Energiepolitik im Blindflug
Dem Bund fehlen Zahlen zum Strom- und Gasverbrauch

Wirken die Spar-Appelle? Bern weiss es nicht. Der Bund hat keine Daten zum Energieverbrauch der letzten Monate. Ein neues Monitoring soll Abhilfe schaffen.
Publiziert: 17.09.2022 um 17:28 Uhr
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Aktualisiert: 22.11.2022 um 16:09 Uhr
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Sie tappen punkto Energie im Dunkeln: Bundesrat Guy Parmelin (SVP) und Simonetta Sommaruga (SP).
Foto: AFP
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Die Schweiz muss sparen. «Energie ist knapp, verschwenden wir sie nicht», mahnte Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Guy Parmelin sekundierte: «Jede Kilowattstunde zählt.»

Noch setzt der Bund auf Freiwilligkeit. Mehr als zehn Millionen Franken gibt er für seine Werbebotschaften aus. Zeigen die Appelle keine Wirkung, drohen Verbote. Man werde laufend überprüfen, «ob die Kampagne bei der Wirtschaft und der Bevölkerung angekommen ist», so Sommaruga.

Das Problem: Dem Bund fehlen Daten. SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Bern weiss nicht, wie viel Strom und Gas die Schweiz zurzeit verbraucht – und kann daher auch nicht feststellen, ob sich bereits ein Spareffekt zeigt.
Wer auf die Suche nach Zahlen zum Energieverbrauch der letzten Monate geht, landet in einer Endlosschleife. Der Bund verweist an die Branche, die Branche zurück an den Bund.

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Verbrauchsdaten werden täglich abgelesen

Klar ist: Hunderte von Netzbetreibern in der Schweiz lesen die wichtigsten Verbrauchsdaten mindestens einmal täglich ab. Rein technisch wäre ein zeitnahes Monitoring des Strom- und Gasverbrauchs also möglich.

Recherche-Hinweise

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So viel zur Theorie. Tatsächlich landen diese Daten erst Monate später beim Bund. Die Elektrizitätsbranche leitet sie frühestens am zehnten Arbeitstag des Folgemonats an die nationale Netzgesellschaft Swissgrid weiter. Von dort aus gelangen die Zahlen zum Bundesamt für Energie (BFE) – doch das dauert. Konkret: Der Bund weiss heute noch nicht einmal, wie viel Strom im Juni verbraucht wurde. Verlässliche Daten liegen dem BFE nur bis Mai vor.

Noch prekärer ist die Situation beim Gas. Der Bundesrat will, dass die Schweiz im Winterhalbjahr 15 Prozent weniger davon verbraucht. Die Zielvorgabe überprüfen kann der Bund aber nicht. Die Daten werden von den Gasverbünden nur einmal im Jahr nach Bern geliefert.

Deutschland kann Verbrauch in Echtzeit mitverfolgen

Dass es auch anders geht, zeigt Deutschland. Dort kann die Bevölkerung den Energieverbrauch des Landes nahezu in Echtzeit mitverfolgen. So haben etwa die Online-Portale von «Spiegel» und «Zeit» Dashboards aufgeschaltet, auf denen die Leserinnen und Leser den Gasverbrauch des Landes tagesaktuell nachprüfen können – sogar aufgeschlüsselt in Industrie und Privathaushalte. Die Daten zeigen: Deutschland verbraucht derzeit deutlich weniger Gas als in den vorangegangenen Jahren – die Sparappelle zeigen Wirkung.

Und warum funktioniert eine zeitnahe Überwachung in der Schweiz nicht? Für das Scheitern verantwortlich ist ein verzögerter Datentransfer und – wie so oft – ein Rückstand bei der Digitalisierung.

«Die statistische Erhebung der Daten ist aufwendig und braucht Zeit, sowohl bei den Datenlieferanten als auch für die Prüfung und Zusammenstellung durch die Statistiker beim Bund», sagt BFE-Sprecherin Marianne Zünd. Gerade im Strombereich könnten viele lokale Energieversorgungsunternehmen ihre Messdaten nicht automatisiert übermitteln, da der Digitalisierungsstand dies noch nicht zulasse.

Monitoring soll Ende Jahr in Betrieb sein

Im Hinblick auf die drohende Mangellage müsse sich das ändern, sagt Markus Flatt von der Energieberatungsfirma EVU Partners. Es müsse dringend sichergestellt werden, dass die Daten von den Netzbetreibern rasch zum Bund fliessen. Flatt: «Es wäre wichtig, dass der Bund die Verbrauchsdaten für die Schweiz einmal wöchentlich erhält.» Nur so könnten kurzfristige Entwicklungen rechtzeitig erkannt werden. «Bund und Branche haben eine Hausaufgabe.»

Immerhin: Bern hat das Problem erkannt. Im Hintergrund arbeitet der Bund an einem Monitoring, das bis Ende Jahr in Betrieb sein soll und in das die aktuellen Daten der Energiebranche einfliessen. Laut Marianne Zünd werde zurzeit geprüft, wo es dort noch Lücken gibt und ob die bestehenden rechtlichen Grundlagen für die Datensammlung ausreichen. Insbesondere das Bundesstatistikgesetz setzt der Datenbeschaffung des Bundes Grenzen.

Im Strombereich dürfte das Echtzeit-Monitoring am Ende auch aus Schätzungen bestehen. Der Bund plant, den Stromverbrauch anhand von Modellen hochzurechnen. Zünd: «So kann die aktuelle nationale Stromnachfrage abgeschätzt und die Wirksamkeit der Stromsparmassnahmen beobachtet werden.»

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«Wir selber haben keine Statistik»

In der Hoffnung, doch noch an aktuelle Daten zu kommen, wandte sich der SonntagsBlick an die Stromkonzerne. Alpiq antwortet: «Wir selber haben keine Statistik zum aktuellen Stromverbrauch der Schweizer Bevölkerung. Wir empfehlen Ihnen, sich mit dieser Frage an das Bundesamt für Energie zu wenden.»

Anfrage bei der Axpo. Antwort: «Am besten fragen Sie bei Swissgrid oder beim Bundesamt für Energie nach.» Die Axpo selbst sei nicht im Endkundengeschäft tätig.

Dann keimt kurz Hoffnung auf: Ein Axpo-Sprecher richtet aus, man habe mit der Tochtergesellschaft CKW in Luzern gesprochen und «einige interessante Informationen» erhalten. Demnach lasse sich über Spareffekte derzeit keine seriöse Aussage machen ...

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