Darum gehts
«Kaufte 29 Bücher bei Caritas», zitiert die Stimme aus dem Off einen Tagebucheintrag. «Für 29 Franken. Die Chefin meinte, sie hätte vom Bücherregal, wo die Bücher bis zu 30 Franken kosten, einiges nach draussen gebracht, wo sie nur noch 1 Franken kosten.» Geschrieben hat diese Zeilen kein Sozialhilfeempfänger, sondern der 88-jährige Bruno Stefanini, Besitzer von vier Schweizer Schlössern, Immobilienmagnat und Milliardär.
«Es sind typische Sätze für Stefanini», sagt Regisseur Thomas Haemmerli. Für seinen neuen Dok-Film «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini», der ab Donnerstag im Kino läuft, hat er Tagebücher und Briefe durchforstet; ein ganzes Stockwerk umfasse das Archiv. Der alternde Unternehmer lebte bis zu seinem Tod 2018 asketisch – Rotwein kaufte er spottbillig bei Coop, zu Weihnachtsessen brachte er Robidog-Säcke für die Reste mit.
Ein Dealmaker
Die Sparsamkeit wurde Bruno Stefanini in die Wiege gelegt. «Schon sein Vater drehte jeden Rappen um», sagt Haemmerli im Gespräch mit Blick. 1924 als Sohn eines italienischen Migranten und Restaurantbetreibers in Winterthur geboren, zeigte Bruno bereits als Kind Geschäftssinn. So liess er Klassenkameraden sein Herbarium führen oder puderte seinem Bruder den sonnenverbrannten Rücken im Tausch für den besseren Platz im Ferienbett – stets mit Vertrag.
Im Zweiten Weltkrieg diente der glühende Patriot und Antifaschist in der Schweizer Armee, nach dem Krieg machte er trotz wenig Startkapital ein Vermögen im Immobilienmarkt. Stefanini baute billig, alles Überflüssige liess er weg. Vielen Menschen verschaffte er so günstigen Wohnraum.
Blochers erster Rechtsfall
Für Komfortwünsche seiner Mieter hatte Stefanini kein Verständnis. In der Winterthurer Altstadt gehörte ihm jedes zehnte Gebäude, «Stefanini-Häuser» nannte der Volksmund die verlotterten Liegenschaften. Reparaturen leistete er so selten, dass die Stadt einzuschreiten hatte: «Einsturzgefahr!», warnten die Schilder, welche die Behörden unter den bröckelnden Fassaden anbrachte. Zu Stefaninis Mietern gehörte der Komiker Viktor Giacobbo: Als er einen neuen Dichtungsring brauchte, stellte ihm Stefanini 1.95 Franken in Rechnung, wie er im Film erzählt. «Die Quittung habe ich immer noch.»
Gerade in jüngeren Jahren war Stefanini auch bereit, die Grenzen der Legalität auszureizen. Dies bekam etwa Christoph Blochers Verlobte zu spüren, der er die Mietkaution für ihre Blockwohnung nicht zurückzahlen wollte. Als junger Jus-Student hat Blocher ihr dann geholfen. «Das war mein erster Rechtsfall.» Stefanini gab aber so schnell nicht auf: «Er hatte noch die Chuzpe, einen Rechtsvorschlag zu machen», sagt Blocher in die Kamera. Erst auf dem Weg zum Friedensrichter gab Stefanini sich geschlagen.
Alte Zeitungen müssen bleiben
Die eigentliche Hinterlassenschaft Stefaninis ist aber seine gigantische Kunst- und Antiquitätensammlung. Über 100’000 Gegenstände umfasst sie, von Hodler- und Anker-Gemälden über ausgemusterte Schweizer Panzer bis hin zum Spitzhut Napoleons und der Unterhose Kaiserin Sissis. Sein Lebensziel, ein niedrigschwelliges Museum zu errichten, um die Geschichte der Schweiz und des Abendlands jedermann zugänglich zu machen, scheiterte jedoch wieder und wieder – vor allem an Stefanini selbst.
Der Sammlung fehlte es an Ordnung, Stefanini stopfte Dachkammern und Schlosskeller voll mit Krimskrams – wo sich was befand, wusste er oft selbst nicht; teure Kunstwerke liess er teils vergammeln. «Er war ein Messie», sagt Regisseur Haemmerli. «Mit unbegrenzt viel Geld.» Wenn es jemand wissen muss, dann Haemmerli: Einer seiner Filme widmete er der Messie-Wohnung seiner verstorbenen Mutter. Wie Haemmerlis Mutter war Stefanini unfähig, etwas wegzuwerfen. Als seine Mitarbeiter bei einem Umzug mehrere Wagenladungen alter Zeitungen loswerden wollten, war er entsetzt. Seine messie-typische Rationalisierung: «Die muss ich noch lesen!»
Michail Gorbatschow zu Besuch
Kunst wollte er öffentlich zugänglich machen, liess sie aber in seinen Kellern verschwinden; für seine Sammlung gab er Unsummen aus, selbst lebte er zunehmend spartanisch – Stefanini war ein Mann der Widersprüche. Was sich aber durch sein Leben zog, war ein Kontrollzwang, eine Unfähigkeit zu delegieren. Jede Rechnung kontrollierte er eigenhändig; nachdem Hausbesetzer sein Sulzer-Hochhaus verwüstet haben, soll er den Sammlungskeller nachts mit seiner Armeepistole bewacht haben.
Bezeichnend für einen Messie sei das Chaos, sagt Haemmerli. Seine Mutter besass fünf Bohrmaschinen, bei Bedarf fand sie keine. Im Fall Stefanini verschob sich nur die Grössenordnung. Ihm gehörten unzählige Ritterrüstungen, aber als Michail Gorbatschow Stefaninis Schloss Grandson besuchte, musste er welche ausleihen. Vergrössert Geld ab einem bestimmten Betrag nur unsere schon vorhandenen Stärken und Schwächen, unsere Wünsche und Zwänge ins Überdimensionale, fast Absurde? Für Haemmerli hat Stefanini eine gewisse Tragik: «Trotz allem, was er erreicht hat: Am Ende sah seine Wohnung nicht anders aus als die meiner Mutter.»