Es geschah vor 50 Jahren
Muhammad Ali schickt Foreman in die Finsternis

Der «Rumble in the Jungle» war viel mehr als ein Boxkampf. 50 Jahre danach tauchen wir noch einmal ein in diese aufwühlende Zeit, diese sechs Wochen in Kinshasa.
Publiziert: 30.10.2024 um 08:20 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2024 um 19:39 Uhr
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Kurz nach dem Niederschlag in der 8. Runde: Ringrichter Zack Clayton weist Ali in die Ecke und zählt Foreman an.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

  • Vor 50 Jahren kämpfte Ali gegen Foreman in Afrika
  • Dieser unglaubliche Fight übertraf alle Erwartungen
  • Es war der Anfang des Geld-Wahnsinns im Sport
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Es gibt Ereignisse, die darf man nicht vergessen, egal, wie lange sie her sind. Weil sie zu bedeutend sind für die Geschichte und Entwicklung der Menschheit. Dazu gehört die Mondlandung 1969, genauso der Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman am 30. Oktober 1974.

Fünfzig Jahre ist es also her, seit sich die beiden afrikanischstämmigen US-Amerikaner in Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, um die Vorherrschaft im Schwergewichtsboxen prügelten. Die Welt hielt den Atem an. Auch in der Schweiz sassen Hunderttausende in den frühen Morgenstunden vor dem TV-Gerät und schauten sich den «Rumble in the Jungle» an.

In der einen Ecke war Weltmeister George Foreman, 25 Jahre jung, ein mächtiger Fels, ein angstmachender Riese, der im Vorfeld einen Gegner nach dem anderen in weniger als drei Runden niederschlug. Der Champion Joe Frazier den WM-Gürtel abnahm, nachdem er diesen in zwei Runden sechsmal auf die Bretter schickte.

In der anderen Ecke Muhammad Ali, der frühere Weltmeister, das Grossmaul, das lange weg war vom Fenster, weil er sich weigerte, in den Vietnamkrieg zu ziehen. Sieben Jahre älter als Foreman, aber zu allem bereit, sich die Box-Krone zurückzuholen. Der klare Aussenseiter.

Eine Milliarde TV-Zuschauer

Diese «Rauferei im Dschungel» war viel mehr als ein simpler Boxkampf. Mobutu Sese Seko, der sich in den Sechzigern im ehemals Belgisch-Kongo an die Macht putschte und das Land 1971 in Zaire umtaufte, gelang mit dem Kampf ein PR-Coup. Zaire war plötzlich weltweit im Fokus. Zwei schwarze US-Amerikaner kämpfen vor einer Milliarde TV-Zuschauer in Kinshasa, mitten in Afrika, um den Box-Thron. Das waren ungewohnt positive Schlagzeilen für einen brutalen Diktator, der nur an der Macht war, weil die Amerikaner ihn in Afrika als Bollwerk gegen den Kommunismus duldeten.

Im Vorfeld des Kampfes wurde das Musikfestival «Zaire 74» veranstaltet. Ein Woodstock in Afrika, bei dem schwarze Musikgrössen wie James Brown, Bill Withers, B.B. King, The Spinners oder Miriam Makeba auftraten. Der Boxkampf und das Festival wurden zusammen zu einem afrikanischen Happening, das Politik und Sport auf wundersame Weise verband. Muhammad Ali sagte: «Vor 400 Jahren war ich ein Sklave und jetzt kehre ich heim, um mit meinen Brüdern zu kämpfen.»

Der Fight war auf den 25. September angekündigt. Doch weil sich Foreman im Sparring neun Tage davor an der Augenbraue verletzte, wurde er auf den 30. Oktober verschoben. Sechs Wochen mussten die beiden Boxer mit ihrem gesamten Tross also in Kinshasa bleiben und die Zeit überbrücken. Ali nutzte die Tage, um durchs Land zu reisen, mit den Menschen zu sprechen, ihnen Mut zu machen und sie anzustacheln, ihn zu unterstützen. Auf den Strassen jubelten sie ihm zu, riefen: «Ali, boma ye!», «Ali, töte ihn!».

Begnadeter Sprücheklopfer

Foreman, obwohl ebenfalls afrikanischer Herkunft, gar mit dunklerem Teint als Ali, hatte einen schwierigen Stand. Als er in Afrika landete, brachte er einen Deutschen Schäferhund mit, was die Einheimischen schwer beleidigte, weil diese Hunde den belgischen Kolonialherren als Polizeihunde gedient hatten. Zudem hatte Foreman keine vergleichbare Lebensgeschichte wie sein Gegner mitgebracht. Die Kongolesen konnten sich identifizieren mit Ali, der sich geweigert hatte, gegen ein Drittweltland in den Krieg zu ziehen und der weissen Herrschaft Stirn und Faust bot. Dieser Mut machte Eindruck.

Zudem war Ali ein begnadeter Unterhalter und Sprücheklopfer. «Ich habe Bäume gefällt. Ich habe mit einem Alligator gerungen, mit einem Wal gerangelt, dem Blitzschlag Handschellen verpasst, den Donner ins Gefängnis gesteckt», posaunte er. «Ich habe einen Fels umgebracht, einen Stein verletzt, einen Ziegel ins Krankenhaus geschickt. Ich bin so fies, dass ich die Medizin krank mache. George Foreman ist eine Mumie, und ich bin der Fluch der Mumie. Gestern habe ich im Schlafzimmer das Licht ausgemacht und bevor es dunkel wurde, war ich schon im Bett, so schnell bin ich.»

Angst um Alis Gesundheit

Am Tag des Kampfes, der in Kinshasa um fünf Uhr morgens stattfand, damit er in den USA zur Primetime ausgestrahlt werden konnte, war das Stadion voll. Niemand dachte in diesem Moment daran, dass in den Katakomben unter den Rängen politische Gefangene eingesperrt waren. Junge Männer, welche Diktator Mobutu foltern, vernichten und verschwinden liess. So wie 1968, als er den Oppositionspolitiker Pierre Mulele und dessen Anhänger öffentlich foltern und töten liess. Man riss, so wurde überliefert, Mulele Augen und Genitalien heraus, amputierte seine Gliedmassen, eine um die andere, während er noch lebte. Danach warf man den Rumpf in den Kongo.

Unter dem überdimensionalen Bild von Mobutu, das im Stadion in Kinshasa hing, schritt Ali am Morgen des 30. Oktobers 1974 fokussiert und erhobenen Hauptes zum überdachten Ring in der Mitte des Feldes. Viele Experten glaubten, dass dies der Gang zum Schafott sei. Sie hatten berechtigte Angst, dass Foreman Ali durch die schiere Wucht seiner Schläge töten, zumindest schwer verletzen könnte und ganz sicher, dessen Karriere beenden würde.

Foreman hingegen lief nicht, er rannte zum Ring. Er wollte dem Spuck ein schnelles Ende setzen, war genervt von den Sprüchen und den Eskapaden seines Gegners und der Feindseligkeit des Publikums. Zu Tausenden schrien die Zuschauer im Stadion: «Ali boma ye!» Und Mobutu? Der war nicht zu sehen. Er schaute sich den Kampf von seinen Schergen bewacht an einem TV-Gerät an, wohl aus Angst vor einem Attentat.

Zehn Millionen Dollar hatte er für diesen Fight locker gemacht. Seinem Volk gestohlenes Geld, das von einer panamaischen Firma bei Barclays Bank in Paris hinterlegt wurde. Auszahlbar 24 Stunden nach dem Kampf. Beide Boxer bekamen je fünf Millionen. Die Firma trug den Namen Risnelia, war zu 95% in zairischen Händen und hatte ihren Sitz in der steuergünstigen Schweiz. Eine enorme Kampfbörse, die man als der Anfang des Geld-Wahnsinns im modernen Spitzensport einordnen kann. Durch diesen Kampf wurden wundersam bis zu 100 Millionen bewegt. Wobei den Organisatoren nach Abzug aller Kosten rund ein Fünftel übrigblieb. Etwa 20 Millionen.

Der Kampf beginnt

Muhammad Ali sucht in der ersten Runde die schnelle Entscheidung, schlägt immer wieder die rechte Gerade an Foremans Kopf, eine Beleidigung für den Gegner, weil das ein enorm risikoreicher Schlag ist, der förmlich zum Konter einlädt. Die rechte Gerade gegen einen starken Gegner bereits in der ersten Runde einzusetzen, zeugt von grossem Selbstvertrauen oder grenzenlosem Übermut. Nachdem Foreman seine Überraschung abgelegt hat, fängt er an, Ali mit seinen Monsterschlägen zu bearbeiten. Drei Runden lang müht er sich ab, steckt seine ganze Urgewalt in die Schläge, während Ali weit hinten in den Seilen und hinter seiner Deckung hängt, wenn immer möglich klammert, und dabei Foreman Beleidigungen ins Ohr ruft: «George, du enttäuschst mich, du schlägst nicht so hart, wie ich dachte. Du knackst ja nicht mal ein Popcorn.»

Alis Tross und seine Fans sind tief besorgt. Kann das gut gehen? Doch Foreman verliert zunehmend an Power. Seine Schläge werden immer lahmer, harmloser, sein Orientierungssinn diffuser, die Verzweiflung immer grösser. Das Kampfgeschehen ist plötzlich verkehrt. Ali zielt und trifft so präzise wie ein Chirurg, der sein Messer am Fleisch ansetzt. In den letzten zwanzig Sekunden der achten Runde sticht Ali endgültig zu. Eine Serie von neun harten, wunderschönen Treffern lässt Foreman taumeln und schliesslich in scheinbarer Zeitlupe zu Boden gehen. Ali begleitet den Fall des Riesen wie ein Torero, der den Stier ins Leere laufen lässt. Ein elegantes Ende eines Ringdramas, das Ali keiner zugetraut hatte, ausser er sich selber.

Geliebt, verehrt, verklärt

Für Foreman wurde diese Niederlage zum Trauma seines Lebens. Zwei Jahre lang versank er in tiefer Depression und Finsternis. Danach wurde er Priester, wagte ein Comeback als Boxer, wurde mit 45 Jahren noch einmal Weltmeister. Arbeitete später als Sportkommentator und Grill-Unternehmer. Heute ist er 75 Jahre alt und gilt hinter Muhammad Ali, Joe Louis und Evander Holyfield als der viertbeste Schwergewichtsboxer aller Zeiten.

Muhammad Ali, der sein Leben nach seiner Konvertierung zum Islam ab 1964 ganz Allah verschrieb, boxte noch bis 1981 weiter. Während der letzten Kämpfe war er bereits deutlich von der Parkinson-Krankheit gezeichnet. Seinen emotionalsten Auftritt nach der Karriere hatte er 1996, als er zitternd das olympische Feuer in Atlanta entzündete. Der einstige Rebell, der die Menschheit mit seiner Radikalität entzweite, der polarisierte wie kein anderer Sportler, wurde am Ende von der ganzen Welt gefeiert, verehrt und damit vollkommen verklärt. Der Jahrhundertsportler starb am 3. Juni 2016 in Arizona.

Und was geschah mit Mobutu? Er soll nach Schätzung von Menschenrechtsorganisationen während seiner über dreissig Jahre dauernden Amtszeit fünf Milliarden US-Dollar für sich erbeutet haben. Während eines Krankenhausaufenthaltes in der Schweiz Mitte der Neunziger eroberten Tutsis weite Teile von Ost-Zaire, was Mobutus definitiven Fall einläutete. Der Diktator ging schliesslich nach Marokko ins Exil, wo er 1997 mit 66 Jahren an Prostatakrebs starb.

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