Die Geschichte von Robin Lehner. Sie hat ein dunkles Kapitel, wenn es um den Menschen hinter der Maske geht. Und ein märchenhaftes, wenn es um die Leistung des Torhüters geht, der bereits mit 19 von seiner Heimat Schweden in die NHL ausgezogen ist.
Zum sportlichen Kapitel zuerst: Die aktuellen Zahlen Lehners beeindrucken. Von seinen 13 Playoff-Einsätzen mit Las Vegas verbucht er neun Siege – davon vier Shutouts. Der letzte gelingt ihm im zweiten Halbfinal-Duell gegen Dallas. Dank dem 3:0 gleichen die Golden Knights in der Serie zum 1:1 aus.
Dass der 29-Jährige der Verlass-Goalie von Vegas in diesen Playoffs ist, damit hat niemand gerechnet. Erst im Februar landet Lehner in einem Trade über zwei Ecken in der Spielerstadt des US-Bundesstaates Nevada. Geholt als starker Ersatz des dreifachen Stanley-Cup-Siegers Marc-André Fleury (35), der vermeintlich unangefochtenen Nummer 1.
Tiefpunkt mit Zusammenbruch im März 2018
Doch das Vertrauen des erst im Januar neu verpflichteten Trainers Peter DeBoer (52, Ka) tendiert immer mehr zu Lehner. Der Schwede steht in sechs von sieben Viertelfinal-Partien gegen Vancouver im Kasten, auch in der entscheidenden «Belle». Die überraschende Wachablösung bringt Fleurys Agenten Allan Walsh dermassen in Rage, dass er sich Ende August zu einem unüberlegten, unangebrachten und mittlerweile gelöschten Tweet hinreissen lässt: Er zeigt eine Fotomontage mit einem blutigen Schwert im Rücken von Keeper Fleury und ist an dessen Trainer DeBoer adressiert.
Diese Psycho-Spielchen, dieser Druck in der NHL, dies alles lässt Robin Lehner kalt. Das versteht man erst, wenn man sein dunkles Kapitel kennt. Dessen Tragik erfasst man aufgrund einer letztjährigen Aussage des Zweitrunden-Drafts (Ottawa, 2009) auf ESPN. Er habe vor 2018/19 jahrelang keine Saison nüchtern gespielt...
Ende März 2018 erreicht der Vater von zwei Kindern den Tiefpunkt. Lehner, damals noch bei Buffalo, erleidet in einer Pause im Spiel gegen Detroit einen Zusammenbruch. «Als die Sirene ertönte, ging ich in die Kabine und wollte mich ausziehen. Aber ich konnte es nicht», sagte er damals, «plötzlich hatte ich eine schwere Panikattacke. Ich wusste, jetzt kann ich nicht mehr zurück aufs Eis.»
Lehner wird nach Hause geschickt. Auf dem Weg stoppt er an einer Tankstelle, kauft Alkohol. Um sich zuzudröhnen, wie er es regelmässig macht. Mit einem Unterschied: Nach dieser Nacht bittet er seine Frau Donya, ihn einzuliefern. Jahrelang hat sie die Sucht ihres Mannes geheim gehalten, um das Bild der glücklichen Familie aufrechtzuerhalten.
Selbstmord-Gedanken, Alkohol- und Tablettenmissbrauch
Die Ärzte im «The Meadows», einem Zentrum für Sucht- und psychologische Trauma-Behandlung in Arizona, stellen ein Drogen- und Alkoholproblem sowie eine bipolare Störung fest. «Der Entzug nach jahrelangem Alkohol- und Schlaftabletten-Missbrauch war hart. Ich hatte jede Nacht Albträume. Ich wusste nicht, ob der erste Monat real war.»
Lehners Agent und Anwalt wie auch seine Familie raten ihm, alles für sich zu behalten, weil es sonst seiner Karriere schaden könnte. Doch der Schwede entscheidet sich, offen darüber zu reden, über seine Selbstmord-Gedanken, Depressionen, Krisen. Und sagt rückblickend, dass ihm der Gang an die Öffentlichkeit bei der Bewältigung seiner Probleme geholfen hat.
Denn Lehner möchte damals ehrlich sein gegenüber seiner neuen Mannschaft, den Trainern und Teamkollegen bei den New York Islanders. «Sie sollten wissen, warum ich nie mit ihnen Alkohol trinken kann.» Seine Medikamente lässt er sich von den Teamärzten täglich offen geben.
Nach seinem Comeback gewinnt er die Bill Masterton Trophy – neun Monate nach seinem Zusammenbruch. Diese wird Spielern mit Ausdauer, Hingabe und Fairness verliehen. Lehner ist zu einer wichtigen Stimme in der NHL geworden, die diese heiklen Themen nicht tabuisiert. «Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich psychisch krank bin. Aber das bedeutet nicht, dass ich mental schwach bin.»
Vom Vater als Kind verspottet
Denn stark zu sein hat Lehner bereits in seiner Kindheit gelernt. Von seinem Vater Michael wird Robin, der erst als Zehnjähriger erstmals auf dem Eis steht, schon früh psychisch gequält. Er unterdrückt ihn, zwingt ihn zu Trainings im Garten, drischt Pucks mit einer Puckmaschine mit 160 Km/h auf den Buben, der dabei nur die halbe Ausrüstung tragen darf.
Es ist so schlimm, dass die Nachbarn den Vater bei der schwedischen Kinderschutzbehörde anzeigen. «Ich habe ihn verspottet», gesteht der Vater eines Tages reuig. «Es war keine gewöhnliche Kindheit», sagt Robin Lehner. Die Vater-Sohn-Beziehung normalisiert sich erst, als der Goalie in Nordamerika Abstand gewinnt und erfolgreich wird. Mittlerweile zählt er zu den besten NHL-Torhütern. Und ist seit zwei Jahren trocken und clean. Das wird wohl immer Robin Lehners wichtigster und schönster Sieg bleiben.