«Wir müssen aufhören, den Seich zu konsumieren»
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99 Franken fürs Sitzen:«Wir müssen aufhören, den Seich zu konsumieren»

Zwei Frauen entlarven Bullshit-Angebote
Einmal sitzen kostet 99 Franken

Magda Kern und Ivana Leiseder sorgen mit einem absurden Coaching-Konzept für Aufsehen: Die Kunden zahlen gutes Geld – und kriegen dafür nichts.
Publiziert: 17.09.2023 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 18.09.2023 um 18:27 Uhr
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Magda Kern und Ivana Leiseder entlarven Bullshit-Angebote.
Foto: Siggi Bucher
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Ein neues Angebot sorgt derzeit für Aufsehen in der Schweizer Businesswelt: Chairlosophy – die Philosophie des Sitzens. Das Motto: Platz nehmen, nachdenken, sich verwandeln.

Im Zentrum stehen neun Stühle, vom «Classy Sassy» bis zum «Promo». Mit der Unterstützung eines zertifizierten Coaches wählt der Kunde das passende Objekt. Dann verlässt der Coach für 60 Minuten den Raum. «Diese Zeit können Sie nutzen, um auf dem Stuhl zu sitzen und über ihr Leben nachzudenken», heisst es auf der Website von Chairlosophy.

Nach einer Stunde kommt der Coach zurück, die Session ist beendet – und der Kunde hat «eine neue Perspektive, ein frisches Mindset und einen klaren Business-Fokus».

Die Sitzung kostet aktuell 99 statt 999 Franken. Die Investition scheint sich zu lohnen. «Firmen, welche die Chairlosophy-Methode anwenden, haben ihre Gewinne um bis zu zwölf Prozent gesteigert», heisst es auf der Website.

Das Konzept aus Zürich stösst in der globalen Marketing- und Coaching-Szene auf reges Interesse. In den sozialen Medien herrscht Begeisterung: «Wer hätte gedacht, dass Stühle uns etwas beibringen können», kommentiert eine Expertin. «Das ist eine neue Perspektive auf persönliches Wachstum!» Kurz nach der Aufschaltung der Website haben bereits ein Dutzend Interessierte den Sitzkurs gebucht.

Alles nur Satire

Dabei ist alles nur ein Witz – ein Satire-Projekt von Magda Kern (34) und Ivana Leiseder (37). Kern ist Psychologin, Businesscoach und Sprechtrainerin, die Germanistin Leiseder führt ein eigenes Marketingunternehmen. Und beide nerven sich über die moderne Wirtschaftswelt, die mit hochtrabenden Worthülsen sinnentleerte Produkte und Dienstleistungen zu überrissenen Preisen anbietet.

«Oft ist damit das Versprechen verbunden, unserem Leben ein Ziel und einen Sinn zu geben», sagt Kern. «Denn obwohl es uns im Allgemeinen besser geht als früheren Generationen, scheint uns trotzdem etwas zu fehlen. Und wir sind bereit, jedem zu glauben, der uns das fehlende Element verspricht.»

Das kann die Coiffeuse sein, die «Hair-Impulsing» inklusive «Entspannung und Energieanstieg» anbietet. Oder die Coaching-Expertin, die «Lachen rund um den Baum» verspricht. Das kann der Strumpffabrikant sein, der seine Männersocken «Life Performance Solutions» nennt. Oder der Detailhändler mit seiner «magischen Kombination» für Toilettenpapier.

«Alles kommt vital und wahrhaftig daher», sagt Marketingexpertin Leiseder. «Dabei gaukeln uns diese Produkte und Dienstleistungen lediglich etwas vor. Sie sind unecht, banal und teuer.» Die Digitalisierung verstärke den Trend und sorge dafür, dass sich immer mehr Konsumenten zu hilflosen Usern degradieren liessen. Leiseder: «Statt selber zu kochen, bestellen wir das Essen per App. Und im Zweifelsfall nehmen wir lieber Uber als das Fahrrad. Sogar die Beziehung lassen wir heute mit einer App kitten, weil das vermeintlich einfacher ist als ein Gespräch mit dem Partner.»

Hauptsache, die Verpackung stimmt

Chairlosophy treibe diesen Trend auf die satirische Spitze, sagt Magda Kern. «Wir bieten eine Stunde sitzen an, sonst nichts. Und das für 99 Franken.» Dass dieses Angebot tatsächlich gebucht würde, hätten die beiden Gründerinnen nicht gedacht. Kern: «Offenbar sind wir tatsächlich so weit, dass Kunden etwas komplett Wertloses für gutes Geld kaufen wollen. Es muss nur hübsch verpackt und mit den richtigen Slogans angepriesen werden.»

Mit Chairlosophy hauen Kern und Leiseder auch die eigene Branche in die Pfanne. Keine Angst vor den Reaktionen? «Wir machen das nicht, um neue Freunde zu finden», so Leiseder. «Wenn sich die Branche ärgert, sind wir auf dem richtigen Weg. Es muss sich etwas ändern. Schluss mit dem Bullshit-Bingo!»

Wer künftig bei Chairlosophy bucht, erhält eine Nachricht mit dem Hinweis: «Gratuliere! Du hast das Ende des Internets erreicht. Du solltest den Laptop jetzt ausschalten. Das gibt dir Zeit, um mit einem Freund zu sprechen oder ein Buch zu lesen.»

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