Eine amerikanische Sportart erobert gerade die traditionelle Sportnation Deutschland. Am Sonntag (15.30 Uhr) kommt Superstar Tom Brady (45) nach München. In der Allianz Arena treffen seine Buccaneers aus Tampa Bay auf die Seattle Seahawks. Die 67'000 Plätze sind längst ausverkauft. Mehr noch: Die National Football League (NFL) hätte das Stadion 45 Mal füllen können – über 3 Millionen Ticket-Anfragen gingen bei der NFL ein.
In Deutschland ist im vergangenen Jahrzehnt ein regelrechter Hype um American Football entstanden, der nun im allerersten NFL-Spiel auf deutschem Boden gipfelt. Die beiden Spiele der amerikanischen Profiliga, die am Sonntag von 19 bis 2 Uhr in der Nacht auf Pro 7 im Free-TV zu sehen sind, haben den Sport in den Mainstream katapultiert: American Football ist mittlerweile die zweitbeliebteste (!) Fernsehsportart bei den 14- bis 49-Jährigen in Deutschland. Vor der Formel 1, Tennis, den Wintersportarten, einzig hinter König Fussball.
«Der Entertainmentfaktor spielt eine ganz wesentliche Rolle, so zum Beispiel die Halftime-Show beim Super Bowl», sagt Alexander Steinforth, Bürochef der NFL in Deutschland, der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». «Wir koppeln das Entertainment nicht ab vom Sport, im Gegenteil, es ist Teil unserer DNA.»
37'000 Schweizer schauen NFL
Auch in der Schweiz werden die NFL-Spiele beliebter. «Das Interesse an der amerikanischen Profiliga ist gestiegen», sagt Gleb Iatsenia (37) vom Schweizerischen American Football Verband (SAFV) zu Blick. «Die NFL war in der Schweiz stets ein Nischenprodukt. Nun bewegen wir uns aus dieser Ecke hinaus.» Diese Aussagen lassen sich mit Zahlen untermauern, die Blick vorliegen.
Die NFL-Spiele auf Pro 7 schauen sich jede Woche 37'000 Schweizerinnen und Schweizer an. Zum Vergleich: Beim Super-League-Spiel zwischen Winterthur und Luzern am Samstag vor einer Woche auf SRF 2 waren es 86'000. Wenn man bedenkt, dass die NFL-Spiele im Gegensatz zur heimischen Fussballliga nicht nur zur Prime Time über den Fernsehbildschirm flimmern, sind das respektable Zahlen – die mit Eishockey-Spielen und Tennisübertragungen (ohne Federer-Beteiligung) zumindest mithalten können.
Der Boom ist nicht gleich gross wie in Deutschland
Auch der Marktanteil lässt sich für ein vermeintliches Nischenprodukt mit 4 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen sehen. Hinter Deutschland mit bis zu 16 Prozent hinkt man jedoch klar hinterher. Iatsenia sagt denn auch: «In unserem Nachbarland ist ein gewaltiger Boom um American Football ausgebrochen. Bei uns in der Schweiz ist das Wachstum langsamer, aber stetig.» 2010 zählte der SAFV noch 1500 aktive Mitglieder, 2020 waren es bereits über 2500. Ein Anstieg von rund 70 Prozent.
«Wir zählen heute über 40 Mannschaften aus der Schweiz – und jedes Jahr kommen neue hinzu», sagt Iatsenia. Es gibt mittlerweile auch Frauen- und Junioren-Meisterschaften.
Doch was ist der Grund für den Hype in Deutschland und den stetigen Zuwachs in der Schweiz? «Das Internet», antwortet Iatsenia. «Der Zugang zu den Spielen hat sich in den letzten Jahren erleichtert. Die Menschen sehen heute Ausschnitte der Sportart im Internet. Vor den 2000er-Jahren musste man in der Schweiz froh sein, den Super Bowl übers Satelliten-Fernsehen empfangen zu können.» Seit einem Jahr existiert mit der European League of Football (ELF) auch auf dem alten Kontinent eine Profiliga. Weder sportlich noch wirtschaftlich auf dem Level der NFL – aber ein weiteres Zeichen dafür, dass sich die Sportart etabliert.
Mehr Umsatz als die Top 3 Europas
Neben dem körperbetonten American Football erfreut sich auch die kontaktlose Variante Flag Football Zuwachs. «Das ist eine unterschwellige Möglichkeit, eine Form von Football ohne Gefahren ausprobieren zu können», sagt Iatsenia. Sein Verband organisiert mittlerweile auch Flag-Football-Meisterschaften. Ausserdem werde die Variante in immer mehr Schweizer Schulen angeboten. Flag Football könnte es 2028 an den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles sogar aufs Programm schaffen.
Neben sportbegeisterten Schweizerinnen und Schweizer hat auch die NFL ein Interesse daran, American Football hierzulande und in ganz Europa populärer zu machen. 17 Milliarden Dollar hat die National Football League im Jahr 2021 umgesetzt – das ist mehr als die drei grössten europäischen Fussballligen zusammen. Mit den internationalen Spielen in England und jetzt in Deutschland will sich die NFL zusätzliche Einnahmequellen erschliessen. In den kommenden Jahren sind bereits weitere Spiele in München und Frankfurt angekündigt. Iatsenia ist überzeugt: «Football ist in Europa, um zu bleiben.»