Muhammad Ali hat die Reise angetreten, die wir alle mal antreten werden. Die Spuren, die er hinterlässt, sind unauslöschlich und viel mehr als sportliche Statistik. Er hat den Boxsport geprägt, die Menschen, die Religion, die Politik. Er war ein Idol, ein Rebell, der grösste Sportler des 20. Jahrhunderts.
Jetzt ist er nicht mehr auf dieser Erde, gegangen mit 74 Jahren, als körperliches Wrack, ausgezehrt vom jahrzehntelangen Kampf gegen die Parkinson-Krankheit. Diesen Fluch der Menschheit und einzigen Gegner, den Ali nicht austänzeln, nicht überlisten, verhöhnen und verhauen konnte, mit dem er sich aber arrangiert hatte.
Dieser schöne Mann, braun, muskulös, blutjung, selbstbewusst, der 1964 als Cassius Clay ein sportliches Wunder vollbrachte, als er den als unbesiegbar geltenden Sonny Liston zu Boden schlug und Weltmeister im Schwergewicht wurde. Dieses Grossmaul, dieser unbeschwerte Poet und dreiste Kerl, der vor seinen Kämpfen Liedchen zum Besten gab, in denen er die Runde ankündigte, in der er siegen werde. Dieser wendige, schlaue Boxer, der seine Gegner wie ein Schmetterling umschwebte, um sie dann wie eine Biene zu stechen.
Verehrt und verhasst
Dieser mutige Mann, der sich weigerte, für die US-Army in den Vietnam-Krieg zu ziehen, weil ihn kein Vietkong je «Nigger» genannt habe. Der seinen «Sklavennamen» Clay ablegte, um sich Muhammad Ali zu nennen und der sich den radikalen «Black Muslims» anschloss. Welcher Mut! Welche Provokation! Welcher soziale Sprengstoff in jener Zeit!
Damals wurde er für all sein Tun im Ring und ausserhalb des Ringes verehrt oder gehasst. Muhammad Ali wurde wegen Dienstverweigerung die Boxlizenz entzogen, der Weltmeistertitel aberkannt. All das machte ihn nur noch grösser, unantastbarer, weiser, selbstbewusster.
Comeback nach dem Bann
Ali kam noch oft zurück. «Wir verlieren alle mal im Leben», sagte er einst nach einem verlorenen Kampf. «Was man tun muss, ist weiterleben, die Verluste überwinden und wieder aufstehen.»
1974 rumpelte es heftig im Jungle. In einem denkwürdigen Fight besiegte Ali den als übermächtig geltenden George Foreman in Kinshasa. Nein, er besiegte ihn nicht, er demütigte ihn. «Ali, boma ye!», «Ali töte ihn!».
Ganz Afrika war für Ali und gegen Foreman. Und Ali krönte sich zum zweiten Mal zum Weltmeister. Afrika tanzte vor Freude, und der Rest der Welt wippte mit. Plötzlich waren Wut und Hass verflogen, die sich mitunter gegen Ali gerichtet hatten, und höchstem Respekt gewichen. Er war jetzt eine lebende Legende, ein Held.
Vier Jahre später schaffte er ein weiteres Boxwunder, als er sich 1978 die Krone zum dritten Mal zurückholte. Beinahe 37 Jahre alt, nur noch eine Parodie seiner besten Tage, besiegte er im September den um 12 Jahre jüngeren Lebemann Leon Spinks, der ihn noch sieben Monate zuvor entthront und entzaubert hatte.
Jetzt diese Revanche. Als das Urteil verlesen wird, hebt ihn jemand vom Stuhl hoch. Ali muss gestützt werden. Doch noch einmal macht er seinen Arm frei, sieht zur Kamera, blickt uns, die wir tief nachts hellwach und
fasziniert neben unseren Vätern vor dem TV sitzen, direkt in die Augen und grüsst mit einer ganz langsamen Kusshand.
Ein Mann, wie jeder andere
Die Krankheit, die 1984 offiziell wurde, hat ihm vieles genommen, was diesen Champion einmal ausgemacht hat. Seine Schönheit, seine Schnelligkeit, seinen Witz, seine Stimme. «Gott zeigt mir damit», sagte Ali dem Sportliteraten David Remnick, als sein Körper ihm die freie Rede noch zuliess, «dass ich nur ein Mann wie jeder andere bin.»
Man sah ihn immer seltener in der Öffentlichkeit, seine Wirkung blieb immens. So wie an diesem Sommerabend in Atlanta mitzuerleben, als er für alle überraschend mit einer Fackel in den Händen erschien und die Olympischen Spiele 1996 eröffnete. Manchmal noch an Ehrungen oder in der ersten Reihe, mit Medikamenten stillgehalten, wie er den Kämpfen seiner boxenden Tochter Laila Ali zuschaute.
Einer seiner letzten Auftritte war 2011 an der Beerdigung seines grossen Rivalen Joe Frazier, gegen den er drei Kämpfe für die Ewigkeit bestritt. Der brutalste, man taufte ihn «Thrilla in Manila», brachte Ali 1975 «so nahe an den Tod wie nie», wie er selber sagte.
Viele Jahre nach dieser Erfahrung, im zittrigen Ruhestand, wurde er von Remnick gefragt, wie er in Erinnerung bleiben wolle. «Als Schwarzer, der den Titel im Schwergewicht gewonnen hat und Prediger seines Volkes wurde. Einer, der nie herabgesehen hat auf die, die zu ihm aufgesehen haben. Einer, der versucht hat, sein Volk mit dem islamischen Glauben zu vereinen.»
Dann schloss Ali die Augen. «Der Schlaf ist eine Probe des Todes», pflegte er zu sagen, «eines Tages wacht man auf, und es ist das jüngste Gericht.»