In der Nacht auf Dienstag gibt es kein Wenn und kein Aber mehr. Der Stanley Cup bekommt einen neuen Besitzer.
Davor war die altehrwürdige, massive NHL-Trophäe dreimal im Stadion gewesen und wieder in der Kiste verstaut worden. Dreimal vergaben die Florida Panthers einen Meister-Puck gegen die Edmonton Oilers, die nach 0:3-Rückstand in der Serie ausgeglichen haben.
Edmonton auf den Schultern von McDavid
Dass es möglich ist, ein 3:0 in einem Best-of-7-Final noch zu verspielen, weiss man hierzulande. 2022 schafften das die ZSC Lions gegen den EV Zug. In der 107-jährigen Geschichte der NHL gab es dies auch erst einmal. Das war 1942, als die Toronto Maple Leafs den Detroit Red Wings den sicher geglaubten Titel noch entrissen. Damals hatte die NHL allerdings ganz andere Dimensionen, bestand nur aus sieben Teams.
Die Wende haben die Oilers nicht zuletzt Superstar Connor McDavid (27) zu verdanken. «Er hat uns einfach auf seine Schultern gepackt», sagt der schwedische Verteidiger Mattias Ekholm. «Er ist der Beste in der Welt. Mehr kann man dazu nicht sagen.»
Einen Gretzky-Rekord schon ausgelöscht
Mit 34 Assists hat er die vormalige Playoff-Bestmarke von Oilers-Legende Wayne «The Great One» Gretzky (31) übertroffen. Und mehr Punkte als der Kanadier (42) haben nur zwei der Allergrössten geschafft: Gretzky (47 und 43) und Mario Lemieux (44).
So gesehen könnten sich die Panthers damit trösten, dass sie sich «McJesus» geschlagen geben müssten. Es wäre ein schwacher Trost. Denn in den ersten drei Spielen hatte die Mannschaft von Paul Maurice noch einen starken Eindruck hinterlassen und Goalie Sergei Bobrowski wirkte nahezu unüberwindbar. Doch seit Spiel 4 haben der Russe und die Panthers ihre Magie verloren.
Verliert das Team, das seine Spiele in Sunrise nördlich von Miami austrägt, seinen zweiten Final in Folge und bleibt titellos, muss dies als einer der grössten Zusammenbrüche der Sportgeschichte gewertet werden.
Novotnas Kollaps und Tränen
In der unrühmlichen Titel-vergeigen-Kategorie wurde schon manches Kapitel geschrieben.
Im Tennis ist der Wimbledon-Final 1993 eines der krassesten Beispiele. Damals führte Jana Novotna im dritten Satz gegen Steffi Graf 4:1 und bei eigenem Aufschlag 40:30, als sie sich einen Doppelfehler leistete und dann komplett die Nerven verlor. Die Tschechin gewann kein Game mehr und leistete sich beim nächsten Aufschlagspiel gleich drei Doppelfehler. Nach ihrem sportlichen Kollaps weinte sich Novotna an den Schultern der Herzogin von Kent aus.
Und bei den Männern? Beim French-Open-Endspiel 1999 dominierte der Ukrainer Andrei Medwedew zunächst und gewann die ersten beiden Sätze 6:1 und 6:2, ehe er den Faden verlor und der Amerikaner Andre Agassi die folgenden drei Sätze holte. Sein russischer Namensvetter Daniil Medwedew erlebte im Final der Australian Open 2022 gegen Rafael Nadal ebenfalls einen Einbruch nach 2:0-Führung und verlor nach 5 Stunden und 24 Minuten.
Im American Football ist die Super Bowl LI 2017 in die Geschichte eingegangen. Die Atlanta Falcons vergeigten eine 28:3-Führung tief im dritten Viertel und verloren gegen Tom Brady und die New England Patriots 28:34.
Milan, Ungarn und zuletzt Botafogo
Golf-Fans dürften sich vor allem an Greg Norman erinnern. Der Australier ging 1996 mit einem Vorsprung von sechs Schlägen in die letzte Runde des Masters und musste nach einem Einbruch zusehen, wie sich Nick Faldo ins «Green Jacket» einkleiden liess.
Im Fussball bleibt der Champions-League-Final in Istanbul 2005 im Gedächtnis haften, als Milan zur Pause gegen Liverpool 3:0 führte und dann im Penaltyschiessen verlor.
Ein halbes Jahrhundert davor gab es das «Wunder von Bern», als Favorit Ungarn – davor während 31 Spielen in Folge ungeschlagen – im WM-Final 1954 gegen Deutschland nach 8 Minuten 2:0 führte und noch 2:3 verlor. Im Gruppenspiel hatten die Magyaren die Deutschen noch 8:3 vom Platz gefegt.
Noch frisch ist der Einbruch von Botafogo. Das Team aus Rio de Janeiro war letztes Jahr drauf und dran, seinen ersten Meistertitel seit 1995 zu holen, führte die Tabelle mit 14 Punkten Vorsprung an, ehe in den letzten elf Spielen nur noch sechs Punkte resultierten und man bis auf Platz 6 abrutschte. Der Titel ging derweil an Palmeiras. Die Weichen dazu hatte das Team aus São Paulo mit einem 4:3-Sieg im Direktduell gestellt, wobei Botafogo 3:0 geführt hatte.