Muss der Polizist doch für seine Schüsse büssen?
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Wild-West in Wiedikon ZH
Muss der Polizist doch für seine Schüsse büssen?

Ein Zürcher Stadtpolizist steht am Mittwoch wegen versuchter Tötung wieder vor Gericht. Er schoss im Jahr 2015 elf Mal auf einen Messer-Angreifer und traf diesen auch in den Rücken. Der psychisch kranke Angreifer überlebte schwer verletzt.
Publiziert: 23.06.2020 um 22:54 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2020 um 07:11 Uhr
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Die beiden Polizisten Markus F. (l.) und Peter F. vor dem Bezirksgericht in Zürich im Dezember 2016. Am Mittwoch steht Markus F. erneut vor Gericht.
Foto: Siggi Bucher
Michael Sahli

Insgesamt 13 Mal schiessen Beamte der Stadtpolizei Zürich Ende 2015 auf Omar M.*. Neun Mal wird der Äthiopier getroffen oder gestreift – wie durch ein Wunder überlebt er schwer verletzt. Aber auch nach den vielen Treffern brauchen die Polizisten Pfefferspray und Fäuste, um den psychisch kranken Mann zu bändigen. Dieser war zuvor mit einem Metzgermesser durch die Stadt geirrt.

Fünf Jahre danach muss sich einer der involvierten Beamten vor Bezirksgericht Zürich wegen versuchter Tötung verantworten. Der Vorwurf gegen den 33-jährigen Polizisten Markus P.*: Er habe geschossen, als sich der Angreifer mit dem Messer umgedreht hatte und keine Gefahr mehr darstellte.

Trotzdem habe der Polizist «bewusst und gewollt noch drei weitere Schüsse abgegeben», sodass der Äthiopier «in den Rückenbereich» getroffen wurde, heisst es in der Anklageschrift. Mit dem Schuss in den Rücken habe er den Mann töten wollen oder habe dessen Tod zumindest im Kauf genommen.

«Das war die schlimmste Nacht unseres Lebens»

Rückblick: Schon am Abend vor der Schiesserei bemerkte das Umfeld von Omar M., dass etwas nicht stimmte. «Er war sehr unruhig. Ich merkte gleich, dass er wieder einen Schub hat», sagte ein Freund damals zu BLICK. «Er stand unter starken Medikamenten», hiess es von der Familie des Äthiopiers.

Omar M. bleibt die ganze Nacht weg und fällt schliesslich am frühen Morgen des 27. Dezember 2015 einer Polizeistreife auf, weil er ein Messer mit einer 25 cm langen Klinge trägt. Mit seinem Metzgermesser steht der Mann also fünf Polizisten gegenüber – und greift an, während er den Polizisten auf Englisch zuruft, sie sollen ihn töten.

«Das war die schlimmste Nacht unseres Lebens», erklärten zwei der Beamten gegenüber BLICK. «Omar M. stand fünf Meter von mir entfernt, rannte auf mich zu», sagt Markus P. am Rande des Prozesses gegen den Messer-Mann. Sein Kollege Peter F. schiesst zwei Mal. Trotzdem stürmt der Äthiopier weiter – und geht zusammen mit einem der beiden Polizisten zu Boden. «Er lag auf mir, mit dem Messer in der Hand», sagt P.

Polizist schiesst elf Mal

Insgesamt elf Schüsse gibt er ab, fallend und am Boden liegend. In Notwehr, sagt der Beamte. Ein Schuss trifft einen Streifenwagen, ein anderer das Fenster eines Restaurants auf der anderen Strassenseite. Schliesslich kann der verletzte Angreifer, der nicht zustach, überwältigt werden.

Andreas Fäh ist der Verteidiger von Markus P., der elf Mal abdrückte. Der Anwalt fordert einen Freispruch. Denn nur weil der Angreifer in den Rücken getroffen wurde, sei das kein Beweis, dass sein Mandant auf den flüchtenden Mann schoss: «Es gab ein Gerangel, mein Mandant lag auf dem Boden, der Angreifer stand über ihm. In dieser Situation muss es von unten zu dem Treffer im Rückenbereich gekommen sein.»

Die Staatsanwaltschaft wollte das Verfahren gegen den Polizisten bereits einstellen. Der Äthiopier beschwerte sich aber und zog bis vor Bundesgericht. Dieses entschied: Es ist nicht klar, ob der Polizist wirklich in Notwehr handelte, weshalb das Verfahren nicht eingestellt werden darf. Resultat: Die Staatsanwaltschaft erhebt zwar widerwillig Anklage, fordert aber selber einen Freispruch.

Omar M. wurde bereits zu einer ambulanten Therapie verurteilt, da er an einer psychischen Störung leidet.

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