Natalie Rickli und die Vierte Gewalt
Die Medienflüsterin

Die Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich ist erst ein Jahr im Amt, verfügt aber über eine entscheidende Stärke: Sie ist Journalismus-Profi. Was zu Verwerfungen in der regionalen Presselandschaft führt.
Publiziert: 18.07.2020 um 23:32 Uhr
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Aktualisiert: 19.07.2020 um 22:01 Uhr
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Hat den Überblick: Rickli auf dem Dach des NZZ-Gebäudes.
Foto: Gerry Nitsch / 13 Photo
Reza Rafi

Eine Warnung vorab: Was jetzt kommt, interessiert nur Journalisten. Es geht um die Zürcher Medien­geschichte, die gerade um ein neustes Kapitel ergänzt wird. Hauptfigur ist Natalie Rickli (43), SVP-Politikerin aus Winterthur ZH und seit letztem Sommer Regierungsrätin des Kantons Zürich. Zuvor sass sie zwölf Jahre im Nationalrat und hatte sich dort Sicherheits-, Ausländer- und Medienthemen gewidmet.

Die Regierungskollegen aber wiesen ihr die Gesundheits­direktion zu. Ein Pyrrhussieg für Ricklis Gegner: Im Frühling fegte die Corona-Krise übers Land und hat ihr Departement in ein Schlüsselressort ver­wandelt. Neu im Amt, obliegt ihr in einer beispiellosen Lage die Führungsrolle.

Rickli verantwortet seither eine Reihe umstrittener Entscheide und Äusserungen: ­Zögerliches Einschränken von Grossanlässen, vorschnelle Ankündigung von Swissmade-Masken, Laissez-faire bei den Clubs, Twitter-Zwist mit dem Bund und das öffentliche Austragen interner Differenzen. War es doch kein Pyrrhussieg? Sicher ist: All dies böte der Regionalpresse dankbare Angriffsflächen.

Noch vor wenigen Jahren wäre die Aufgabenteilung klar gewesen: Der «Tages-Anzeiger» als linker Wadenbeisser wie zu Rita Fuhrers Regierungszeiten («offensichtliche Streitsucht» und andere Fern­diagnosen über die SVP-Frau waren Standard), die «NZZ» als Organ von staatstragender Nüchternheit. Doch in der Ära Rickli ist alles etwas anders.

Bestens vernetzter Medienprofi

Zwar war sie vor ihrem Amtsantritt keine Gesundheitspolitikerin – aber ein bestens vernetzter Medienprofi. Was sich jetzt auszahlt. Kaum eine Schweizer Politikerin ist mit den Mechanismen des Jour­nalismus vertrauter als sie. Im Parlament war sie die profi­lierteste Kritikerin der SRG; zwölf Jahre diente sie bei der Goldbach Group, einer Werbevermarkterin, die heute zur ­Firmengruppe des «Tages-Anzeigers» gehört.

«Zum Regieren brauche ich Bild, BamS und Glotze», sagte der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder (76) einst. ­Rickli vielleicht die «NZZ», den «Tagi» und Tele Züri.

Tadel erfolgt fein dosiert

Das Terrain ist umkämpft. Bei Ricklis Einzug in die Regierung hatte Widersacherin ­Jacqueline Fehr (57) schon mal vorgelegt: Die SP-Justizdirek­torin holte sich 2019 von der Werdstrasse gleich den Chef des Zürich-Ressorts in ihren Kommunikationsstab. Rickli zog mit einem Bundeshausredaktor des SonntagsBlicks nach.

Nun verblüfft aber der «Tages-Anzeiger» mit seinem Kurs gegenüber der Gesundheits­direktorin Freund und Feind: Der Zweihänder aus alten Tagen scheint gegen das Florett getauscht.

Tadel erfolgt fein dosiert. Als die prominente Grünen-Kantonsrätin Esther Guyer (69) am 7. März erstmals Ricklis Corona-Regime angreift, berichtet man darüber – aber in einem ­bescheidenen Unterhänger.

Als es um einen Fall von ­Covid-Übertragung in einer Disco geht, heisst es auf der Frontseite am 10. Juli: «Zürcher Behörden patzen bei neuem Superspreader-Fall». Das Contact-Tracing-Team hat sich als zu klein entpuppt – ein Kern­geschäft von Ricklis Direktion. Die Chefin jedoch wird gar nicht erwähnt. Dafür taucht sie ein paar Seiten weiter als ­Macherin auf: «Rickli limitiert Löhne von Kaderärzten.»

Verstecken hinter den Institutionen

Ein Muster fällt auf. Bei ­Negativschlagzeilen bettet man die Gesundheitsdirektorin gerne in die Institution ein: Der Kanton, die Regierung, die ­Behörden. Droht sie hingegen einem Club mit der Schliessung, heisst es: «Rickli greift durch».

Als ihre Reaktion auf An­steckungen in Zürcher Clubs zu reden gibt, erscheint der auf­sehenerregendste Artikel dazu auf dem Onlineportal Watson: «Frau Rickli, hören Sie auf, das Partyvolk verantwortlich zu machen», ertönt es am 29. Juni (worauf sie mit Hinweisen auf Fehler reagiert). Am 5. Juli folgt die erste grosse Bilanz von ­Ricklis Amtsführung, die negativ ausfällt – in der «NZZ am Sonntag»: «Bewährungsprobe missraten».

An der Limmat herrscht eine neue Medienordnung: Der aggressivste Widerspruch erhallt aus dem bürgerlichen NZZ- und dem Aargauer AZ-Verlag. Rickli quittiert das mit Yoga-­Posen in der aktuellen «Schweizer Illustrierten» («Mein Ausgleich zum Job»).

Die Strategie des «Tages-Anzeigers»

Und der «Tages-Anzeiger»? Dort erscheint am 11. Juli ein Text wie ein Verteidigungs­plädoyer: Sie wollte doch alles richtig machen, doch die anderen ­haben sie gebremst («Natalie Rickli steht isoliert da»). Gezeichnet wird der Beitrag von einem verdienten Schlachtross des Zürich-Ressorts und dem neuen Co-Chefredaktor Mario Stäuble (37), einem erfahrenen Rechercheur.

Gut möglich, dass sich dessen Strategie auszahlt. «Do ut des», sagten die alten Römer («Ich gebe, damit du gibst»). Wie durch Geisterhand gelangen Storys aus dem Gesundheitswesen ins Blatt, etwa über Ricklis freisinnigen Vorgänger.

«Unsere Haltung zu Natalie Rickli ist dieselbe wie bei allen politischen Akteuren», sagt Stäuble zu SonntagsBlick: «Kritisch, unabhängig, fair.» Er verweist auf Artikel, die Ricklis «Management by Twitter» und ihre Verletzung des Kollegialitätsprinzips zum Thema machen. In ­ihrem Department wird auf Anfrage betont, dass der Kanton die Corona-Krise bisher gut bewältigt habe, was sich etwa bei der Hospitalisationsrate und bei der Anzahl Todesfälle zeige.

Die Direktionsvorsteherin mag in der Regierung noch ­wenig erfahren sein. Punkto Medienkompetenz aber lässt sie die Konkurrenz im Gre­mium verblassen.

Ihr werden Ambitionen auf ein Bundesratsamt nachgesagt. Eine der notwendigen Stärken hat sie in ­Zürich bereits bewiesen.

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