Blick: Herr Bayer, Sie haben in den letzten vier Monaten hart gearbeitet. Wie hart haben Sie in den letzten zwei Nächten den Meistertitel gefeiert?
Marco Bayer: Das ist nicht vergleichbar, die letzten zwei Nächte waren deutlich ruhiger. Der Druck ist weg, man ist gelöst.
Waren Sie mit der Mannschaft unterwegs?
Nein. Ich bin der Meinung, dass die Mannschaft das für sich geniessen soll und ich als Headcoach da auch etwas Distanz wahren sollte. In der ersten Nacht war ich schon noch bei der Mannschaft, auf der Heimfahrt, in der Garderobe, in der Swiss Life Arena. Aber danach habe ich mich ausgeklinkt und habe in meinem Kreis noch ein wenig gefeiert. Ich bin da eher der stille Geniesser.
Was heisst das? Fein essen gehen bei einer guten Flasche Wein?
Genau, ich hatte am Freitagabend meine Familie um mich und mit meiner Frau einen wirklich schönen Abend verbracht. Wir haben das enorm genossen, nachdem sie in den letzten vier Monaten auf so viel verzichten musste. Zudem hatte meine Tochter auch noch Geburtstag und so konnten wir auch das in unserem Rahmen feiern.
Wie schläft es sich als Meistertrainer? Besser als zuvor?
Ich schlafe sicher wieder etwas länger.
Weil Sie aus Zeitgründen zuvor nicht mehr Schlaf bekommen haben oder weil sich im Kopf immer alles um Hockey gedreht hat und Sie nicht schlafen konnten?
Ich hätte schon mehr Stunden zur Verfügung gehabt. Aber das entspricht nicht meinem Naturell. Wenn ich etwas mache, dann mache ich es konsequent, 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Und dies war letztlich der Grund für das Schlafmanko. Oft hat es bei mir schon in der Nacht angefangen, im Kopf zu kreisen. Da bin ich um 5 Uhr morgens aufgewacht und habe mir Gedanken darüber gemacht, wo wir noch Optimierungsmöglichkeiten haben. Die stetigen Gedanken ans Hockey haben mir den Schlaf geraubt. Umso wichtiger war es, dann doch noch eine gute Work-Life-Balance und etwa drei Stunden pro Tag zu haben, in denen es nicht um Hockey, sondern um mich und andere Gedanken ging. Denn irgendwo muss auch ich Energie tanken können.
Sie konnten jetzt nach dem Titel zweimal darüber schlafen. Konnten Sie da auch ein wenig die letzten vier Monate reflektieren?
Nein, dazu bin ich noch nicht gekommen. Das braucht jetzt noch einen Moment.
Aber Sie wissen schon, dass Sie der Meistertrainer sind?
(lacht) Ja, das habe ich in vielen Medien gelesen. Jetzt fange ich wieder an, diese zu konsumieren, und daher habe ich das schon realisiert.
Ihr Start beim ZSC war im Januar holprig. Die ersten drei Spiele gingen verloren, unter anderem das Derby gegen Kloten nach einer 4:1-Führung. Bekamen Sie da nicht Angst?
Angst ist das falsche Wort. Aber ich habe mir meine Gedanken gemacht, das ist so. Ich wusste ja, dass ich an den Resultaten gemessen werden. Ich konnte mir die Mechanismen hinter den Resultaten aber relativ rasch erklären. Bevor ich übernahm, hat die Mannschaft gut Hockey gespielt, war gefestigt und hatte eine klare Handschrift. Und dann kommt es zum Trainerwechsel. Es ist überall so, wenn ein neuer Chef kommt, werden die Karten neu gemischt. Es kommt jemand, der einen anderen Kopf, zwei, drei andere Ideen hat und eine andere Sprache spricht. Da fragen sich die Spieler: Was geschieht jetzt? Was macht er da? Was sind die nächsten Schritte? So habe zumindest ich es empfunden. Ich habe dann aber auch sehr schnell gespürt, dass die Spieler bereit sind, den Weg, den ich gehen möchte, mitzugehen. Das hat mir geholfen. Und nachher sind dann zum Glück auch die Resultate gekommen. Aber wenn sie nicht gekommen wären, dann weiss ich auch nicht, wie es weitergegangen wäre.
Was war letztlich Ihr Erfolgsrezept?
Ruhig meinen Weg weiterzugehen. Ich glaube, es war primär dies. Ich habe eine klare Vision, wie ich gerne Hockey spielen möchte. Und das habe ich versucht, der Mannschaft je länger, je mehr beizubringen. Ich wollte nicht plötzlich nach links oder rechts abschweifen, sondern war überzeugt von dem, was diese Mannschaft meiner Meinung nach braucht.
An Weihnachten war Ihre Welt noch eine andere. Sie waren Trainer bei Farmteam GCK Lions in der Swiss League, fernab des Rampenlichts. Sind Sie nun als erfolgreicher ZSC-Trainer ein glücklicherer Mensch?
Da hat sich, so glaube ich, nichts verändert. Ich bin immer noch ich, glücklich und zufrieden mit meinem Leben. Ich kann den besten Beruf ausüben, mit der grössten Leidenschaft, die in mir drin steckt. Das Einzige, was sich geändert hat, ist, dass ich in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde, Leute mich ansprechen. Aber sonst habe ich mich weder geändert, noch versuche ich, mich zu verstecken.
Wie viele Interviews mussten Sie im Herbst als Trainer der GCK Lions geben?
Insgesamt zwei oder drei.
Der Zürcher Marco Bayer (52) gehörte in jungen Jahren zu den grössten Schweizer Verteidiger-Talenten. Er war Junioren-Nationalspieler und wechselte bereits als 16-Jähriger von seinem Stammklub Dübendorf zu Davos. Via Chur und dem ZSC landete er 1994 bei Kloten, wo er zweimal Meister wurde. Weitere Stationen waren Zug, Ambri, Rappi und Langnau. 2009 beendete der ältere Bruder von Ex-Goalie Claudio Bayer seine Karriere.
Der Zürcher Marco Bayer (52) gehörte in jungen Jahren zu den grössten Schweizer Verteidiger-Talenten. Er war Junioren-Nationalspieler und wechselte bereits als 16-Jähriger von seinem Stammklub Dübendorf zu Davos. Via Chur und dem ZSC landete er 1994 bei Kloten, wo er zweimal Meister wurde. Weitere Stationen waren Zug, Ambri, Rappi und Langnau. 2009 beendete der ältere Bruder von Ex-Goalie Claudio Bayer seine Karriere.
Dann muss das eine riesige Umstellung gewesen sein, über Nacht ZSC-Trainer zu werden.
Es ist ja nicht so, dass ich vor den GCK Lions nichts gemacht habe. Ich weiss schon, worum es geht, und habe auch zuvor schon Interviews gegeben.
Aber der ZSC ist schon nochmals eine andere Dimension. Da wird jedes Wort von Ihnen auf die Goldwaage gelegt.
Das stimmt, aber darauf war ich auch vorbereitet. Eines Tages als Headcoach einen Job wie diesen zu haben, war ein Bubentraum von mir. Daher musste ich bereit sein, als es so weit war. Ich wusste auch, was mich erwartet. Aber klar, da haben Sie recht, die Dimension ist eine andere. Es ist etwa so, wie wenn man das Tempo von 35 km/h auf 120 km/h erhöht. Der Trainerjob in Zürich ist sehr wahrscheinlich der Trainerjob, den alle haben wollen und ich bin unglaublich stolz darauf, dass ich ihn machen darf. Mit allem drum und dran.
Wie gingen Sie persönlich damit um, dass Sie von einem Tag auf den anderen im Rampenlicht standen und Titelseiten füllten?
Das so ziemlich das Erste, was ich meiner Familie gesagt habe, war, dass sie keine Medien mehr lesen soll. Es wird so viel geschrieben, dass auch wehtun kann. Beispielsweise auch die negativen Kommentare in den Spalten. Solche Sachen können für eine Familie sehr belastend sein.
Ich habe in den letzten vier Monaten so viele Geschichten über Sie geschrieben und mir dabei viel Mühe gegeben. Und Sie lesen diese nicht einmal? Jetzt bin ich ein wenig beleidigt.
(lacht) In den nächsten zwei Wochen werde ich alles nachlesen, was Sie geschrieben haben. Und Ihnen dann ein Feedback geben.
Aber wenn Sie keine Medien mehr konsumieren, dann kriegen Sie beispielsweise auch nicht mehr mit, wenn der Papst stirbt.
Doch, doch, die Tagesschau habe ich mir schon noch angeschaut. Aber nichts, bei dem es um meine Person ging. Das habe ich ausgeblendet, das wollte ich nicht an mich heranlassen. Egal ob positiv oder negativ. Wahrscheinlich gab es vieles Positives, was ich auch schön finde. Aber es gibt auch Negatives und da fragst du dich dann, warum und weshalb und investiert Energie darin. Diese Energie investiere ich lieber in die Mannschaft.
Medial wurde auch Ihr Vertrag immer wieder zum Thema. Dass Sie in den Playoffs liefern müssen, um ZSC-Trainer bleiben zu können. Dass Sie vielleicht sogar Meister werden müssen. Wie sind Sie mit diesem Druck umgegangen?
Den grössten Druck habe ich mir selbst gemacht, indem ich zeigen wollte, dass ich der Coach bin, der den ZSC in den Halbfinal, in den Final und vielleicht sogar zum Titel führen kann. Und trotzdem habe ich versucht, das auszublenden. Ich habe immer gesagt, dass wir meine Zukunft nach den Playoffs anschauen. Und CEO Peter Zahner hat auch gesagt, dass es jetzt erst eine Saisonanalyse geben wird, und nach der Saisonanalyse werden wir dann zusammensitzen und sehen, wie die Zukunft aussieht.
Jetzt muss der ZSC Ihren Vertrag mit den GCK Lions, der bis 2027 läuft, in einen ZSC-Vertrag umwandeln. Alles andere wäre ein Skandal. Einverstanden?
Kann ich da den Joker ziehen? Wir sind Schweizer Meister geworden. Jetzt folgt eine Analyse und die ZSC Lions müssen eine Entscheidung treffen und beurteilen, ob sie von meinen Fähigkeiten überzeugt sind. Es liegt nicht in meinen Händen. Ich habe meine Visitenkarte abgegeben und gehe positiv in die Zukunft.
Sie mussten lange auf Ihre Chance warten. Wären Sie auch vor zehn Jahren schon fähig gewesen, eine Mannschaft wie den ZSC zu übernehmen, oder ist es gut, dass Sie warten mussten, bis Sie 52 Jahre alt sind?
Das ist eine hypothetische Frage. Wir wissen es nicht, wie es gewesen wäre. Das Einzige, was ich sagen kann: Zehn Jahre zusätzliche Erfahrung im Hockey sind viel. Daher wäre ich vor zehn Jahren vermutlich noch nicht so ruhig und abgeklärt gewesen, wie ich es jetzt bin.
Sie mussten sich auch von Ihrem Vorgänger Marc Crawford emanzipieren, Ihre eigene Note finden. Wie anspruchsvoll war es, da die richtige Balance zu finden?
Es wünscht sich niemand, auf diese Weise einen Trainerjob zu bekommen. Marcs Gesundheit hatte für mich immer erste Priorität. Aber irgendwann mussten wir das zur Seite stellen, das Leben geht weiter und der ZSC hat mir diese Chance gegeben. Ich habe versucht, vom ersten Tag an authentisch zu bleiben, mich zu sein und nicht jemanden kopieren zu wollen. Marc ist immer noch sehr präsent. Er hat die Basis für diese erfolgreiche Mannschaft gelegt. Ich habe das Boot dann übernommen und in den Hafen gesteuert. Für die zwei Titel, die wir geholt haben, gebührt auch ihm viel Respekt.
Hat Crawford Ihnen schon gratuliert?
Er war einer der Ersten, die mir per WhatsApp gratuliert haben. Er hat mir geschrieben, dass ich das super gemacht habe.
Das dürfte Ihnen viel bedeuten.
Absolut und ich werde auch demnächst mit ihm telefonieren und mit ihm das eine oder andere austauschen.
Sie sind auch ein grosser Fussballfan, heissen Bayer, sind aber weder Fan von Bayern München, noch von Bayer Leverkusen, sondern vom SC Freiburg. Das müssen Sie erklären.
Es ist nicht so, dass ich kein Bayern-Fan wäre. Die Bayern als Organisation, wie sie funktionieren, die Mannschaft zusammenstellen, mit Topstars umgehen, fasziniert mich enorm. Also sind sie irgendwo auch in meinem Herzen. Zum SC Freiburg habe ich aber, als ich in Langnau war, eine Verbindung aufgebaut. Wir hatten damals eine Bezugsperson aus Freiburg, die gewisse Aufträge im Marketingbereich für uns erledigt hat. Und so ergab sich die Möglichkeit, dass ich beim SC Freiburg einen Stage machen konnte. Ich hatte dann auch die Chance, Saisonkarten zu kaufen. Seitdem habe ich diese und bin regelmässig an den Spielen, wenn es die Zeit zulässt.
Dann waren Sie jetzt aber schon länger nicht mehr dort?
Das letzte Mal während der Nati-Pause. Aber am nächsten Sonntag gegen Bayer Leverkusen werde ich am Spiel sein.
Sie sind verheiratet und haben als Vater in einer Patchwork-Familie drei Kinder grossgezogen, die heute erwachsen sind. War der Meistertrainer ein strenger Vater?
Für mich sind Werte entscheidend. Ich glaube, das ist das Einzige, was ich meinen Kindern mit auf den Weg geben wollte. Aber ich war nicht der harte Vater. Es gab einfach Regeln, die es braucht. Und das ist ja beim Hockey genau gleich. In der Defensivzone gibt es für mich keine Abkürzungen, das geht nicht. Ich brauche da das Commitment von jedem. Und das ist in der Familie ähnlich.