich bewusst, dass Formenton 2018 als Mitglied der U20-Nationalmannschaft Kanadas Teil einer Untersuchung in einem mutmasslichen Missbrauchs-Skandal war. Eine Untersuchung, die zu keiner Anklage führte.

Es ging um einen Fall, in dem eine junge Frau angeblich von mehreren Eishockeyspielern missbraucht wurde und der die Justiz jetzt wieder beschäftigt. Jetzt wieder darum, weil Kanadas Verband den Fall in erster Instanz durch eine Millionenzahlung aus geheimen Kassen unter den Teppich gekehrt hatte. Die Kultur des Schweigens hat die Funktionäre mittlerweile jedoch eingeholt: Als bekannt wurde, dass Hockey Canada seit 1989 mehr als sechs Millionen Franken Schweigegeld an mögliche Missbrauchsopfer gezahlt hatte, setzten Sponsoren, Öffentlichkeit und Politik massiven Druck auf. Inzwischen wurde die gesamte Führungsriege ausgetauscht und ein Kulturwandel versprochen, aber das mit dem Eishockey tief verwurzelte Volk verlangt von seinem wichtigsten Sportverband Aufklärung. Auch die NHL steht unter Druck: Die beste Liga der Welt hat Massnahmen versprochen, sollte die Untersuchung der Behörden von Ontario zu einer Anklage gegen NHL-Spieler führen.

Das Volksgericht stürzte sich auf Formenton

Alex Formenton hat wie andere Mitglieder der damaligen U20-Mannschaft mit den Behörden kooperiert, im Gegensatz zu andern hat er sich dazu nicht öffentlich geäussert. Ambri betonte in der Medienmitteilung, dass für Formenton die Unschuldsvermutung gelte, weitere Auskünfte zu diesem Thema wären nicht vorgesehen.

Aber wie ist der Stürmer in der Schweiz gelandet? In der vergangenen Saison hatte der 23-jährige 18 Tore für die Senators erzielt – ein Empfehlungsschreiben für die NHL. Formenton war offiziell darum verfügbar, weil er sich nach Ablauf seines Einstiegs-Vertrags im letzten Sommer nicht mit seinem Klub einigen konnte. Am 1. Dezember war die Frist für eine Einigung abgelaufen, der Klub behält aber die Rechte am Spieler. Pierre Dorion, der General Manager der Ottawas Senators, lässt sich in diesem Fall nicht in die Karten blicken: «Die Vertragssituation und die Untersuchung sind zwei verschiedene Dinge», sagte er zu «The Athletic».

In Kanada wurde spekuliert, dass sich die nach dem Tod des Eigentümers Eugene Melnyk zum Verkauf stehende Organisation mit Formenton nicht die Finger verbrennen will, solange die Untersuchung läuft. Auf sozialen Medien wurden allerdings härtere Töne angeschlagen, das Volksgericht bei Twitter & Co stürzte sich auf den Spieler und sprach ihn schuldig, Unschuldsvermutung hin oder her.

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«Aufgrund der Informationen, die wir haben, gibt es keinen Grund, an seiner Unschuld zu zweifeln.»
Paolo Duca, Sportchef Ambri
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Das mussten auch die Dirigenten Ambris erfahren, der Klub sieht sich seit diesem Transfer trotz juristischer Unbedenklichkeit Vorwürfen ausgesetzt. Der Spieler ist aber weder angeklagt noch verurteilt, also ist er nach dem Gesetz unschuldig. Trotzdem wurden Bedenken geäussert, die um die moralische Verantwortung eines Klubs kreisen – Ambri ist in diesem Fall ein gewisses Risiko eingegangen. Ambri-Sportchef Paolo Duca äussert sich auf Anfrage während des Spengler Cups so: «Uns war bewusst, dass es vor vier Jahren diese Untersuchung gab. Damals wurde keine Anklage erhoben und kein Urteil gesprochen. Nun ist die Untersuchung nach den Wirren im kanadischen Verband wieder eröffnet worden. Wir haben uns vor dem Transfer mit dem Spieler unterhalten, wir haben mit seinem Vertreter und seinem Anwalt gesprochen. Aufgrund der Informationen, die wir haben, gibt es keinen Grund, an seiner Unschuld zu zweifeln. Sollte sich die Faktenlage ändern, hätten wir die Möglichkeit, die vertragliche Situation neu zu beurteilen.»

National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
Lausanne HC
Lausanne HC
20
12
40
2
ZSC Lions
ZSC Lions
18
20
39
3
HC Davos
HC Davos
19
21
38
4
SC Bern
SC Bern
20
15
33
5
EHC Biel
EHC Biel
19
4
32
6
EV Zug
EV Zug
19
11
29
7
EHC Kloten
EHC Kloten
19
-2
28
8
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
19
-8
26
9
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
18
-10
24
10
HC Lugano
HC Lugano
17
-13
22
11
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
19
-11
22
12
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
16
-2
21
13
SCL Tigers
SCL Tigers
17
-3
21
14
HC Ajoie
HC Ajoie
18
-34
12
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