BLICK: Patrick Fischer, an der WM in Dänemark könnten Sie ihren Job trotz Vertrag bis 2020 verlieren, sollten Sie die Viertelfinals verpassen.
Patrick Fischer: Ich bin mir bewusst, dass wir liefern müssen. Nach Olympia waren die Leute enttäuscht und verärgert, weil wir unseren Job nicht gemacht haben. Als Trainer wird man an Resultaten gemessen, und wenn die ausbleiben, werden Konsequenzen gezogen.
Bereuen Sie, vor Olympia von einer Medaille geträumt zu haben?
Weshalb sollte ich das? Wenn ich nicht von einer Medaille träumen würde, wäre ich fehl am Platz. Ich habe auch mal gesagt, dass ich irgendwann gerne Weltmeister werden möchte, weil wir schon mal Silber gewonnen haben. Am liebsten natürlich als Trainer, aber sonst auch als Anhänger. Aber es ist uns bewusst, dass auch der Viertelfinal niemals ein Selbstläufer ist.
In der Öffentlichkeit wurde die Medaille aber als Zielsetzung wahrgenommen.
Eine Medaille wurde nie als Zielsetzung kommuniziert. Aber die Erwartungshaltung war hoch, weil wir in Paris ein sehr gutes Turnier gespielt haben. Das gelang mit einer relativ unerfahrenen Mannschaft, wir konnten überraschen, weil einige Spieler über sich hinausgewachsen sind.
Wurde das Team vom Druck überfordert?
Vielleicht war das so, das kann sein. Aber irgendwann muss man lernen, mit diesen Anforderungen klar zu kommen. Ich bin nicht hier, um auf der Stelle zu treten. Das bedeutet, sich mit den Besten zu messen. Das setzt Mut voraus und wer mutig ist, wird auch mal umfallen. Ich habe vor Olympia aber auch Fehler gemacht.
Welche Fehler?
Ich habe in der Vorbereitung die Intensität aus den Trainings genommen, weil ich glaubte, die Spieler könnten so die Batterien wieder aufladen, die Konsequenz war hingegen ein Spannungsverlust. Die Energie kam erst im Spiel gegen Deutschland teilweise zurück.
Müsste man die Erwartungshaltung nicht etwas nach unten korrigieren?
Die offizielle Zielsetzung lautete: Viertelfinal. Die haben wir klar verpasst. Aber ich kann unseren Spitzenspielern nicht den achten Platz als das höchste der Gefühle verkaufen, diese Leute möchten etwas erreichen.
Die Nati erreicht im Schnitt knapp jedes zweite Mal die Viertelfinals. Eine Medaille zu fordern, ist unrealistisch.
Niemand hat eine Medaille gefordert. In den letzten zwölf Jahren wurde der Viertelfinal sechs Mal erreicht. Wir stecken in einer Position fest, in der wir kaum noch abstiegsgefährdet sind, uns aber irgendwo im Mittelfeld aufhalten. Diesem Zustand entspricht auch unsere Denkweise. Aber warum sollte es nicht Zeit sein, einen Schritt nach vorne zu machen? Das ist meine Denkweise, ich möchte einen Fortschritt erzielen. Vielleicht werde ich daran scheitern. Aber wenn wir uns den Topnationen nähern möchten, müssen wir auch den Mut haben, so zu denken wie sie. Ein Zwischenschritt wäre, bei drei von vier Turnieren den Viertelfinal zu erreichen, vielleicht mal ab und zu einen Halbfinal.
Geht es auch darum, Komplexe abbauen?
Im Sport geht es um das Vertrauen. Wenn das Vertrauen da ist, lässt sich die Leistung abrufen, das sagt dir jeder Profi. 2013, als wir die Silbermedaille holten, haben die Spieler vor dem Turnier als interne Zielsetzung erstmals von einer Medaille gesprochen – das meine ich mit Vertrauen.
Nochmals zur Erwartungshaltung: Bei Olympia war sie scheinbar kontraproduktiv. Man dachte, das Fehlen der NHL-Stars mache es einfacher.
Ich glaube immer noch, dass es ohne die NHL-Spieler einfacher war, ein Topergebnis zu erzielen. Die Deutschen haben das ja gezeigt.
Bei der Nati verhinderte die Erwartungshaltung die nötige Lockerheit.
Das kann ich nur unterschreiben. Aber genau das meine ich mit der Denkweise: Wir müssen lernen, den Erfolgsdruck als normale Begleiterscheinung zu akzeptieren. Wenn man sich im Spitzensport bewegt, gehören Erwartungen und Erfolgsdruck zum Tagesgeschäft. Unsere Spitzenspieler beweisen auf nationaler Ebene ja auch jeden Tag, dass sie mit dem Druck klarkommen. Natürlich ist das internationale Eishockey eine andere Schuhnummer, aber was im Kopf abgeht, ist ein entscheidendes Detail.
Wie meinen Sie das?
Nehmen wir das Beispiel Gaëtan Haas. Bei der WM in Moskau 2016 mussten wir ihn im zweiten Spiel noch rausnehmen, ein Jahr später spielte er im Viertelfinal gegen Schweden so stark wie der Top-Mittelstürmer Nicklas Bäckström (Washington Capitals, die Red.). Der Unterschied? Überzeugung und Selbstvertrauen. 2006 haben wir bei Olympia in Turin die Kanadier geschlagen, obwohl wir eigentlich chancenlos waren. Am nächsten Tag haben wir in der Euphorie auch gleich die Tschechen geschlagen. Warum? Vertrauen. Beim WM-Silber in Stockholm 2013 lief das ähnlich. Wir brauchen stets einen Auslöser für die Bestätigung unseres Könnens, erst dann glauben wir es.
Ist es der Glaube oder ist dann einfach der Druck weg?
Es ist der Glaube. Schauen Sie sich die ZSC Lions an. Da können sie ein bestimmtes Ereignis im Viertelfinal gegen den EVZ als Auslöser identifizieren. Von diesem Zeitpunkt hat die Mannschaft plötzlich Eishockey gespielt. Die Spieler haben sich ja nicht von einem Tag auf den anderen physisch verbessert, das hat sich alles in den Köpfen abgespielt. Und Lugano hatte gegen Biel ein ähnliches Erlebnis.
Wie kann man dies bewusst herbeiführen?
Das muss man tief in sich drin haben. Bei Lugano war zum Beispiel Maxim Lapierre einer, der völlig unbeeindruckt vom Geschehen immer sein Spiel machte. Das ist vielleicht die nordamerikanische Mentalität, wenn da ein Team einen Tiefschlag einsteckt, kommt mit Sicherheit die Gegenreaktion. Bei uns habe ich manchmal das Gefühl, wir lassen uns zu stark beeindrucken.
Ein Problem war auch das Powerplay. Packen Sie das nun anders an?
Ja. Wir haben realisiert, dass wir den Spielern noch mehr Leitplanken setzen müssen, damit sie sich besser orientieren können. Dazu gehört noch mehr Detailarbeit. In der WM-Vorbereitung wurde das bereits sehr gut umgesetzt.
Haben Sie davor zu wenig Einfluss genommen?
Ich bin da durchaus selbstkritisch. Wir haben uns zu Beginn meiner Amtszeit stark auf die bei numerischem Gleichstand relevante Systemarbeit fokussiert, um den Spielern eine grundsätzliche Sicherheit zu vermitteln. Dieser Prozess ist weitgehend abgeschlossen.
Sie hatten aber stets gesagt, dass die Spezialsituationen wegweisend sein werden.
Absolut. Bei meinem ersten Turnier in Moskau war das Powerplay mit über 20 Prozent Effektivität gut, nur war das Unterzahlspiel katastrophal. In Paris haben wir in Überzahl wohl zu viel experimentiert und kamen so in eine Negativspirale.
Noch gar nie funktionierte das Unterzahlspiel.
Unsere Stärke ist das Laufspiel. Als müssen wir das auch in Unterzahl nutzen und viel mehr Druck auf den Gegner machen, aktiver, aufsässiger und hartnäckiger sein.
Verpassen Sie die Viertelfinals, lautet Ihre Bilanz so: vier Turniere, drei Mal die Viertelfinals verpasst. Sie wollen aber exakt das Gegenteil.
Sollten wir den Viertelfinal erreichen, haben wir dieses Ziel bei zwei Weltmeisterschaften in Folge erreicht. Wann gab es das zuletzt?
Sie sagen es uns bestimmt.
Nein, ich kann mich nicht daran erinnern (2007 in Moskau, 2008 in Québec, die Red.).
Die Nati braucht stets Zeit, um sich an den Rhythmus anzupassen. Weil in unserer Liga nicht intensiv genug gespielt wird?
Der Rhythmus auf internationaler Ebene ist höher als in der National League. Aber er ist auch höher als in Finnland, Schweden, Tschechien oder in der KHL.
Schon klar. Wer die National League kritisiert, gerät ins Visier der mächtigen Klubbosse Lüthi und Zahner...
Ich schätze unsere Liga sehr. Und man kann doch nicht erwarten, dass in einer nationalen Liga gleich intensiv gespielt wird wie bei einer WM mit vielen Topspielern.
Aber etwas näher an der Intensität guter Ligen wie Schweden, Finnland oder Tschechien dürften wir uns schon bewegen.
In der National League wird anderes Eishockey gespielt, nicht weniger intensiv, anders. In der deutschen DEL zum Beispiel wird eher internationaleres Eishockey gespielt. Gradliniger. Bei uns wird spektakuläres und offenes Eishockey gespielt, international ist es schwerer, zu Toren zu kommen.
Lesen Sie eigentlich, was über Sie geschrieben wird?
Selten.
SCB-Boss Marc Lüthi hat sich so geäussert: «Fischer hat viele Stärken, nachweisbar auch viele Schwächen, weil ihm zum Teil Ausbildungen fehlen.»
Ich bin tatsächlich kein erfahrener Trainer, wie könnte ich das nach den wenigen Jahren auch sein? Ich wurde in Lugano sehr früh Chefcoach, war dann drei Jahre im Amt, das ist mir alles bewusst. Bin ich jetzt ein besserer Trainer als vor zwei Monaten? Ja, klar. Bin ich jetzt ein besserer Trainer als vor zwei Jahren? Bestimmt. Unser Eishockey liegt mir am Herzen, ich möchte, dass wir weiterkommen, etwas mehr Vertrauen in uns selbst haben.
Der Grat zwischen frechem Auftreten und Naivität ist schmal.
Wir können ohne Bedenken sagen, regelmässig in den Viertelfinal zu wollen und wir können ohne Bedenken stolz auf unsere jungen Spieler sein. Die jungen Schweden haben ein Ziel: alles dafür tun, um in die NHL zu kommen und den Stanley Cup zu gewinnen. Auch immer mehr Schweizer zeigen, dass dies ein realistisches Ziel sein kann.