Gut gelaunt schlendert Luca Cunti durch die Tissot Arena, entschuldigt sich für die drei Minuten Verspätung, drückt SonntagsBlick einen Schokoriegel in die Hand und fragt, ob es in Ordnung sei, wenn er sich beim Essen – freilich mit Abstand – die Maske runterziehe. Sympathisch, bodenständig, zuvorkommend. Und so ganz anders, als man es aufgrund früherer Geschichten vielleicht hätte erwarten können.
Mit 15 Jahren findet Cunti erstmals in den Medien Beachtung. Das inzwischen eingestellte Nachrichtenmagazin «Facts» begleitet den Teenager einen Tag lang. «Armani-Kappe, Marken-Jeans, Turnschuhe im trendigen Retro-Design und um den Hals ein Kreuz so gross, wie man es bei Mafia-Bossen in Hollywood-Movies gesehen hat.» Früh entsteht der Eindruck eines verwöhnten Jungen von der Zürcher Goldküste.
«Ich war nie ein Grossmaul, hatte auch nie Probleme mit Mitspielern», betont der in Erlenbach ZH aufgewachsene Stürmer. «Mein Vater schenkte mir einmal ein Highlight-Video von Pavel Bure, das ich mir unzählige Male angeschaut habe. Noch heute verbringe ich Stunden im Keller meiner Eltern, um an meiner Stocktechnik zu feilen und um vielleicht einmal technisch so gut zu sein wie er.»
Er sei schon immer sehr ambitioniert gewesen. «Gleichzeitig war ich ein ganz normaler Teenager, musste mich zuerst finden. Das ist nicht immer leicht. Man will dies und jenes erleben. Auch ich musste Erfahrungen sammeln, bin heute geerdeter.»
Cunti macht Fernstudium
Nicht zuletzt die Familie – Cunti hat eine fünf und eine zwei Jahre junge Tochter – habe einiges verändert. «Sie ist meine Energiequelle und gibt mir Halt und Unterstützung. Komme ich nach Hause, lacht man mich an oder kneift mich. Da vergisst man alles andere.» Doch um seine Ziele zu erreichen, konnte Cunti schon als Teenager Opfer erbringen.
2007 entscheidet sich der talentierte Stürmer, der von Tampa Bay gedraftet wurde, für einen Wechsel in die USA. Er will in Minnesota auf der höchsten College-Stufe spielen und an der St. Cloud State University Psychologie studieren. «Ich büffelte Englisch, um das Diplom und damit die Zulassung zu bekommen.» Doch dann wartet Cunti in Übersee wochenlang auf die Spiellizenz, muss zuschauen, wie seine Kollegen an die Spiele fahren. Schliesslich wird sie ihm verweigert, weil er bei den GCK Lions für Materialausgaben eine kleine Entschädigung bekam und sein Ausbildungsvertrag als Profikontrakt ausgelegt wird. «Das traf mich», sagt Cunti.
Das Studium setzt er bis heute aus der Ferne fort. «Die Studienzeit ist nicht begrenzt. Ich habe rund 80 Prozent geschafft. Statt in der Badi zu sitzen, lernte ich neben dem Sommertraining im letzten Sommer viel.» Der 31-Jährige interessiert sich für klinische Psychologie, will sich jedoch nicht festlegen, sagt: «Es ist völlig offen, welchen Weg ich dereinst einschlagen werde. Vielleicht ändert sich meine Meinung nach einem Praktikum.»
Arbeit auf dem Bau
Auch aus seinem NHL-Traum wird damals nichts. Tampa macht dem Stürmer, der nach dem negativen Bescheid in Minnesota in die Juniorenliga USHL wechselt, zwar ein Angebot. Doch Cuntis damaliger Agent meint, er könne nach einem weiteren guten Jahr in Nordamerika einen besseren Kontrakt aushandeln. Doch ein zweites Angebot kommt nicht.
Zurück in der Schweiz schafft es Cunti nicht, sich in einem Probetraining in Bern durchzusetzen, landet schliesslich in Langnau, erkrankt dann aber am Pfeifferschen Drüsenfieber. «Die Krankheit setzte mir zu. Mir fehlte die Kraft.»
Plötzlich steckt der Neffe der Arosa-Legende Pietro Cunti in einer Sackgasse, findet sich im Gipsergeschäft seines Vaters wieder – und arbeitet als Hilfskraft auf dem Bau.
«Es war eine andere Art von Herausforderung, als ich das vom Eishockey her kannte. Jetzt weiss ich etwas besser, wie man Häuser baut und Wände hochzieht. Gleichzeitig konnte ich Abstand vom Eishockey gewinnen und eine andere Seite vom Leben entdecken. Das tat mir gut. Obwohl ich mich körperlich noch immer krank fühlte, zog ich es durch.»
Dank Simon Schenk erhält Cunti bei den GCK Lions noch einmal eine Chance. Doch anders als viele seiner Mitspieler kommt er zu keinen Einsätzen in der höchsten Liga, bis ihn ein Jahr später an einem Vorbereitungsspiel gegen den ZSC Trainer Bob Hartley entdeckt. «Luca war sackstark, fuhr allen um die Ohren», erinnert sich ZSC-Keeper Lukas Flüeler.
«Luca wird unwohl, wenn man ihm schmeichelt»
Hartley galt als hart und unbarmherzig, konnte auch beleidigend sein und war später in Calgary der Grund dafür, weshalb Goalie Jonas Hiller den Spass am Hockey verlor. Doch ausgerechnet Cunti, von dem es stets hiess, er sei zerbrechlich, sagt: «Um ein Urteil über eine Person zu fällen, muss man sie erst kennen. Obwohl Hartley ein Schleifer war, hatte ich es gut mit ihm.»
Unter dem Kanadier blüht Cunti auf, wird 2012 Meister und zum Rookie der Saison gewählt. Ein Jahr später brilliert der heute 31-Jährige beim WM-Silbermärchen von Stockholm und holt sich 2014 mit dem ZSC seinen zweiten Titel.
Nun steht er in seiner zweiten Saison mit Biel, ist Topskorer und fliegt mit seinen kongenialen Sturmpartnern Damien Brunner und Mike Künzle – Art-on-Ice-Formation genannt – förmlich übers Eis.
«Luca darf man nicht sagen, wie gut er ist oder wie schön er Schlittschuh fährt. Ihm wird unwohl, wenn man ihm schmeichelt», sagt Brunner. Cunti bezeichnet sich als selbstkritisch, nannte dies einst seine grösste Schwäche. Heute sagt er: «Vielleicht ist es auch eine Stärke. Ich hatte immer den Drang, besser zu werden. Lief einer schön durch, wollte ich das auch können.»
Cunti könne die Leistungen sehr gut einschätzen, sagt Brunner: «Spielen wir schlecht, schauen wir uns in die Augen und beide wissen: Wir müssen eine Schippe drauflegen. Es hilft, einen solchen Mitspieler neben sich zu haben.»
Hoher Verschleiss an Schlittschuhen
Der eleganteste Läufer der Liga, der mit Eiskunstlauf begann und bis ins Alter von 14 Jahren Unterricht nahm, ist für seinen hohen Verschleiss an Schlittschuhen bekannt. Als sie noch nicht aus Karbon gefertigt wurden, brauchte er rund acht Paar pro Saison. «Heute ist es nicht mehr so schlimm», beschwichtigt Cunti, der auch schon massgefertigte Schuhe wieder zurückgab.
«Wenn er so spielt, kann er von mir aus nach jedem Einsatz die Finken wechseln», witzelt CEO Daniel Villard. «Luca ist ein Künstler. Und Künstler sind etwas eigen», meint Verteidiger Beat Forster. «Das ist nicht böse gemeint. Es zeichnet ihn aus, dass er immer wieder Neues ausprobiert. Wenn er sich das antun will? Mir wäre der Aufwand zu gross.»
Am Donnerstag verlängerte Cunti seinen Vertrag im Seeland um vier Jahre. Zur Freude auch von Lars Leuenberger. «Als Trainer hast du an Spielern wie Luca einfach Freude. Es spielt keine Rolle, wen du ihm zur Seite stellst. Er gehört zu den besten Schweizer Centern, ist ein guter Mensch und trägt sich und seinem Körper Sorge», schwärmt er.